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FIFA-Skandal: Wie ein Spion der US-Behörden die Ermittlungen ins Laufen brachte

FIFA-Skandal

Wie ein Spion der US-Behörden die Ermittlungen ins Laufen brachte

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    Sepp Blatter (links) und Chuck Blazer gemeinsam bei einer Sitzung des Fußball-Weltverbandes Fifa – das ist Jahre her. Dieses Foto entstand vor genau vier Jahren in Zürich.
    Sepp Blatter (links) und Chuck Blazer gemeinsam bei einer Sitzung des Fußball-Weltverbandes Fifa – das ist Jahre her. Dieses Foto entstand vor genau vier Jahren in Zürich. Foto: Fabrice Coffrini, afp

    Der Mann, mit dem die Geschichte beginnt, fällt ganz einfach auf, er kann gar nicht anders. Chuck Blazer, im April 70 geworden, ein Riese mit gewaltigem Körperumfang, gleicht eher einem Bulldozer, als dass man ihn in die Nähe der Hochleistungssportart Fußball stecken würde. So ein Funktionärsleben in Saus und Braus bringt viele Sitzungen und damit wenig Bewegung mit sich – und birgt gleichzeitig jede Menge Verlockungen durch üppige Buffets. Die New Yorker Zeitung Daily News beschreibt das auf Blazer bezogen so: Es gebe „so viel Speisen und Wein, dass er am Ende einen Rollstuhl braucht, um von einem Gelage zum nächsten zu kommen“.

    Chuck Blazer aus Westchester im US-Bundesstaat New York fällt aber nicht nur deshalb auf. Als Wladimir Putin ihm das erste Mal begegnet, scherzt der russische Präsident: „Sie wissen, dass Sie wie Karl Marx aussehen?“ Was kurios klingt in Zusammenhang mit jemandem, der mehrere Luxusresidenzen in

    Chuck Blazer: Insider nennen ihn „Mister zehn Prozent“

    Insider nennen ihn „Mister zehn Prozent“, in Anlehnung an den Anteil, den er sich angeblich bei Geschäften in die eigene Tasche steckt. Unter dem Strich sollen es Millionen-Dollar-Beträge sein. Blazer sitzt von 1996 bis 2013 im Exekutivkomitee, also quasi in der „Regierung“ der Fifa, und ist viele Jahre für Nord- und Mittelamerika Generalsekretär des Fußballverbandes Concacaf – an der Seite von Jack Warner, einer derer, die nun im Fokus der neuen Ermittlungen stehen.

    In beiden Funktionen gerät Blazer durch sein dreistes Verhalten ins Visier der Strafverfolgung. Vor allem: Über Jahre hinweg zahlt er seine Steuern nicht. So kommt ein Fall ins Rollen, der in den größten Korruptionsskandal in der Fifa-Geschichte mit sieben Festnahmen an einem Tag gipfelt. Und Chuck Blazer in eine völlig neue Rolle zwingt.

    Die Beschuldigten im Fifa-Korruptionsskandal

    Insgesamt 14 Personen werden im neuen Fußball-Skandal um den Weltverband FIFA vom US-Justizministerium beschuldigt Zu den Angeklagten gehören prominente und altbekannte Figuren aus der Fußball-Welt:

    Jeffrey Webb (50 Jahre/Kaimaninseln): Webb ist seit 2012 CONCACAF-Präsident und Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees. Inzwischen zählt er zu den Stellvertretern von Joseph Blatter.

    Eduardo Li (56/Costa Rica): Der Präsident des Verbandes Costa Ricas galt als designiertes Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees. Li ist ein Geschäftsmann mit chinesischen Wurzeln.

    Julio Rocha (64/Nicaragua): Rocha als FIFA-Entwicklungsmanager tätig und war früher Präsident des Verbands Zentralamerikas und Nicaraguas.

