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Fußball: Der Rücktritt von Joachim Löw: Es war högschde Zeit

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Der Rücktritt von Joachim Löw: Es war högschde Zeit

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    Buddhistische Gelassenheit: Auch in seiner schlimmsten Krise als Bundestrainer änderte Joachim Löw seinen Stil nicht. Fototermin an der Uferpromenade von Sotschi während der Weltmeisterschaft 2018 in Russland.
    Buddhistische Gelassenheit: Auch in seiner schlimmsten Krise als Bundestrainer änderte Joachim Löw seinen Stil nicht. Fototermin an der Uferpromenade von Sotschi während der Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Foto: Christian Charisius, dpa

    Zu den herausragenden Fähigkeiten Joachim Löws zählt es, in Zeiten zunehmenden Stresses buddhistische Gelassenheit auszustrahlen. Als die von ihm trainierte Nationalmannschaft in Russland kurz davor stand, die Weltmeisterschaft mit einem historisch schlechten Abschneiden zu verlassen, posierte er gelassen an der Uferpromenade Sotschis an einer Laterne lehnend. Wenige Tage später hatte seine Mannschaft das Turnier nach der Vorrunde durch die Hintertür verlassen und die Öffentlichkeit verlangte nach Erklärungen. Eigentlich ja nach einer Entschuldigung des verantwortlichen Mannes. Nicht zu fassen, dass die glorreiche Fußballnation Deutschland an Südkorea scheitert und sich der Bundestrainer anschließend nicht in den Staub wirft.

    Löw ließ die Öffentlichkeit 65 Tage warten. Hunde benötigen in etwa so lange, um ihre Jungen auszutragen. Waschbären ebenso. Unnützes Wissen. Als solches taten viele auch die Ausführungen Löws ab, der ja nun lange mit seinen Gedanken schwanger gegangen war. Der Bundestrainer – der überraschenderweise immer noch Bundestrainer war – rechnete vor, referierte, dass seine Mannschaft in Russland viel zu viel Zeit mit dem Ball am Fuß verbracht hatte. Er zeigte Charts und Diagramme. Und: Er bat um Entschuldigung. Dafür, dass er „schon fast arrogant“ auf seiner offensiven Spielidee beharrt hatte.

    Joachim Löw ist verschroben und der DFB ließ ihn gewähren

    Als schnelle Antworten gefordert wurden, verabschiedete sich Löw zwei Monate in innere Klausur. Er konnte das machen, weil der DFB ihm nach all den erfolgreichen Jahren sämtliche Verschrobenheiten zugestand. Quer durch Deutschland zu reisen, ist Löw von jeher ein Graus, nur um ein schnödes Fußballspiel zu verfolgen und mögliche Kandidaten für seine Auswahlmannschaft zu sichten. Stattdessen bevorzugte er es lange Zeit, häufig im Freiburger Stadion zu sitzen. Näher am Wohnort. Irgendwann schaut auch da jeder mal vorbei. Zur WM nach Russland nahm er seine eigene Espressomaschine mit. Vernünftig Kaffee zu brühen, traute er den Einheimischen nicht zu.

    Der Espressionist hatte sich Freiräume erarbeitet, die an den meisten anderen Standorten unmöglich erschienen wären. Weil Löw aber lange Jahre mit Erfolg die wichtigste Mannschaft des Landes anführte, wurden ihm die Eigenartigkeiten verziehen. Nach der Russland-WM, einem versuchten Neuanfang und dem 0:6 gegen Spanien im vergangenen November, war allerdings der letzte Kredit aufgebraucht. Löw weigerte sich trotz des sanften Drucks von DFB-Präsident Fritz Keller, zurückzutreten. Er wolle das Team zu einer erfolgreichen EM führen und am besten noch die Früchte des dann abgeschlossenen Neuaufbaus bei der WM im kommenden Jahr in Katar ernten. Aus unerfindlichen Gründen machte die ausgetragene Saat bislang aber recht wenig Anstalten, auch nur ansatzweise aufzugehen.

