Wenn Niederländer über Belgier spotten, dann am liebsten zum Thema Fußball. "Wann haben die denn zum letzten Mal international auf sich aufmerksam gemacht?", fragte unlängst ein zwischen Groningen im Norden und Maastricht im Süden bekannter Sportreporter, um sich die Frage, laut lachend und auf die Schenkel klopfend, noch im Fernsehstudio gleich selbst zu beantworten: "1995!"
Die letzten Erfolge datieren aus den 80er Jahren
Er spielte auf Jean-Marc Bosman an. Jenen mittelmäßigen Zweitligastürmer, der das nach ihm benannte Urteil zum ablösefreien Wechsel nach Vertragsende sowie zur Aufhebung der Restriktionen für ausländische Profis erstritt und damit die etablierte Ordnung im Fußball pulverisierte. Umgekehrt: Der Reporter mit dem Hang zum Sarkasmus wollte verdeutlichen: Seit dem mit 1:2 gegen Deutschland verlorenen EM-Finale von 1980 und dem Einzug ins WM-Halbfinale 1986 hat die belgische Fußball-Nationalmannschaft nichts mehr gerissen.
Nicht einmal 2000, als das Team aus dem Königreich bei der Heim-Europameisterschaft schon nach der Vorrunde passen musste, wobei das überschaubare Interesse in der Bevölkerung am Turnier die Apathie einer zwischen Flamen und Wallonen zerstrittenen Nation widerzuspiegeln schien.
Als Belgien dann sogar zwischen März 2009 und September 2010 von 16 Länderspielen elf verlor, war klar: Die Zeiten, in denen Jean-Marie Pfaff den Kasten der „Roten Teufel“ vernagelte, Eric Gerets unbarmherzig aufräumte, der lange Jan Ceulemans überall den Kopf hinhielt, Enzo Scifo die Fäden zog und Franky van der Elst für Tore sorgte, waren lange, sehr lange vorbei. Belgiens Fußball, auf Klub-Ebene sowieso nicht mehr wahrgenommen, lag noch vor drei, vier Jahren am Boden.
Wilmots eint ein gespaltenes Land
Inzwischen hat sich die Mannschaft des ehemaligen Schalker „Kampfschweins“ Marc Wilmots zu einem Geheimfavoriten für Brasilien gemausert, auch wenn sich der Trainer selbst in Understatement übt: "Es gibt einige Mannschaften, die individuell viel besser besetzt sind als wir. Dennoch fahren wir nicht als Touristen an den Zuckerhut", scherzt der 45-Jährige, der zu den wenigen Integrationsfiguren im belgischen Fußball gehört, die in beiden Landesteilen akzeptiert werden.
Nicht wenige Buchmacher haben hinter den "üblichen Verdächtigen" wie Deutschland, die Gastgeber, Weltmeister Spanien und Argentinien gleich die "Roten Teufel" auf der Rechnung und zahlen für einen Einsatz von einem Euro nur noch 13 aus, falls Belgien wirklich Weltmeister werden sollte. Doch warum hat sich das kleine Land an der Nordsee zu einer großen Fußball-Nation gemausert? Die Antwort ist erfrischend unkompliziert: Weil das Land wie kein zweites von der Immigration profitiert.
Junges und hochtalentiertes Team möchte für Furore sorgen
In Marouane Fellaini (Manchester United), Vincent Kompany (Manchester City), Kevin Mirallas, Romelu Lukaku (beide FC Everton), Moussa Dembele, Nacer Chadli (beide Tottenham Hotspur), Axel Witsel (Zenit St.Petersburg) und Zakari Bakkali (PSV Eindhoven) hat das halbe belgische WM-Aufgebot ausländische Wurzeln. Den Ausfall von Stürmer Christian Benteke soll Romelu Lukaku kompensieren, der beim FC Everton mit 15 Saisontoren überzeugt hat.
Hinzu kommen Top-Stars wie Thomas Vermaelen (Arsenal London), Jan Verthongen (Tottenham Hotspurs), Kevin de Bruyne (VfL Wolfsburg) und Eden Hazard (Chelsea London), die zunächst die gute belgische Nachwuchsförderung genießen konnten oder aber im Ausland ausgebildet wurden, die meisten davon in England. Sie alle hat Marc Wilmots in den letzten zwei Jahren zu einer glücklichen belgischen Familie zusammengezimmert. Kein Wunder, dass der euphorisierte Übungsleiter schwärmt: "Ich bin der größte Fan meines Teams. Ich würde für die Jungs sterben."
Mögliches Achtelfinale gegen Deutschland
Die belgische Elf scheint dazu rechtzeitig zum Turnierstart in einer guten Verfassung zu sein. In den drei Testspielen gegen Luxemburg, Schweden und Tunesien konnten die Spieler um Kapitän Vincent Kompany, drei Siege feiern. Darüber hinaus erwischte der vermeintliche Geheimfavorit eine machbare Gruppe. Die Gegner Algerien, Russland und Südkorea sollten allesamt zu bezwingen sein.
In einem möglichen Achtelfinale könnte es dann zum Aufeinandertreffen mit der deutschen Nationalelf kommen. Die letzte Begegnung fand im Rahmen der EM-Qualifikation 2011 in Düsseldorf statt. Damals setzte sich die DFB-Elf nach Toren von Özil, Schürrle und Gomez hochverdient und souverän mit 3:1 durch. In der Zwischenzeit haben die roten Teufel aber einen gewaltigen Sprung nach vorn gemacht und blieben in der Qualifikation für die WM in Brasilien ungeschlagen.