    Jack Warner (72/Trinidad und Tobago): War von 1983 bis 2011 Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees und zeitweise auch FIFA-Vizepräsident. Warner war in mehreren Korruptionsskandalen verstrickt, insbesondere auch durch seine Rolle als CONCACAF-Präsident. Aktuell fungiert er als Berater des CONCACAF-Präsidenten.

    Eugenio Figueredo (83/Uruguay): Neben Webb der zweite aktuelle FIFA-Vize in der Affäre. Der Ex-Präsident des südamerikanischen Fußballverbandes CONMEBOL musste sich zuletzt in seiner Heimat wegen angeblicher finanzieller Unregelmäßigkeiten bei CONMEBOL vor Gericht verantworten

    Rafael Esquivel (68/Venezuela): Ist seit 1988 Präsident des Verbands Venezuelas und damit der am längsten agierende Verbandschef in Südamerika. Esquivel sitzt aktuell auch im Exekutivkomitee des CONMEBOL-Verbandes.

    José Maria Marin (83/Brasilien): War bis April dieses Jahres Präsident des brasilianischen Verbandes. Medienberichte in Brasilien konfrontierten ihn mit Anschuldigungen wegen Korruption und angeblicher Veruntreuung öffentlicher Mittel in den 1970er und 1980er Jahren.

    Nicolás Leoz (86/Paraguay): ): Der langjährige Präsident des südamerikanischen Kontinentalverbandes CONMEBOL gehörte bis 2013 auch dem FIFA-Exko an. Leoz wurde vom früheren englischen Verbandschef David Triesman beschuldigt, unlautere Forderungen vor den WM-Vergaben an Russland und Katar gestellt zu haben.

    Alejandro Burzaco (50/Argentinien): In einer Aufsichtsfunktion bei einer Sportmarketing-Agentur in Argentinien tätig.

    Aaron Davidson (44/USA): Präsident von Traffic Sports USA, eines Eventmanagement-Unternehmens im Bereich Fußball.

    Hugo (70) und Mariano Jinkis (40/Argentinien): In Aufsichtsfunktionen einer Sportmarketing-Agentur in Argentinien tätig.

    José Margulies (75/Brasilien): Ihm wird vorgeworfen, als Vermittler bei illegalen Zahlungen aufgetreten zu sein.

    Bereits vier Personen haben sich im Zuge des Skandals für schuldig bekannt:

    Chuck Blazer (70/USA): Gehörte von 1996 bis 2013 dem FIFA-Exekutivkomitee an. Zusammen mit Jack Warner führte er als Generalsekretär auf zwielichtige Weise den CONCACAF-Verband. Hatte den Spitznamen «Mister Zehn Prozent», weil er diesen Anteil bei Fußball-Geschäften in die eigene Tasche gewirtschaftet haben soll.

    Nachdem das FBI ihm 2012 kam auf die Schliche gekommen war, kooperierte Blazer er mit den US-Behörden und soll andere Funktionäre ausgespitzelt haben. Er verzichtete 2013 auf eine Wiederwahl ins FIFA-Exko, nachdem Korruptionsvorwürfe gegen ihn publik wurden.

    Blazer wird unter anderem organisierte Kriminalität, Betrug, Geldwäsche und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Er hat sich am 25. November 2015 für schuldig bekannt und die Zahlung einer Strafe von 1,9 Millionen Dollar sowie eines weiteren Geldbetrags bei Verurteilung akzeptiert.

    José Hawilla (71/Brasilien): Gründete 1983 die brasilianische Firma Traffic Group, die mit Spieler-Transferrechten und Fernsehrechten ihr Geld verdiente.

    Hawilla wird organisierte Kriminalität, Betrug, Geldwäsche und Behinderung der Behörden vorgeworfen. Er hat sich am 12. Dezember 2014 für schuldig bekannt und eine Strafzahlung von 151 Millionen Dollar akzeptiert.

    Daryan Warner (46/Trinidad und Tobago): Er ist der Sohn von Jack Warner und kümmerte sich in dessen Haus um die Finanzen.

