Die Spanier waren schon in der Kabine, als sich noch immer einige Spieler der Squadra Azzurra nach dem 1:1 (0:0) im ersten Spiel der Gruppe C gestern Abend von ihren Tifosi feiern ließen. Der Welt- und Europameister Spanien hatte im Duell mit dem wohl stärksten Gruppengegner aus Italien einen etwas überraschenden Dämpfer hinnehmen müssen. „Es war ein gerechtes Ergebnis“, urteilte Italiens Trainer Cesare Prandelli nach der Partie, die allerdings erst in der zweiten Spielhälfte die großen Erwartungen erfüllte. Spaniens Andres Iniesta mochte Prandelli nicht widersprechen. Der Filigrantechniker vom FC Barcelona war zum „Man of the match“ gekürt worden, was ihn aber nicht trösten konnte. „Für mich ist das ein bittersüßes Gefühl, weil wir mit einem Sieg starten wollten“, sagte Iniesta. EURO kompakt: Die ersten Spiele
Italien war Außenseiter gegen Spanien
Dabei war es zuletzt ja nicht einmal mehr sicher gewesen, ob die Italiener überhaupt eine Mannschaft für die EM zusammenbringen würden. Im Zuge des Wettskandals, der die Squadra Azzurra bis ins Trainingscamp verfolgte, griff der Staatsanwalt in die Aufstellung ein. Als nach dem suspendierten Verteidiger Domenico Criscito auch noch Torhüter Gianluigi Buffon in Verdacht geriet, erschütterte Trainer Cesare Prandelli die Nation mit dem Satz, er habe kein Problem damit, das EM-Ticket zurückzugeben, sollten es die Umstände erfordern. Nun ist es aber so, dass ein Trainer kein Team von einer EM zurückziehen kann und andererseits die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen während des Turniers offenbar nicht auf die Spitze treiben wollte. Also sind die Italiener gestern zu ihrem ersten Gruppenspiel angetreten, wenngleich sie für das Duell mit Welt- und Europameister Spanien als Außenseiter galten. Dazu hat auch das 0:3-Debakel im letzten Testspiel gegen Russland beigetragen.
Italien war ebenbürtig
Die Partie gestern Abend begann zunächst anders, als es zu erwarten ist, wenn der amtierende Welt- und Europameister auftritt. Der Weltmeister von 2006 erwies sich nämlich als ebenbürtig. Trainer Prandelli, der seine Elf mit großen Gesten dirigierte, hatte seine Defensive mit einer Dreierkette bestückt, in der für den ehemaligen Wolfsburger Andrea Barzagli kein Platz mehr war. Statt seiner bildeten die Signori Chiellini, de Rossi und Bonucci hinter einem Fünfer-Mittelfeld einen stabilen Riegel. Die Spanier agierten mit ihrem gefürchteten Kurzpass-Spiel. An guten Tagen ist es das beste der Welt. Gestern war aber zunächst kein guter Tag. Die Spanier begannen behäbig. Den robusten Italienern kam das entgegen. Erste EM-Krawalle in Polen
Andrea Pirlo leitet Italiens Angriffe ein
Sie nutzten den Raum, den ihnen der Weltmeister ließ, zu weiträumigen Angriffen, die meist vom 33-jährigen Andrea Pirlo eingeleitet wurden, und zunächst zu besseren Chancen führte, als Spanien sie hatte: ein Pirlo-Freistoß, den Casillas mit Mühe parierte, oder Cassanos Versuch, der knapp am Pfosten vorbeistrich. Kurz vor der Pause besaßen beide Teams ihre größte Gelegenheit, in Führung zu gehen. Zunächst hob Iniesta den Ball knapp über das italienische Gehäuse, dann scheiterte Thiago Motta per Kopfball an Casillas. Nach der Pause begannen die Azzurri in italienischer Fußball-Tradition, das 0:0 zu verteidigen. Nebenbei ergaben sich immer wieder Gelegenheiten zur Führung. Doch Mario Balotelli, das Enfant terrible von Manchester City, schlich dermaßen träge auf das Tor der Spanier zu, dass er noch gestoppt werden konnte. Balotteli musste anschließend für Antonio di Natale weichen.
Prandelli legte Wert darauf, dass es keine Strafauswechslung gewesen sei. In jedem Fall aber war es ein Wechsel mit Folgen. Der 34-jährige di Natale schoss Italien mitten in den heraufziehenden spanischen Wirbel hinein in Führung (61.). Doch der Weltmeister schlug zurück. Da Silvas Vertikalpass erreichte Fabregas (64.), der zum 1:1 ausglich. Die Partie nahm nun mächtig Fahrt auf, was vor allem an der spanischen Tempoverschärfung lag. Gelegenheiten, das Spiel zu entscheiden, hatten beide Teams. Die Spanier, vor allem durch den eingewechselten Torres, mehr als die Italiener. Deren Verdienst ist es, der Konkurrenz vorgeführt zu haben, dass auch der Welt- und Europameister ins Wanken zu bringen ist.