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    Das alles dürfte in jene Überlegungen eingeflossen sein, die in dem angekündigten Rücktritt mündeten, den der DFB am Dienstag verkündete. Bis zur Europameisterschaft wolle Löw noch weitermachen. "Ich gehe diesen Schritt ganz bewusst, voller Stolz und mit riesiger Dankbarkeit, gleichzeitig aber weiterhin mit einer ungebrochen großen Motivation, was das bevorstehende EM-Turnier angeht", wird Löw in einer Pressemitteilung zitiert.

    Am Donnerstag wird er zusammen mit Fritz Keller in einer Pressekonferenz Antworten auf die drängendsten Fragen geben. Ob es ein Fehler war, nicht schon nach der WM in Russland aufzuhören. Was denn nun mit dem Umbruch eigentlich ist. Löw ist nicht vorzuwerfen, dass er in den vergangenen Jahren keine Veränderungen vorgenommen hätte. Veränderungen, die gefordert wurden und notwendig waren. Er verbannte Thomas Müller, Jerome Boateng und Mats Hummels aus einer Mannschaft, die übersättigt wirkte. Und wer die Leistungen der drei während der Weltmeisterschaft objektiv beurteilt, kann zu dem Urteil kommen: Absolut verständlich von Löw.

    Trennungsgespräche sind nicht die Sache von Joachim Löw

    Von einer gewissen Tragik zugleich auch. Schließlich hatte sich der Bundestrainer zuvor häufiger um unangenehme Trennungsgespräche gedrückt. So schieden Torsten Frings und Michael Ballack im Unfrieden von der Nationalmannschaft, Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski können für sich reklamieren, keinen Tag zu kurz das Dress mit dem Adler getragen zu haben.

    Löw wurde Arroganz vorgeworfen, als er im vergangenen Jahr durchaus selbstbewusst sagte, er stehe „über den Dingen“. Dabei hätten doch viele gerne gehört, dass er ihrer Meinung Aufmerksamkeit schenkt. Aber: Warum sollte er? Wer bitte glaubt denn ernsthaft, dem Bundestrainer hinsichtlich der fußballerischen Expertise überlegen zu sein? Für welch’ Durcheinander es sorgen kann, zu viel auf die – scheinbare – öffentliche Meinung zu geben, ist an den Irrungen und Wirrungen rund um die Corona-Regeln zu beobachten. Dabei hat sich Löw keinesfalls abgekapselt. Er tauscht sich schon au’ aus. Aber eben nicht mit jedem.

    Der Gewinn des WM-Titels war zweifelsfrei der größte Erfolg Joachim Löws.
    Der Gewinn des WM-Titels war zweifelsfrei der größte Erfolg Joachim Löws. Foto: dpa

    Löw stellte um. Neue Spieler, neue Taktik. Kaum Erfolg. Damit einher ging eine Wurstigkeit, der man der deutschen Bevölkerung der Nationalmannschaft gegenüber nicht zugetraut hatte. Daran trägt Löw allerdings nicht die alleinige Schuld. Unter der Führung Oliver Bierhoffs sollte sich die Mannschaft in ein Marketing-Flaggschiff des Verbandes verwandeln. Der DFB-Flagship-Store auf 22 Beinen. Wenn aber Marke und Botschaft nicht zusammenpassen, wird es schwierig.

    So fiel kaum auf, dass sich die neu formierte Nationalmannschaft problemlos für die Europameisterschaft qualifizierte. Dass da ansehnliche Spiele dabei waren. Dann kam Corona. Keine Stimmung, eine uneingespielte Mannschaft und als Höhepunkt das 0:6 von Sevilla. Eine Niederlage, die exemplarisch für die Verklärung der Vergangenheit steht. Hier: für die negative Verklärung. Die vorangegangenen Leistungen ließen keinesfalls auf einen derartigen Einbruch schließen.