    Daryan Warner werden organisierte Kriminalität, Geldwäsche und dubiose Finanztransaktionen vorgeworfen. Er hat sich am 25. Oktober 2013 für schuldig bekannt und die Zahlung einer Strafe von 1,1 Millionen Dollar sowie eines weiteren Geldbetrags bei Verurteilung akzeptiert.

    Daryll Warner (40/Trinidad und Tobago): Er ist der Sohn von Jack Warner und war früher als Entwicklungsmanager bei der FIFA tätig.

    Daryll Warner werden Betrug und dubiose Finanztransaktionen vorgeworfen. Er hat sich am 15. Juli 2013 für schuldig bekannt.

    Es ist das Jahr 2011, ein Novembertag. In einer spektakulären Aktion stellen Ermittler der Bundespolizei FBI und der Steuerbehörde IRS Chuck Blazer zur Rede. Sie stoppen den Lebemann, als dieser mit seinem Roller die Fifth Avenue in Manhattan hinunterbraust, um in seinem Lieblingsrestaurant Elaine’s einen Happen zu essen. Die Beamten stellen ihn vor die Wahl: „Wir können Sie in Handschellen legen, oder Sie kooperieren mit uns.“

    Blazer hofft auf Strafminderung, legt ein umfassendes Geständnis ab – und entscheidet sich gegen die Handschellen. Und für die neue Rolle als Spion im Auftrag der US-Justiz. Fortan spaziert der zum damaligen Zeitpunkt noch amtierende Fifa-Offizielle mit einem versteckten Mikrofon im Schlüsselbund in interne Treffen der Fußball-Organisation und übermittelt Informationen über Kollegen, Kunden und Geschäftspartner. Die Behörden haben nun einen Kronzeugen und eine wertvolle Quelle, die hilft zu verstehen, wie Bestechungsgelder eingetrieben und unter den Funktionären verteilt werden.

    Das erklärt zu einem Teil, warum ausgerechnet die USA den Korruptionssumpf beim Weltfußballverband austrocknen wollen. Ein Land, in dem die meisten Einwohner die Regeln des überall sonst auf der Welt heiß geliebten Ballspiels nach wie vor kaum verstehen. Ob das auch auf die neue Justizministerin Lauretta Lynch, den bei der Steuerbehörde IRS für Strafermittlungen zuständigen Richard Weber oder FBI-Chef James Comey zutrifft, macht am Ende keinen Unterschied. Gewiss verstehen sie mehr als genug von Schmiergeld-Zahlungen und Schiebereien bei der Vergabe lukrativer Wettbewerbe und Verträge.

    Korruption bei der FIFA: „Sie haben es immer und immer wieder gemacht"

    Genau darum geht es bei der am vergangenen Mittwoch in New York enthüllten Anklage gegen neun führende Funktionäre des Verbandes, denen vorgehalten wird, rund 150 Millionen Dollar an Bestechungsgeldern kassiert zu haben, sowie gegen fünf Geschäftsleute, die bestochen haben sollen. Die 47 Anklagepunkte sind fein säuberlich in der Klageschrift aufgelistet, die das Büro der US-Bundesankläger publik macht. Es besteht der dringende Verdacht, dass Fifa-Funktionäre über Jahrzehnte ein System der Bestechung geschaffen haben. So sollen unter anderem Millionen von Sportmedien und -vermarktungsunternehmen geflossen sein. Allein für die Vermarktungsrechte für die Copa América 2016 ist die Rede von 110 Millionen Dollar. Justizministerin Lynch bringt dieses System in einem mittlerweile viel zitierten Satz auf den Punkt: Jahr um Jahr, Turnier um Turnier.“

    Das Pech der sieben in Zürich festgenommenen Funktionäre, unter anderem aus Uruguay und von den Kaimaninseln, besteht nun darin, bei ihrem mutmaßlich kriminellen Verhalten in irgendeiner Weise mit den USA in Berührung gekommen zu sein. Nach amerikanischem Recht reicht dafür schon eine E-Mail auf einem US-Server, eine unrechtmäßige Banküberweisung, ein Telefonanruf oder ein Besuch in der neuen Welt. Jessica Tillipman von der George Washington University spricht von „juristischen Aufhängern“, die es Staatsanwaltschaft und Ermittlern unter bestimmten Bedingungen erlauben, gegen ausländische Bürger vorzugehen.

