In Ermangelung sportlicher Bedeutung hatte Joachim Löw das Duell mit der türkischen Nationalmannschaft kurzerhand zur Bewerbungspartie für künftige Aufgaben umgedeutet. Weil der Bundestrainer freiwillig gleichsam auf sämtliche Spieler des FC Bayern und von RB Leipzig verzichtete, hatte er allerhand Plätze in der Mannschaft an Personal zu vergeben, das im Normalfall Länderspiele eher auf der heimischen Couch verfolgt. Die wenigsten aus dem bunt zusammengewürfelten Team nutzten ihre Chance, nachhaltig auf sich aufmerksam zu machen. So stand am Ende ein leistungsgerechtes 3:3, das aus Sicht der Deutschen als unglücklich zu bezeichnen ist, da der türkische Ausgleich weit in der Nachspielzeit der zweiten Halbzeit fiel. Die Partie hatte sich zuvor von einem unruhigen Abtasten zu einem kurzweiligen Hin und Her entwickelt – ohne allerdings viele spielerische Glanzpunkte zu setzen.
Das war allerdings auch nicht von dem Aufeinandertreffen zu erwarten gewesen. Am Montag versammelte sich die Mannschaft in Köln, zwei Trainingseinheiten später trat sie in einer Konstellation an, in der sie künftig nicht mehr zu sehen sein wird. Die 300 Fans im Stadion können somit immerhin für sich beanspruchen, Zeuge eines einmaligen Experiments gewesen zu sein. Ursprünglich hatte der DFB das Stadion für rund 9000 Fans öffnen wollen, doch aufgrund der zu hohen Sieben-Tage-Inzidenz war das nicht möglich. Die wenigen Karten verteilte der Verband an Personen, die in systemrelevanten Berufen tätig sind.
Deutschland gegen Türkei: Neuhaus überzeugt
Sie sahen eine deutsche Mannschaft, die Löw in der gleichen taktischen Grundformation schickte wie auch schon in den vergangenen Länderspielen. Vor Torwart Bernd Leno verteidigte eine Dreierkette, die von den Außenspielern Benjamin Henrichs und Nico Schulz in der Defensive fünfgliedrig agierte. Hinter dem Offensiv-Trio Julian Draxler, Luca Waldschmidt und Kai Havertz sollten Florian Neuhaus und Julian Brandt im Mittelfeld für Struktur sorgen. Der Gladbacher Länderspieldebütant Neuhaus überzeugte dabei durch umsichtiges Stellungsspiel und sicheres Passspiel. Als einer von wenigen hat der gebürtige Landsberger das Bewerbungsspiel für sich genutzt. Dass er in seinem ersten Länderspiel auch gleich sein erstes Tor zum zwischenzeitlichen 2:1 erzielte, war die Krönung einer hervorragenden Leistung.
Im Gegensatz zu Benjamin Henrichs und Nico Schulz zählt er in seinem Verein aber auch zum Stammpersonal. Den beiden Außenspielern war die fehlende Spielpraxis ebenso deutlich anzumerken wie Antonio Rüdiger, der beim FC Chelsea zuletzt keine Berücksichtigung mehr gefunden hat. So hatten es die Türken auch lange Zeit nicht schwer, das deutsche Team vom eigenen Tor fernzuhalten. Erst in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit offenbarte die Löw-Elf das vorhandene Potenzial. Havertz leitete fein weiter auf Draxler, der Keeper Mert Günok mit einem Lupfer keine Chance ließ.
Am Samstag wartet die Ukraine in der Nations League
Kurz nach der Pause allerdings leistete sich Schulz einen folgenschweren Fehlpass, von dem Ozan Tufan profitierte, der den Ball aus 18 Metern schön ins Tor hob (49). Nachdem neun Minuten später Neuhaus nach Pass von Havertz die abermalige Führung erzielt hatte, schien die deutsche Mannschaft das Spiel unter Kontrolle zu bekommen. Dann allerdings hatte der französische Schiedsrichter Benoit Bastien seinen großen Auftritt, als er ein offensichtliches Foul von Efecan Karaca an Neuhaus nicht pfiff. Der Türke tauchte so alleine vor Leno auf, ließ sich die Möglichkeit nicht nehmen und da in Freundschaftsspielen kein Video-Schiedsrichter eingesetzt wird, behielt der Treffer seine Gültigkeit (67.).
Fortan zeigte allerdings die deutsche Mannschaft mehr Engagement, die Partie doch noch zu ihren Gunsten zu entscheiden. Scheinbar belohnt wurden die Bemühungen durch Waldschmidt, der eine abgefälschte Hereingabe des eingewechselten Robin Gosens zum vermeintlichen Siegtreffer ins Tor wuchtete (81.). In der vierten Minute der Nachspielzeit nutzte allerdings Kenan Karaman eine Unaufmerksamkeit der deutschen Defensive zum abermaligen Ausgleich. So wartet die Löw-Elf seit dem vergangenen November auf einen Sieg. Damals gewann sie 6:1 gegen Nordirland. Am kommenden Samstag eröffnet sich für das Team die nächste Möglichkeit auf einen Sieg, wenn sie in der Nations League gegen die Ukraine antritt. Dann auch wieder mit den Spielern aus München und Leipzig.
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