Die Coronavirus-Pandemie stellt den Fußball nicht nur vor große Terminprobleme. Auch arbeitsrechtlich ergeben sich viele Fragen. Wie etwa: Was passiert mit den Verträgen, wenn die Saison in den Juli hineingeht? Was ist mit Gehaltskürzungen, Kurzarbeit oder den rechtlichen Bedingungen bei einer Quarantäne. Die Deutsche Presse-Agentursprach mit Arbeitsrechtler Lennard Martin Lürwer.
Die Fußball-Verbände überlegen eine Verlängerung der Saison bis in den Juli hinein. Wie verhält es sich mit den Spielerverträgen, die am 30. Juni enden?
Lennard Martin Lürwer: Die Situation ist extrem geprägt durch eine Lage, die wir in der Gesellschaft so noch nicht hatten und dementsprechend auch in der Fußballszene. Hier stellt sich die besondere Problematik, dass verbandsinterne Vorschriften, insbesondere die Lizenzordnung der Spieler, die Befristung immer nur bis zum 30. Juni eines Jahres vorsieht. Es ist nach der aktuellen Lizenzordnung nicht möglich, Verträge für andere Zeiträume als vom 1. Juli bis zum 30. Juni des Folgejahres zu schließen. Nach verbandsrechtlichen Vorschriften würde das arbeitsvertragliche Verhältnis also formal zum 30. Juni 2020 enden, wenn der Vertrag nur bis zum Jahr 2020 geschlossen ist. Nach aktueller Lage ist eine Verlängerung für vier Wochen nicht vorgesehen. Ob der DFB oder die DFL ihre eigene Lizenzordnung anpassen, muss man sehen. Letztlich bleibt nichts anderes übrig, wenn die aktuelle Saison zeitlich verlängert werden soll. Wenn die Saison über dieses Datum hinaus gehen soll, wird man eine Regelung finden müssen, dass von dem sehr starren Befristungsrahmen abgewichen werden kann.
Mal angenommen, der FC Bayern bestreitet im Juli das Champions-League-Finale gegen Manchester City und Leroy Sané hätte bereits ab 1. Juli in München einen Vertrag unterschrieben. Würde er dann für die Bayern gegen seinen Ex-Club spielen?
Lürwer: Rein befristungstechnisch wäre die Antwort ja. Der Wechsel könnte zum 1. Juli vollzogen werden. Es stellt sich aber dann die Frage, wie mit der Tatsache umzugehen ist, dass ein Spieler, der bis zum Ende der Saison 2019/2020 bei einem Verein verpflichtet war, nun ein Spiel gegen diesen Verein bestreitet, das ja noch zu der Saison 2019/2020 gehört. Das sollte unbedingt vermieden werden. Ich glaube, die UEFA muss mit all ihren Verbänden eine umfassende Regelung treffen, wie mit der aktuellen Situation umgegangen werden soll. Meines Erachtens ergibt es keinen Sinn, wenn die einzelnen Verbände unterschiedliche Entscheidungen treffen.
Was passiert, wenn sich der Spieler ausgerechnet im Juli schwer verletzt?
Lürwer: Wenn von den Statuten her eine Verlängerung um vier Wochen möglich wäre, dann wäre der Spieler auch normaler Vertragsspieler des Vereins. Dann ist so damit umzugehen wie in allgemeinen Vertragssituationen im regulären Rhythmus.
Kann der Verein einseitig den Vertrag um vier Wochen verlängern?
Lürwer: Der Verband kann nur die Möglichkeit einräumen, dass eine Verlängerung zulässig ist. Auf einer zweiten Ebene wäre die Frage zu klären, wie damit im Vertragsverhältnis zwischen Verein und Spieler umzugehen ist. Der Spieler müsste sich auf eine Verlängerung einlassen. Man könnte auch argumentieren, dass sich die Spieler in ihren Arbeitsverträgen den Statuten des Verbands unterwerfen, so dass man darauf abstellen könnte, dass sich das auch auf eine verlängerte Saison auswirkt. Auch das zeigt: Es verlangt ein geschlossenes und einheitliches Auftreten aller Verbände und der UEFA.
Können Vereine Spieler auf Kurzarbeit setzen?
Lürwer: Fußballspieler sind dem Grunde nach Arbeitnehmer und unterfallen den normalen Regelungen. Kurzarbeit setzt eine Vereinbarung voraus, und zwar in Form einer Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat oder in Form eines Tarifvertrages. Beide Möglichkeiten gibt es üblicherweise in den Vereinen nicht. Es bleibt nur die dritte Option, und zwar die individuelle Vereinbarung mit dem Spieler. Das wäre möglich. Ob sich aber ein Spieler darauf einlässt, ist eine andere Frage. Da ist der Verein auf den Goodwill der Spieler angewiesen.
