Manuel Neuer verkroch sich nicht, er stahl sich nicht heimlich davon. Deutschlands Rekordtorwart trat nach seiner folgenschweren Rot-Premiere vielmehr erst vor eine TV-Kamera und stellte sich dann vor die große Reporterschar in der Münchner Fußball-Arena. Und da übernahm der Kapitän die Verantwortung für das erneute frühe Pokal-Aus des FC Bayern bei dem emotional aufgeladenen 0:1 (0:0) gegen Titelverteidiger Bayer Leverkusen.
«Das ist natürlich spielentscheidend und tut uns weh», sagte Neuer zu seiner missglückten Rettungsaktion außerhalb des Strafraums gegen Leverkusens Turbo-Kicker Jeremie Frimpong. 867. Profispiel, erster Platzverweis. Und der Versuch einer Erklärung und persönlichen Verteidigung für das, was in der 17. Minute schieflief, als er aus seinem Strafraum herausstürmte und es krachte.
Neuer: Heftig war das Foul nicht
«Ich wollte die Situation lösen. Ich habe den Ball aber nicht berührt», schilderte Neuer. Er streifte sofort die Kapitänsbinde ab, die Entscheidung Notbremse von Schiedsrichter Harm Osmers musste Deutschlands Rekordtorwart widerwillig akzeptieren. «Ich stand da und habe keine aktive Foulsituation kreiert. Heftig war das Foul nicht», meinte Neuer. Frimpong lag mit Schmerzen am Boden.
Beim Verlassen des Platzes entschuldigte sich Neuer «bei dem ein oder anderen» Teamkollegen, sprach kurz mit Ersatztorwart Daniel Peretz und bangte dann vergebens über 70 Minuten lang als Zuschauer mit seinem dezimierten Team: «Die Mannschaft hat alles gegeben, sehr viel investiert, dass wir es trotzdem irgendwie schaffen. Das war beeindruckend.»
Um die Schlüsselszene, auf die 52 Minuten später der spielentscheidende Kopfball von Leverkusens Joker Nathan Tella («das wichtigste Tor meiner Karriere») folgte, drehte sich hinterher fast alles. Und sie wirft ein weiteres Schlaglicht auf den 38 Jahre alten Neuer, der gerade das letzte Kapitel einer einzigartigen Torwart-Karriere schreibt. Mit Happy End?
Der Wunsch, die DFB-Laufbahn als (Heim-)Europameister zu beenden, platzte im Sommer nach einem letzten ordentlichen Turnier als ewige Nummer 1 unglücklich im Viertelfinale gegen Spanien. Und ob es mit dem großen «Finale dahoam» in der Champions League am 31. Mai 2025 in München klappt?
Direkt danach kommt auch noch die erste Club-WM im Megaformat mit 32 Mannschaften in den USA, für die am Donnerstag (19.00 Uhr MEZ) die Vorrundengruppen ausgelost werden. Auch diese Titelbühne bleibt noch.
Er ist nicht mehr «Manu, der Libero»
Ein Neuer-Gedanke ist, noch bis 40 im Tor zu stehen. Den auslaufenden Vertrag nochmals bis 2026 zu verlängern, werden ihm die Bayern kaum verwehren. Aber auch an Neuer nagt die Zeit. Er ist längst nicht mehr «Manu, der Libero», der wie beim WM-Triumph 2014 mit seinen Ausflügen weit vors Tor die ganze Fußball-Welt in Staunen versetzte. Die Handlungsschnelligkeit lässt nach, das Risiko steigt. Nach Gegentoren wird heute anders über Neuer diskutiert.
Kimmich: Manu hat uns schon oft gerettet
Vereinsbosse, Trainer und Kollegen müssen öfter als Fürsprecher auftreten. «Manu hat uns da schon sehr oft gerettet. Zu 99,9 Prozent trifft er die richtigen Entscheidungen. Kein Vorwurf!», sagte Joshua Kimmich. «Manu ist ein sehr schlauer Torwart, der normal diese Bälle riecht. In dem Moment hat es nicht funktioniert», sagte Sportvorstand Max Eberl nachsichtig.
«Manu ist ein Torwart mit so viel Erfahrung. Du musst immer Entscheidungen treffen. Das ist Fußball», kommentierte Vincent Kompany. Glücklich war der Trainer mit dieser nicht.
Der erste Titel der Saison ist futsch. Im fünften Jahr nacheinander verpassen die Bayern ihr 25. Pokalfinale. «Das nervt extrem», gestand nicht nur Kimmich. Die Münchner waren eifrig bemüht, sich an ihrer Leistung, ihrem Widerstand zu zehnt aufzurichten, zumal ohne den verletzten Torjäger Harry Kane. «Es war mit unsere beste Leistung. Wir sind auf dem richtigen Weg», sagte Kimmich.
«Gegen eine Mannschaft von Xabi mit zehn Mann zu spielen, ist unglaublich schwierig», sagte Kompany in der Pressekonferenz neben Alonso sitzend: «Die Leistung war besonders. Wenn das Gefühl bleibt, wenn die Energie bleibt, dann werden wir in Zukunft noch viel gewinnen, Titel gewinnen.»
Eberl blafft Reporter an
Beim Thema Münchner Topspiel-Bilanz ging derweil Eberl hoch wie früher in der Zigarettenwerbung das legendäre HB-Männchen. «Ich weiß, dass Sie alles infrage stellen. Das ist mir relativ scheißegal», blaffte der 51-Jährigen einen Reporter an, der auf schlechte Resultate wie gegen den FC Barcelona (1:4) oder in der Bundesliga gegen Leverkusen (1:1) und in Frankfurt (3:3) abzielte.
«Das ist heute nicht die Frage, größere Gegner zu besiegen. Wir sind einen Mann weniger. Auch wenn man es auf dem Platz nicht gesehen hat. Deswegen ist dieses Spiel raus aus der ganzen anderen Statistik», argumentierte Eberl.
Bayers «Gewinner-Mentalität» ist zurück
Und Bayer? Die Double-Gewinner von Bayern-Schreck Alonso (3 Siege, zwei Remis) liefen mit einem Dauerlächeln durch die Arena. Alonso sprach von «einer sehr wichtigen Nacht». Die Leverkusener fürchten unter ihm die Über-Bayern nicht mehr, sie freuen sich auf die hitzigen Gigantentreffen der Neuzeit.
«Es hat sich ein gewisses Selbstverständnis entwickelt, dass wir keine Angst haben, sondern mutig sind», sagte Nationalspieler Jonathan Tah. Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes spürt nach dem holprigen Saisonstart wieder «eine andere Gewinner-Mentalität» in den eigenen Reihen. Er gab eine selbstbewusste Prognose ab: «So werden wir noch viele Spiele gewinnen.»
Rolfes richtete in der Nacht zum Mittwoch sogar indirekt noch einen Abschiedsgruß an Uli Hoeneß, der die Meisterschale schon wieder im Münchner Trophäenschrank wähnt. «Die Bundesliga-Saison ist auch noch lang», sagte er trotz sieben Punkten Rückstand auf Primus Bayern und verkündete im Pokal-Glücksrausch: «Ich schreibe gar nichts ab im Fußball!»
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