Wer mit Toni Kroos ein freundliches Gespräch über dessen fußballerische Entwicklung führen möchte, sollte nicht allzu kritisch fragen. Andernfalls könnte das Gespräch kurz und kühl bleiben. Abzuraten ist vor allem von Fragen, die auf seine häufig blassen Auftritte bei entscheidenden Spielen oder großen Turnieren abzielen. Dann kann es sein, dass der 24-Jährige schmallippig zurückfragt, man solle ihm doch, bitte schön, diese Spiele aufzählen. Nichts einfacher als das.
Beispielhaft dafür ist die Europameisterschaft 2012. Joachim Löw hatte für das defensive Mittelfeld auf Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira gesetzt. Kroos war damit zunächst nur Reservist, worüber er in einem Interview unverhohlen klagte. Ein Verhalten, das unter Spielern und Trainern verpönt ist und noch keinen einem Einsatz näher gebracht hat.
Als Kroos dann überraschend für das Halbfinale gegen Italien aufgeboten war, gehörte er zu den größten Verlierern der Rochade, mit der Joachim Löw das deutsche EM-Aus eingeleitet hatte. Kroos hätte Italiens Andrea Pirlo beschatten sollen, war allerdings meist uninspiriert und schwerfällig hinter dem Genius der Azzurri hergetrabt. Damit hatte der Mittelfeldspieler des FC Bayern wieder einmal das Bild bedient, das seine Kritiker gerne von ihm zeichnen: Jenes des schweren Schrittes dahintrabenden Ballverteilers, der das Spiel verlangsamt, mag er auch noch so präzise Pässe spielen. Letzteres, immerhin, gestehen ihm selbst seine größten Kritiker zu.
Niedrige Fehlpass-Quote und überragende Schusstechnik
Was bleibt, ist ein Spieler, der die Fußball-Öffentlichkeit spaltet. Den die einen für seine staunenswert niedrige Fehlpassquote und seine überragende Schusstechnik schätzen, andere wegen seines schleppenden Spiels am liebsten nur auf der Bank sähen.
Kroos weiß das. Fragen danach beantwortet er kurz und stereotyp. Es sei nicht sein erstes Ziel, die Öffentlichkeit geschlossen auf seiner Seite zu haben, es reiche ihm, wenn die Trainer ihn schätzten. Daran gibt es nach dem 4:0 im ersten Gruppenspiel gegen Portugal keine Zweifel. „Toni spielt die komplette Saison schon auf sehr hohem Niveau. Dass er zur ersten Elf gehört, ist absolut berechtigt“, bestätigt Löw-Assistent Hansi Flick.
Dass der Mittelfeldspieler in der feuchtheißen Luft von Salvador mit 11,7 Kilometern mehr gelaufen ist als jeder andere deutsche Spieler, hat ihn selbst überrascht. Dass von 79 Zuspielen beeindruckende 76 ihren Adressaten fanden, ist ein Anspruch, den er an sich selbst hat: „Im Zentrum ist es wichtig, Ballverluste gering zu halten. Das ist mein Ziel.“
Kroos hat den Etablierten den Rang abgelaufen
In Brasilien hat für Toni Kroos ein neues Spiel, unter umgekehrten Vorzeichen, begonnen. Dieses Mal sitzt sein Münchner Teamkollege Bastian Schweinsteiger nur auf der Bank. Auch Sami Khedira ist nach seiner langen Verletzungspause im Mittelfeld-Ranking hinter Kroos notiert.
Immer dann, wenn der 24-Jährige ohne Über-Ich an seiner Seite Regie führen darf, liefert er seine stärksten Auftritte ab. Dann bestimmt er Rhythmus, Takt und Tempo eines Spiels.
Für die Brasilianer ist der gebürtige Greifswalder, der schon als Jugendlicher über Hansa Rostock zum FC Bayern kam, auf dem Platz der „Garçom“. Der Kellner, der die Mitspieler bedient. Ein Titel, mit dem Kroos einverstanden ist – jedenfalls, was sein Tagesgeschäft betrifft. „Abends“, räumt er augenzwinkernd ein, „nehme ich lieber selbst die Getränke entgegen.“
Flick dagegen wünscht sich den Ballverteiler mitunter auch im Spiel weniger selbstlos: „Was Toni verbessern kann, ist, mehr Tore selbst zu erzielen.“ Die Quote von fünf Treffern in 45 Länderspielen ist für einen Mittelfeldspieler mit großartiger Schusstechnik tatsächlich nur durchschnittlich.
Der 24-Jährige hat seine besten Fußballer-Jahre noch vor sich
Andererseits hat der 24-Jährige seine besten Fußballer-Jahre noch vor sich. Offen ist derzeit, wo er sie erlebt. Während Thomas Müller und Philipp Lahm gerade ihre Verträge beim FC Bayern verlängert haben, zögert Kroos noch damit, sich über 2015 hinaus an die Münchner zu binden. Nächsten Sommer wäre er ablösefrei, was schon jetzt das Interesse einiger Großklubs geweckt hat. Der FC Chelsea, heißt es, locke mit einem Jahresgehalt von 8,5 Millionen Euro, was eine Verdopplung seiner aktuellen Bezüge bedeuten würde.
Auch Real Madrid sei mit einem Fünf-Millionen-Euro-netto-Angebot unter den Interessenten. Der FC Bayern will sein Gehalt dagegen angeblich nur auf sechs Millionen Euro aufstocken. Kroos zu seinen Plänen: „Bei mir gibt es nichts Neues. Es hat sich in Bezug auf die Zeit vor der WM nichts geändert. Wenn es etwas Neues gibt, werdet ihr alle davon erfahren.“ Falsche Frage also – und wer die falschen Fragen stellt, lernt Kroos richtig kennen.