Thomas Tuchel umarmte seine grinsenden Bayern-Profis, Rekordstürmer Harry Kane schnappte sich sofort den Spielball: Mit einer erneuten Machtdemonstration im deutschen Klassiker hat sich der FC Bayern bei Borussia Dortmund den Frust von der Seele geschossen.
Drei Tage nach dem peinlichen Pokal-Aus gewann der Rekordmeister mit 4:0 (2:0). Der BVB präsentierte sich allen Beteuerungen zum Trotz wieder einmal nicht auf Augenhöhe - und hat mit sieben Punkten Rückstand auf Tabellenführer Bayer Leverkusen erst einmal den Anschluss an die Spitze verloren.
"Das war, denke ich, unser bestes Spiel in dieser Saison", sagte Dreifachtorschütze Kane bei ESPN. "Es wird besser und besser von Spiel zu Spiel. Es war gut, dass wir nicht viel Zeit zum Nachdenken hatten und sofort die Gedanken auf dieses Spiel richten mussten." Kapitän Manuel Neuer äußerte bei Sky: "Wir haben uns von der richtigen Seite gezeigt."
Beim BVB herrschte naturgemäß eine andere Stimmung. "Ich hatte das Gefühl, dass die Bayern einfach aggressiver in den Zweikämpfen waren", sagte BVB-Torwart Gregor Kobel. "Sie waren gefährlicher. Warum? Schwer zu sagen." Die Dortmunder hätten "mehr dagegenhalten müssen", fügte er an. "Das bessere Team hat gewonnen, ganz klar."
Kane mit Bestmarke nach zehn Bundesliga-Spielen
Für die nach dem 1:2 beim Drittligisten 1. FC Saarbrücken gescholtenen Bayern erzielte Kane drei Tore (9. Minute/72./90.+3), zur Führung traf Dayot Upamecano (4.) - es war der zehnte Bayern-Sieg in den vergangenen elf Pflichtspielduellen mit den Westfalen. Kane schaffte damit als erster Bundesliga-Spieler 15 Tore in seinen ersten zehn Spielen. Der letzte Sieg des BVB gegen den FCB liegt fast genau fünf Jahre zurück.
Wie vor sieben Monaten, als die Münchner mit einem 4:2 gegen Dortmund nach der Trennung von Julian Nagelsmann eine starke Reaktion gezeigt hatten, war es auch diesmal wieder ein immens wichtiger Sieg. Das Tuchel-Team bleibt Leverkusen als Zweiter mit zwei Zählern Rückstand auf den Fersen.
Upamecano trifft nach 183 Sekunden zum 1:0
Wie so oft, wenn die Bayern unter Druck standen, offenbarten sie ihre gesamte Klasse. All die Brisanz dieses Duells, all der Druck, der auf den Gästen lastete, schien schon früh im Spiel weg. Bereits nach 183 Sekunden köpfte Bayerns Innenverteidiger Upamecano eine von Leroy Sané getretene Ecke problemlos ins Tor. Nationalverteidiger Nico Schlotterbeck und der später im Spiel starke Torhüter Kobel, der auf der Linie verharrte, verweigerten die Gegenwehr.
Upamecano war erst in dieser Woche ins Training der Münchner zurückgekehrt. Nur sechs Minuten später erlebte auch Bayerns neuer Goalgetter Kane sein spezielles Erfolgserlebnis in diesem speziellen Duell. Der 100-Millionen-Euro-Mann drückte eine Sané-Vorarbeit zu seinem ersten Tor über die Linie. Im Laufduell war Sané (27) dem sieben Jahre älteren Mats Hummels vor den Augen des inzwischen zum Bundestrainer ernannten Nagelsmann davon gesprintet.
Debatte über Personalprobleme beim FCB vorbei?
Vergessen schien plötzlich die Kritik an Tuchel, der 2017 als Pokalsieger-Coach in Dortmund beurlaubt worden war, dafür, dass er die Bayern scheinbar nicht weiter als Nagelsmann gebracht habe. Vergessen schienen auch die Diskussionen über die Personalprobleme der Bayern, die mit einem arg kleinen Kader in die Saison gegangen waren. Upamecano und auch Leon Goretzka (mit Schiene am Arm) waren rechtzeitig wieder fit geworden und konnten den rotgesperrten Joshua Kimmich und den am Knie verletzten Matthijs de Ligt ersetzen.
Angesichts der in Dortmund unter anderem mit Serge Gnabry, Thomas Müller und Mathys Tel hervorragend besetzten Bayern-Bank glichen die Diskussionen der vergangenen Tage und Wochen ohnehin einer Schein-Debatte. Die Dortmunder kämpften sich zwar nach dem 0:2 wieder ins Spiel, deutliche qualitative Unterschiede zugunsten der Bayern-Spieler waren aber unübersehbar. Erst in der Nachspielzeit der ersten Hälfte hatte der BVB durch Donyell Malen die erste Torchance.
BVB bleibt auch nach der Pause blass
Wer auf eine Reaktion der Westfalen nach der Pause gehofft hatte, wurde bitter enttäuscht. Auch mit dem nun eingewechselten Ex-Bayern-Profi Niklas Süle in der Abwehr lud die BVB-Defensive die Bayern zu Groß-Chancen ein. Immerhin versuchte das Team von Trainer Edin Terzic aber bis zum Ende alles, was in seiner Macht stand. Es war wieder einmal im Duell mit den Bayern zu wenig.
In der 72. Minute entschied der englische Nationalstürmer Kane mit seinem 14. Saisontor die Partie endgültig und sorgte für entfesselten Jubel des gesamten Münchner Kaders auf dem Platz ein Indiz für den riesigen Druck, unter dem die Bayern gestanden hatten. Das nächste Tor des Starstürmers machte den Abend für den BVB noch bitterer. (dpa)