    Nach der EM wäre Joachim Löw nur noch schwer zu halten gewesen

    Löw wirkte verständlicherweise ratlos. Ratloses Führungspersonal aber leidet unter erheblichem Autoritätsverlust. Über die Europameisterschaft hinaus wäre der 61-Jährige nur in dem unwahrscheinlichen Fall eines in allen Punkten überzeugenden Turniers zu halten gewesen. Ansonsten hätte selbst der entscheidungsarme DFB den Schlussstrich unter die Zusammenarbeit ziehen müssen.

    Angela Merkel und Joachim Löw verbindet so einiges.
    Angela Merkel und Joachim Löw verbindet so einiges. Foto: Ottmar Winter, Witters

    Es war vor 17 Jahren nicht abzusehen gewesen, dass Löw einmal die meisten Spiele aller deutschen Bundestrainer würde betreut haben. Insgesamt 186 stand Löw an der Seitenlinie. Und wenn er sich nicht gerade in einem unbedachten Moment in die Körpermitte griff, machte er eine gute Figur. Zwei Jahre lang arbeitete er dem Projektmanager Jürgen Klinsmann zu, ehe er zum Chef ernannt wurde. Einen derart erfrischenden Fußball, wie ihn die deutsche Nationalmannschaft zwischen 2010 und 2018 spielte, hatte ein DFB-Team zuletzt in den 70er-Jahren gezeigt. Löw ist ein Trainer von Welt-Format. Aber auch für die ist nicht die Ewigkeit, sondern nur ein Platz in den Annalen vorgesehen.

    Löw hat nun die vermeintlich letzte Chance ergriffen, seinen Abgang nach eigenem Gusto zu gestalten. Es ist eine der Parallelen zwischen ihm und der Bundeskanzlerin. Auch sie führt ihr Amt meistens ruhig und ließ sich die Wirkung von Kritik zumindest nicht allzu deutlich anmerken. Auch sie hört in diesem Jahr auf, und genauso wie die Nachfolgeregelung auf dem wichtigsten Posten des Landes noch nicht sicher ist, ist auch nicht klar, wer der künftige Regierungschef ist.

    Wobei es mehr Kandidaten gibt, denen die fachliche Kompetenz zuzutrauen ist, die besten Spieler des Landes geordnet auf das Feld zu schicken, als ernsthafte Kandidaten für das Kanzleramt zu finden sind.

    Jürgen Klopp allerdings hat sich vorerst selbst aus der Diskussion verabschiedet. „Nein, ich werde im oder nach diesem Sommer nicht als möglicher Bundestrainer zur Verfügung stehen. Ich habe ja einen Job“, sagte der Trainer des FC Liverpool. Die vermeintliche Absage könnte sich allerdings erledigt haben, falls sich der englische Traditionsverein und der deutsche Trainer noch in aller Freundschaft trennen sollten. Das scheint zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen, sind doch die Liverpooler in der heimischen Liga extrem abgestürzt.

    Neben Klopp gelten unter anderem noch Hansi Flick und Ralf Rangnick als befähigt. Flick allerdings ist beim FC Bayern angestellt, und die Münchner sind nicht gewillt, sich nach einem neuen Trainer umzutun, nur weil beim DFB Handlungsbedarf herrscht. Rangnick wiederum ist vertraglich nicht gebunden und würde sich den Job als Deutschlands wichtigster Trainer zweifelsfrei zutrauen. Fraglich ist nur, ob es sich seine Vorgesetzten auch zutrauen würden, Rangnick in dessen Gestaltungs- und Reformationswillen in verbandskonforme Bahnen zu lenken.

    Löw kann die Suche aus einer entspannten Beobachter–Rolle verfolgen. Mit dem Zeitpunkt seines angekündigten Rücktritts hat er dem DFB einen Gefallen getan und sich selbst Freiheit verschafft. Freiheit führt zu Gelassenheit. Nichts anderes ist dem Bundestrainer Joachim Löw während seiner letzten Monate wichtiger.

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