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WM 2014: Joachim Löw: Gelassen am Abgrund

WM 2014

Joachim Löw: Gelassen am Abgrund

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    Der Breisgau-Mönch meditiert am Spielfeldrand: Joachim Löw während der Partie gegen Algerien. Man hat ihn allerdings in der ersten Halbzeit auch weniger gelassen gesehen. Am Ende aber herrschte Zufriedenheit.
    Der Breisgau-Mönch meditiert am Spielfeldrand: Joachim Löw während der Partie gegen Algerien. Man hat ihn allerdings in der ersten Halbzeit auch weniger gelassen gesehen. Am Ende aber herrschte Zufriedenheit. Foto: Patrik Stollarz (afp)

    Wenn es noch eines Beleges dafür bedurft hatte, dass es so gut wie unmöglich ist, Joachim Löw aus seinem Schwarzwälder Gleichgewicht zu bringen, dann hat ihn der Montagabend von Porto Alegre geliefert. Löw war mit der Nationalmannschaft gerade hauchdünn am WM-Aus vorbeigeschrammt, seinem dann wahrscheinlich letzten Einsatz als Bundestrainer.

    In Deutschland war es schon weit nach Mitternacht, als der 54-Jährige im Zustand eines selbstversunkenen Breisgau-Mönches auf die dramatischen 120 Minuten des 2:1-Achtelfinalerfolges gegen Algerien blickte.

    Was er sah, schien ihn nicht zu beunruhigen. Mochte Fußball-Deutschland noch so erschüttert sein von einer furchtbaren ersten Halbzeit, in der Löws Truppe so gut wie nichts gelang. Mochten Skeptiker nach dem mühsam erzwungenen Sieg über den Außenseiter aus Nordafrika für das Viertelfinale am Freitag gegen Frankreich den endgültigen WM-K.-o. prophezeien – Jogi hatte sich entschlossen, zufrieden zu sein.

    Mustafi war schlicht überfordert

    Wen das überraschte, dem kam der 54-Jährige mit einer Gegenfrage. „Warum soll ich enttäuscht sein, wenn wir es gerade unter die letzten Acht der WM geschafft haben?“ Ja, warum?

    Vielleicht, weil es, selbst bei freundlicher Einschätzung, über eine Stunde lang nicht danach ausgesehen hat. Eher sogar nach dem Gegenteil. Weil die neuformierte Viererkette, in der Jérôme Boateng auf die Position des Grippe-erkrankten Mats Hummels gerückt war und der überforderte Shkodran Mustafi wieder hatte nachrücken dürfen, eine Schrecksekunde nach der anderen verursachte, weshalb Per Mertesacker als Teil der Abwehr wohl auch deutlich verspannter auf Fragen reagierte als sein Chef.

    Mertesacker, der zwar halbwegs ordentlich gespielt hatte, aber mit jeder Partie langsamer zu werden scheint, blaffte den ZDF-Reporter Boris Büchler auf dessen Frage nach dem lange Zeit schleppenden Tempo im deutschen Spiel grantig an: „Ist mir doch wurscht. Wir sind unter den letzten Acht. Das zählt.“ Danach wurde der Verteidiger offensiv. „Glauben Sie, dass hier unter den letzten 16 Teams eine Karnevalstruppe dabei ist?“, wollte Mertesacker von Büchler wissen, der dann lieber doch auf eine Antwort verzichtete.

    Man hätte Mertesacker auch noch fragen können, warum der Bayern-Block Lahm – Schweinsteiger – Kroos so lange mehr mit sich selbst als mit der Spielgestaltung beschäftigt war. Alles in allem hatte das Algerien dem Viertelfinale bis Mitte der zweiten Halbzeit näher gebracht als Deutschland. Erst nach einer dramatischen Verlängerung mit den Toren von André Schürrle (92.) und Mesut Özil (120.) sowie dem Gegentreffer des Algeriers Djabou (120. + 1) war es umgekehrt.

    Teamchef: Wen würden Sie gegen Frankreich aufstellen?

    Das alles hatte der Bundestrainer im weiten Bogen auch gesehen, im Detail und im Ergebnis aber doch anders interpretiert. „Wir hatten im Mittelfeld zu viele Ballverluste, die uns das Verteidigen schwer gemacht haben“, versuchte der Bundestrainer seine Viererkette zu entlasten. Tatsächlich war das bis dahin hoch gelobte Pass-Spiel mit der höchsten Erfolgsquote aller WM-Teilnehmer zum Erliegen gekommen. Bastian Schweinsteiger, der den Vorzug vor Sami Khedira erhalten hatte, fiel weit hinter seinen starken Kurz-Auftritt gegen Ghana und die solide Leistung in der Begegnung mit den USA zurück.

    „Es war nicht zu erwarten gewesen, dass er schon im zweiten Spiel von Beginn im Vollbesitz seiner Kräfte ist“, nahm der Bundestrainer den 29-Jährigen in Schutz, der vor der WM lange verletzt war und sich erst im Trainingslager in Südtirol wieder an die Startelf herangearbeitet hatte. Löw: „Schweinsteiger war kräftemäßig am Limit.“

    Warum er ihn dann nicht schon früher aus dem Spiel nahm als erst in der zweiten Hälfte der Verlängerung, hat Löw allerdings offengelassen. Der völlig überforderte Shkodran Mustafi war sogar schon nach 45 Minuten reif für die Ersatzbank, was der Bundestrainer anders sah. Es bedurfte eines Muskelbündelrisses im Oberschenkel, die den Genua-Legionär erlöste.

    Schürrle war einer der Gewinner des Algerien-Spiels

    Für Mustafi ist die WM damit vorbei, für Khedira ging sie erst einmal weiter. Der Spanien-Legionär rückte an Schweinsteigers Seite, Lahm wechselte auf Mustafis Verteidigerposition.

    Die Wende zum Bessern war freilich schon vorher gekommen. André Schürrle, der den blassen Mario Götze zur Halbzeit ersetzt hatte, sorgte für frischen Wind und brachte Deutschland nach zwei Minuten der Verlängerung und dem kunstfertigen Abschluss einer Müller-Vorlage auf Viertelfinalkurs. Dass die deutsche Mannschaft die Partie nicht schon vorher entschieden hatte, lag an Algeriens überragendem Torhüter Rais Mboli, dem späteren „Man of the Match“.

    „Es war ein Sieg des Willens“, bilanzierte der Bundestrainer, in dem „die bessere Physis entschieden hat.“ Tatsächlich wälzten sich gegen Ende der Partie immer wieder Algerier mit Muskelkrämpfen auf dem Rasen, während sich die Deutschen vergleichsweise aufrecht ins Ziel retteten.

    Am Freitag (18 Uhr) wartet in Rio de Janeiro Frankreich, das Nigeria 2:0 besiegt hat. Mag das Team von Didier Deschamps auch zu den Überraschungen dieser WM zählen – Löw aus der Ruhe zu bringen, wird wohl auch den Franzosen nicht vergönnt sein.

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