Was hatten sie sich beim DFB aber auch früher ins Zeug gelegt. Karrten den Trainer extra auf 2962 Meter hinauf, auf dass er vom Gipfel der Zugspitze die Frohe Botschaft dem Volk verkünde. Vor der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz war das. Löw teilte von der Zugspitze aus mit, wer zum erlauchten Kreis gehört, der dazu erkoren war, den Titel zu holen. Und es dann doch nicht tat. Heiko Westermann gehörte dem Kader ebenso an wie Kevin Kuranyi oder Clemens Fritz.
Den Verantwortlichen des Deutschen Fußball-Bundes sind kaum zu viele Vorhaltungen für das desaströse Entscheidungsbild zu machen. Da vergleicht der Präsident seinen Vize mit einem Nazi-Richter, die Funktionäre demontieren sich gegenseitig und dann ist da noch eine Nationalmannschaft, die in den vergangenen Monaten 1:2 gegen Mazedonien und 0:6 gegen Spanien verloren hat. Immerhin aber scheinen sie rund um die Mannschaft verstanden zu haben, dass nun vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt ist, ein Team pompös vorzustellen und die Kadernominierung mit Hashtags und Slogans in den sozialen Netzwerken zu flankieren.
Fans fragen, Jogi Löw antwortet: Eine gute Sache des DFB
Frankfurt am Main befindet sich 112 Meter über Normalnull. Aus der dort ansässigen Verbandszentrale teilte der Bundestrainer mit, welche Spieler ihn in sein letztes Turnier begleiten. Anschließend beantwortete er Fragen. Von Senioren, Fans, Jugendlichen. Alle digital zugeschaltet. Das war nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht und ist daher als außergewöhnlich hervorzuheben.
Wenig überraschend berief Löw erstmals seit 2019 wieder Thomas Müller in den Kader. Der Münchner hatte sich durch seine herausragende Saison beim FC Bayern den Status "unverzichtbar" erspielt. Auf ein ähnliches Niveau brachte es Mats Hummels in Dortmund. Er profitierte allerdings auch davon, dass Niklas Süle in den beiden vergangenen Jahren nicht im Stande war, jene Lücke zu schließen, die Hummels hinterlassen hatte. Löw deutete an, dass die beiden zurückgeholten Routiniers nicht nur bei der Mannschaft weilen, um Geschichten von früher zu erzählen. "Logischerweise sind das Spieler, auf die wir setzen", so Löw. Eine Stammplatzgarantie könne er ihnen aber ebenso logischerweise nicht erteilen. Süle immerhin hat sich seinen Platz im Kader trotz geringer Spielzeit beim FC Bayern gerade noch so sichern können, während Jonathan Tah gar nicht unter den 26 Männern zu finden sind, deren Aufgabe es ist, die Schmach von 2018 zumindest teilweise zu tilgen.
Während mit Hummels und Müller spekuliert werden konnte, hatte Kevin Volland eher nicht damit gerechnet, Teile des Sommers im Kreise der deutschen Nationalmannschaft zu verbringen. Der Allgäuer in Diensten des AS Monaco hatte das letzte seiner bisherigen zehn Länderspiele im November 2016 gegen Italien bestritten. Aber auch dem Bundestrainer ist nicht entgangen, dass der Stürmer mit 16 Treffern in 34 Ligaspielen eine Qualität mitbringt, über die die wenigsten seiner restlichen Spieler verfügen: regelmäßig zu treffen.
Christian Günter ist bei der EM dabei - Ex-FCA-Spieler Philipp Max nicht
Über Christian Günter ist Derartiges nicht zu behaupten, auch wenn der Freiburger zuletzt sehenswert gegen den FC Bayern traf. Der Linksverteidiger rückte in den Kader, seine einzigen acht Länderspielminuten datieren aus dem Jahr 2014. Dafür muss beispielsweise der ehemalige Augsburger Philipp Max zu Hause bleiben.
Ohnehin ist oft spannender, wer nicht nominiert ist. Das sind diesmal beispielsweise auch noch Julian Brandt sowie Julian Draxler und somit zwei Spieler, deren verspielte Veranlagung Löw lange Zeit sehr geschätzt hat. In der Endphase seiner Schaffensphase als Bundestrainer aber scheint er nun verstärkten Wert auf Effizienz zu legen. Auch Heiko Westermann oder Clemens Fitz waren nicht unter den Ballstreichlern zu finden, rückten aber mit ihrer Mannschaft 2008 bis ins Finale vor. Ein Ziel, das Löw diesmal so nicht ausgeben will.
Sein Team geht als Außenseiter in die Europameisterschaft. Er ist sich aber sicher: "Wir wollen und werden ein gutes Turnier spielen." Ähnliches hat er bislang vor allen Turnieren erzählt. Lediglich einmal lag er daneben. Davon aber hat sich seine Reputation bislang nicht erholt. Nun steht die letzte Möglichkeit an, erfolgreich daran zu arbeiten. 2008 hatte Löw den Gipfel schon vor dem Turnier erklommen. Diesmal fängt er weiter unten an. Das Gute daran: Es kann nur aufwärtsgehen.
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