Der Höchstsatz für das Kurzarbeitergeld liegt bei 4623 Euro monatlich. Würde das dann auch auf Profifußballer zutreffen?
Lürwer: Das Kurzarbeitergeld, also die Ausgleichszahlung, die ein Arbeitnehmer für den Lohnausfall bekommen kann, würde theoretisch auch auf Fußballspieler Anwendung finden. Das Ganze ist begrenzt durch die Beitragsbemessungsgrenze, so dass sich praktisch die Frage aus meiner Sicht nicht stellen wird, weil es um Beträge geht, die für Spieler in den höchsten Ligen nicht relevant sind. Das erscheint unrealistisch. Zudem wäre in diesem Fall das behördliche Verfahren einzuhalten. Wenn wir aber in tiefere Ligen gehen, in denen die Gehälter erheblich niedriger sind, besteht durchaus die Möglichkeit, dass man darüber nachdenkt.
Wäre die Kurzarbeit auch nur auf einzelne Spieler anwendbar?
Lürwer: Nein, Rosinenpickerei geht nicht. Ich muss nicht zwingend meinen ganzen Betrieb auf Kurzarbeit setzen, die Kurzarbeit kann auch nur Teile meines Betriebes betreffen. Aber diese Teile müssen organisatorisch abgrenzbare Teile sein. Das trifft nicht zu, wenn ich nur einzelne Spieler herausnehme.
Sind Gehaltsstundungen oder -kürzungen möglich?
Lürwer: Solche Regelungen sind möglich, aber nicht einseitig durch den Arbeitgeber. Ein Spieler kann aber mit dem Verein eine Vereinbarung treffen, dass er bereit dazu ist, dass seine Gehaltszahlung gestundet und zu einem späteren Zeitpunkt erst fällig wird. Genauso ist auch ein einvernehmlicher Verzicht auf Teile des Gehaltes möglich. Einseitige Gehaltskürzungen sind aber nicht möglich.
Sind Gehaltskürzungen möglich, wenn sich der Spieler quasi im "Home Office" befindet?
Lürwer: Wenn man nur sagt, die Tätigkeit ist dahingehend gestaltet, dass man sich zu Hause fit hält, und der Spieler hält sich in einem fitten Zustand, dann erbringt er aus meiner Sicht eine Arbeitsleistung, so dass ich nicht einseitig das Gehalt des Spielers kürzen könnte.
Was ist mit Spielern in Quarantäne? Können sich die Vereine das Geld vom Staat zurückholen?
Lürwer: Das ist eine spannende Frage, bei der ich mich letztlich nicht festlegen möchte. Es gibt ein Infektionsschutzgesetz, das in Paragraf 56 die Entgeltfortzahlung vorsieht. Das Gesetz spricht von einem Erstattungsanspruch gegenüber der Behörde. In wieweit das in einer solchen Sonderkonstellation auf Spieler Anwendung findet, darüber lässt sich streiten. Für mich scheint es schwer vorstellbar, dass die Behörden für sechs Wochen das volle Gehalt eines Profifußballers zahlen, das - auf das Jahr gesehen - im hohen Millionenbereich liegt. Rein formal betrachtet müsste es aber so sein.
Was ist mit Spielern, die sich wegen der aktuellen Ansteckungsgefahr wehren, das Mannschaftstraining mitzumachen?
Lürwer: Diese Frage stellt sich im ganzen Arbeitsrecht. Ich bin der Meinung, solange es keine Ausgangssperre gibt, keine Quarantäne angeordnet ist oder der Mitarbeiter beziehungsweise Spieler mit dem Virus infiziert ist, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Das heißt, der Spieler kann sich nicht einseitig weigern, nicht zur Arbeit zu erscheinen. Wenn er das tut, muss sich der Verein überlegen, wie er damit umgeht. In letzter Hinsicht besteht die Möglichkeit einer Kündigung, natürlich mit vorheriger Abmahnung. Ein Arbeitnehmer, der keinen objektiven Grund hat, die Arbeitsleistung nicht zu erbringen, muss zur Arbeit erscheinen. Auf der anderen Seite kann eine objektive Gefahrenlage durchaus ein Grund sein, zwar nicht die Arbeit generell, aber bestimmte Tätigkeiten zu verweigern.
Zur Person: Lennard Martin Lürwer (29) ist als Rechtsanwalt bei der Anwaltssozietät CMS angestellt. Seine Fachgebiete sind das Individual- und Kollektivarbeitsrecht. Zudem beschäftigt er sich regelmäßig mit Themen des Sportrechts. (Interview: Stefan Tabeling, dpa)
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