Es ist nicht immer leicht, mit Cristiano Ronaldo in einem Team zu spielen. Portugals Verteidiger Rúben Dias etwa gewann mit Manchester City die Champions League und viermal die englische Meisterschaft. Der 27-Jährige ist selbst eine große Nummer im europäischen Fußball, sonst hätte sein Club vor vier Jahren nicht rund 70 Millionen Euro Ablösesumme für ihn bezahlt.
Nach dem EM-Aus im Viertelfinale gegen Frankreich aber stand Dias am Ausgang des Hamburger Volksparkstadions und wurde nicht nach seiner Leistung gefragt, sondern nach der von «CR7». Alles bei den Portugiesen dreht sich um ihren Superstar, das ist schon seit Jahren so. Nach diesem bitteren 3:5 im Elfmeterschießen aber hatte einer der besten und wichtigsten Mitspieler darauf keine Lust mehr. «Gibt's noch andere Fragen?», meinte Dias - und ging.
Für den EM-Rekordspieler und -Torschützen Ronaldo war diese Niederlage das letzte EM-Spiel seiner Karriere. Bei der nächsten Europameisterschaft 2028 in Großbritannien und Irland wird er nicht mehr dabei sein. Das hatte der 39-Jährige schon vor dem Frankreich-Spiel erklärt.
Erstes großes Turnier ohne eigenes Tor
Für den so ehrgeizigen wie geltungsbewussten Stürmer war dieser Abschied von zumindest einer großen Bühne ein ziemliches Desaster, denn das Echo darauf ist nicht: Respekt, dass jemand mit 39 Jahren noch auf diesem Niveau mitspielt. Sondern: Wie weit hätten die Portugiesen bei diesem Turnier ohne ihn kommen können? Was wäre möglich gewesen, wenn sie für den berühmtesten Spieler ihrer Geschichte nicht das Leistungsprinzip geopfert, sondern im Angriff lieber dem 16 Jahre jüngeren Gonçalo Ramos (Paris Saint-Germain) oder dem 12 Jahre jüngeren Diogo Jota (FC Liverpool) vertraut hätten?
Gefüttert wird diese Einschätzung allein durch die nackten Zahlen. Bei seiner elften Welt- oder Europameisterschaft blieb Ronaldo zum ersten Mal ohne eigenen Torerfolg aus dem Spiel heraus. Am Freitagabend kam er in 120 Spielminuten nur auf 40 Ballkontakte. Das Duell der Superstars mit Frankreichs angeschlagenem Stürmer Kylian Mbappé lief komplett an ihm vorbei.
Schlechteste Note des Spiels
Portugals größte Sportzeitung «A Bola» gab Ronaldo die schlechteste Note aller Spieler. «Die Mannschaft verbesserte ihre Leistung im Vergleich zu den vorherigen Spielen. Für den Kapitän galt das jedoch nicht», hieß es zur Begründung. «Er war weder an seine Teamkollegen angebunden, noch konnte er sich durchsetzen.»
Das Fazit des «Guardian» fiel noch verheerender aus. «Portugal gegen Frankreich: Ein galaktischer Kampf, der im schwarzen Loch des Egos eines Mannes verloren geht», titelte die britische Zeitung.
Dieses harte Urteil geht zurück auf den weit verbreiteten Verdacht, Ronaldos Einfluss auf das portugiesische Team sei immer noch viel zu groß. Niemand traue sich, ihn zu kritisieren oder auf die Bank zu setzen. Und er selbst stelle das Erreichen persönlicher Rekorde über den Erfolg des gesamten Teams.
Auch darauf gibt es Hinweise: Etwa dass fast alle portugiesischen Spieler nach dem Elfmeterschießen erst einmal den einzigen Fehlschützen João Félix trösteten - bis auf den Kapitän. Oder dass 20 von 26 Spielern des portugiesischen Kaders bei dieser EM von Ronaldos Management vertreten werden. Auch das stärkt seine Position.
Abschied vom Nationalteam?
Nur Portugals Trainer Roberto Martínez beharrte bis zum Ende des Turniers darauf, dass sein Festhalten an Ronaldo rein sportliche Gründe habe. «Für uns als Nationalmannschaft ist er ein Vorbild», sagte der Spanier. «Er will jeden Tag gewinnen. Er will jeden Tag den Wettkampf.»
Ob Ronaldo noch bis zur nächsten Weltmeisterschaft in zwei Jahren weitermacht, ist unklar. Er selbst verschwand nach dem Frankreich-Spiel kommentarlos im Mannschaftsbus. Und auch Martínez wich den Fragen dazu aus. Selbst der 41 Jahre alte Pepe konnte sich am Freitagabend noch nicht zu einem Abschied aus der Nationalmannschaft durchringen. Dies sei nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen, sagte Ronaldos langjähriger Freund und Teamkollege.
Sicher ist nur: Portugals Team hat auch ohne diese beiden Veteranen eine glänzende Perspektive. Diogo Costa (FC Porto), Vitinha, Nuno Mendes (beide Paris Saint-Germain) oder Rafael Leão (AC Mailand): Keiner dieser Stammspieler ist älter als 25 Jahre. Und Toptalente wachsen ständig nach. «Das ist ein harter Moment heute. Aber von uns wird noch einiges kommen», sagte Rúben Dias. Und das eher ohne als mit Ronaldo.
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