Schneematsch bedeckt die Startbahn. Zweimal müht sich Flugkapitän James Thain vergebens, die Maschine des Typs Airspeed in die Luft zu bekommen. Der dritte Versuch endet in der Katastrophe. Das Flugzeug ist auf der schmierigen Piste zu langsam, hebt nicht ab und schlittert mit Vollgas und eingefahrenem Fahrwerk über die Startbahn hinaus. Es durchbricht den Begrenzungszaun des Flughafens, entzündet mit der Tragfläche ein Haus, das Heck zerschellt an einem Baum.
Zwei riesige Betonblöcke, Überbleibsel aus dem Krieg, reißen die zweimotorige „Elizabethan“ an der rechten Seite auf. Auf den Blöcken wurden im Krieg Scheinwerfer für Flakgeschütze gegen britische Kampfflieger montiert. 13 Jahre später zerstören sie ein britisches Zivilflugzeug. Der Rest der Maschine rutscht über den Schnee, ehe er zum Stillstand kommt. Überlebende versuchen, die brennende Tragfläche zu löschen.
Unter denen, die davonkommen, ist der damals 20-jährige Bobby Charlton. Sein Platz wird zum Schleudersitz, das rettet ihm das Leben. „Ich habe noch im Sitz gesessen, aber das Flugzeug war ungefähr 70 Yards von mir entfernt. Dann habe ich mich umgeschaut und Harry Gregg neben mir gesehen. Er sagte zu mir, dass ich etwa zehn Minuten bewusstlos war“, schreibt Charlton in seinen Erinnerungen. Der nordirische Torwart Gregg rettet damals Mitspieler und andere Passagiere aus dem Wrack, später erhält er dafür einen Orden.
23 Menschen starben, darunter acht Spieler von Manchester United
Heute vor 60 Jahren verunglückte in München das Flugzeug. 23 Menschen starben, in Erinnerung ist das Unglück vor allem deshalb geblieben, weil darunter acht Fußball-Profis von Manchester United waren. Bis heute steht die Tragödie für eine der schwärzesten Stunden des europäischen Fußballs. Englands Legende Charlton lassen die Ereignisse auch über ein halbes Jahrhundert später nicht los. Dieser Tag habe sein Leben verändert, erklärte er jüngst in einer Dokumentation des britischen Senders BBC. Charlton fasste zusammen: „Es war einfach ein Albtraum.“
Die Spieler von Manchester United sind ahnungslos, als sie am Nachmittag des Unglückstages gut gelaunt ihr Flugzeug besteigen. Am Abend zuvor hat das englische Team mit einem 3:3 in Belgrad den Einzug ins Halbfinale des Europapokals geschafft. Viele Hoffnungen, vor allem die des englischen Fußballs, ruhen auf den jungen und talentierten Spielern. Der Flughafen München-Riem soll lediglich Zwischenstopp sein auf dem Weg zurück auf die Insel. Um kurz nach drei Uhr kommt es dann zur Katastrophe.
Schwer verletzt geborgen wird auch United-Teammanager Matt Busby, nach dem die Mannschaft „Busby Babes“ genannt wurde. Zweimal erhält er die Letzte Ölung, überlebt aber. Unter den Todesopfern ist dagegen Duncan Edwards, eines der größten Talente des englischen Fußballs. Tagelang kämpft Chefarzt Professor Georg Maurer im Klinikum Rechts der Isar um sein Leben – erfolglos. Am 11. Februar fällt Edwards ins Koma, zehn Tage später erliegt er seinen schweren Verletzungen. 60 Jahre sind seitdem vergangen, vergessen werden die Fans ihre Spieler nie. In der Arbeiterstadt im Nordwesten Englands werden die Opfer als Helden verehrt, am Stadion Old Trafford erinnert eine Uhr mit der Aufschrift „Feb 6th 1958 Munich“ an sie.
Die Ursache des Flugzeugunglücks in München-Riem bleibt umstritten
An der Ursache des Flugzeugunglücks entbrannte ein deutsch-englischer Streit. Eine britische Kommission kam zum Schluss, Matsch auf der Rollbahn sei Unfallursache gewesen; das deutsche Luftfahrtamt argumentierte, Flugkapitän James Thain hätte eine Eisschicht auf den Tragflächen übersehen, die die Aerodynamik beeinträchtigte. Bis heute hält Deutschland an Thains Schuld fest, in England gilt er als unschuldig.
Im Andenken indes herrscht Einigkeit. In München erinnert ein hüfthoher Granitblock mit einem stilisierten Spielfeld an die schrecklichste Niederlage, die Manchester United je hinnehmen musste. Seit vierzehn Jahren steht der Gedenkstein auf einem Grundstück an der Absturzstelle im Münchner Stadtteil Trudering. Für Engländer ist ein Besuch dieses Ortes bedeutsamer als der des Rathauses oder der Wiesn.
Dort, seit über zehn Jahren offiziell der Manchesterplatz, werden Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter und die Bayern-Verantwortlichen Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge heute an einer Gedenkveranstaltung teilnehmen. Auch über 1000 Anhänger von Manchester United haben sich angekündigt. Zuvor wollen Fans in einer Feierstunde ehemaligen Krankenschwestern und Ärzten des Klinikums Rechts der Isar für ihre Hilfe danken. Chefarzt Professor Maurer wurde später sogar ein Orden von Königin Elizabeth II. verliehen.
Wie damals unsere Zeitung über das Flugzeugunglück berichtete, können Sie hier nachlesen.