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Fußball-EM der Frauen: Warum Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg schon titelreif ist

Fußball-EM der Frauen

Warum Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg schon titelreif ist

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    Martina Voss-Tecklenburg hofft mit der deutschen Nationalmannschaft bei der EM auf den ganz großen Erfolg.
    Martina Voss-Tecklenburg hofft mit der deutschen Nationalmannschaft bei der EM auf den ganz großen Erfolg. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Erst kürzlich, das erzählt Martina Voss-Tecklenburg fast am Ende des Gesprächs, war sie wieder unendlich stolz. Auf sechs Nationalspielerinnen, die spontan zum Zeugwart Steve Smith gingen, der einen Berg schmutziger Wäsche vor sich liegen hatte. Der gewichtige US-Amerikaner gilt als die gute Seele der deutschen Delegation. Gemeinsam war der riesige Haufen in Windeseile wegsortiert. Es sind kleine Dinge, die bei Fußball-Turnieren etwas Großes wachsen lassen.

    Und wenn alle gemeinsam anpacken, dann wird Deutschlands Frauen-Nationalteam auch das EM-Viertelfinale gegen Österreich (Donnerstag 21 Uhr/ARD) meistern. Davon ist die Bundestrainerin überzeugt, die erstmals abseits der offiziellen Pflichttermine in England ausführlich über ihre Arbeit und ihre Person gesprochen hat. Der Wandlungsprozess ist offenkundig.

    Voss-Tecklenburg ist der Anker für das deutsche Team bei der EM

    Die 54-Jährige ist jetzt viel mehr Anker als bei der WM 2019, die mit dem Viertelfinal-Aus gegen die Schwedinnen (1:2) an jener Stelle endete, an der der achtfache Europameister jetzt wieder steht. Im langen Vorlauf auf jenes K.-o.-Duell verzettelte sich auch Voss-Tecklenburg, die eine überraschende Aufstellung wählte. Die Kenntnis über Stärken und Schwächen jeder einzelnen, gerade in Drucksituationen, sei damals noch nicht vorhanden gewesen, "wir waren 2019 in vielen Bereichen noch nicht so weit", gesteht sie. Experimente wie damals wird es nicht mehr geben. Der Respekt vor den Österreicherinnen ist groß, aber sie sagt auch: "Wenn wir scheitern, scheitern wir an uns. Aber das kann ich mir im Moment nicht vorstellen."

    Es ist kein Geheimnis, dass auch Voss-Tecklenburg und ihr Team in Frankreich noch nicht titelreif waren. Es hakte auch zwischenmenschlich. Die vom DFB ausgewählte, inzwischen eng an sie gebundene Assistentin Britta Carlson, der aus der Zeit von Horst Hrubesch übernommene Thomas Nörenberg und der aus der Schweiz mitgebrachte Patrik Grolimund brachten unterschiedliche Charaktere, Ansichten und Herangehensweisen mit. Beim allerersten Lehrgang im Winter 2019 in Marbella hätten alle wild durcheinander etwas hineingerufen. Das konnte nicht gut gehen. Der Findungsprozess war mühsam; und Voss-Tecklenburg eine Treiberin. Treffen im Schwarzwald, Teamevent auf einer Hütte oder auch ein Gin-Testing halfen, um sich besser kennenzulernen. Und: "Einmal im Jahr lade ich alle nach Straelen zu mir nach Hause ein." Ihr Ziel: belastbare Beziehungen schaffen. Ihr Credo: "Wir brauchen erst Klarheit bei uns, bevor wir Klarheit bei den Spielerinnen verlangen."

    Es gibt viele Indizien dafür, dass die DFB-Fußballerinnen diesmal nicht über die Hürde ins Halbfinale stolpern. Dass der Weg auch in Milton Keynes, wo es nächsten Mittwoch zum Halbfinale gegen Frankreich oder Niederlande kommen könnte, auch noch nicht vorbei ist. Und doch sagt die Trainerin: "Wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen." Da wo ihr Team jetzt stehe, "das ist nicht außergewöhnlich, das ist der Anspruch".

    Mittlerweile kann Voss-Tecklenburg delegieren

    Eine Fußballlehrerin erspäht immer Steigerungspotenzial. "Wenn wir das nächste Mal gegen Spanien spielen, möchte ich nicht nur 30 Prozent Ballbesitz haben." Das von ihr mitentworfene Playbook bis runter zu den U15-Juniorinnen umfasst 100 Seiten. Vom Spielaufbau über Pressingverhalten bis Angriffsspiel. Voss-Tecklenburg hat gebraucht, um ihre Rolle als DFB-Trainerin für sich zu fassen. "Ich war immer sehr dominant. Ich wollte am liebsten von vorne bis hinten als Trainerin alles alleine machen." Heute kann sie delegieren. Sehr viel sogar.

    Und sie hat es sich abgewöhnt, mit dem erhobenen Zeigefinger herumzulaufen. Als 125-fache Nationalspielerin hat sie es zwar nicht anders kennengelernt, dass vorgegeben wird, was gemacht wird, aber heutzutage wollen die Spielerinnen mehr Feedback. Der Perspektivwechsel, erklärt sie, schaffe Vertrauen. Nur überall kann sie sich nicht ändern. Mag sie gerade entspannt rüberkommen, werden ihre Emotionen stets Teil von ihr bleiben. Wenn sie am Spielfeldrand schreie, sei das keine konstruktive Hilfe, "die Anweisungen müssen klar und sauber sein". Auch da wähnt sich eine fast rastlose Persönlichkeit weiter. Nur muss selbst eine lebensbejahende Powerfrau mal runterfahren.

    Nach dem Aufstehen gegen 6.45 Uhr geht sie im Teamhotel eine halbe Stunde Schwimmen. Die erste Sitzung nach dem Frühstück startet um 9.15 Uhr. Abends, das bringt ein Turnier mit sich, "wird wieder oft Fußball geschaut". Sie geht meist als eine der Letzten ins Bett, weil sie gerne Karten spielt, mit Leuten aus dem Staff redet. Kürzlich am freien Tag hat sie mal zwei Stunden in der Hängematte gelegen. Eine Ausnahme.

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