    In diesem Fall kommen mehrere Dinge zusammen. Zum einen hat die Concacaf-Zentrale ihren Sitz in Miami (Florida). Dort zieht Chuck Blazer bis 2011 die Strippen – und verstößt in dieser Zeit als Serientäter gegen Gesetze der USA. Hinzu kommt der Fluss illegaler Gelder durch Banken mit Sitz in New York. „Im Lauf der 1990er und zunehmend in den 2000er und 2010er Jahren verließen sich die Angeklagten und ihre Mitverschwörer stark auf das Finanzsystem der Vereinigten Staaten“, heißt es in der 161 Seiten langen Anklageschrift. Die Fifa habe Milliarden Dollar von ihren Konten aus der Schweiz an Empfängerkonten in den USA und in anderen Teilen der Welt gezahlt. Teile der Bestechungsgelder seien an New Yorker Korrespondenzkonten von JPMorgan und Citibank geflossen.

    Chuck Blazer ist die Schlüsselfigur im FIFA-Skandal

    Auch von mehreren Treffen in Miami und im New Yorker Stadtteil Queens ist in der Anklageschrift die Rede. Bei diesen sollen laut Staatsanwaltschaft Absprachen über die Schmiergelder getroffen worden sein. „Wenn Sie unsere Ufer mit Ihren korrupten Unternehmen berühren, ob durch Treffen oder durch Gebrauch unseres Weltklasse-Finanzsystems, werden Sie dafür zur Rechenschaft gezogen“, sagt FBI-Direktor James Corney dem Wall Street Journal zufolge.

    Das ist die FIFA

    FIFA ist ein Akronym für Fédération Internationale de Football Association.

    Der Weltfußballverband wurde am 21. Mai 1904 in Paris gegründet.

    Die Zentrale der FIFA befindet sich in Zürich (Schweiz).

    Die FIFA ist offiziell ein gemeinnütziger Verein im Sinne des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, außerdem im Handelsregister eingetragen.

    Der FIFA gehören aktuell 209 Nationalverbände an. Sie müssen gleichzeitig Mitglied eines der sechs Kontinentalverbände sein.

    Seit 1998 ist der Schweizer Sepp Blatter Präsident des Fußballverbandes.

    Im Jahr 2012 zeichnet der Journalisten-Bund "Netzwerk Recherche" die FIFA mit der sogenannten Verschlossenen Auster aus. Damit prangerten die Journalisten die Ignoranz des Fußballverbandes gegenüber wiederholten kritischen Medienanfragen an.

    Die FIFA ist seit Jahren mit Vorwürfen der Korruption und Schmiergeldzahlungen konfrontiert.

    Im Jahr 2014 verfügte die FIFA über ein Kapital von 1,523 Milliarden Dollar.

    Am 27. Mai 2015 eröffnet die Schweizer Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den Vergaben der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 an Russland und 2022 an Katar ein Strafverfahren.

    Ob das eigentlich betroffene Land dann mit den Amerikanern kooperiert, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Hier scheint das so zu sein. Dafür spricht die zeitgleiche Durchsuchung der Fifa-Zentrale durch Schweizer Ermittler wegen möglicher Manipulationen bei der Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 in Russland und 2022 in Katar.

    Allgemein arbeiten Regierungen bei solchen Straftaten zunehmend zusammen, sagt Juristin Tillipman: „Wir sehen eine Art Internationalisierung des Strafrechts.“ Schon jetzt wertet die Regierung in Washington das Durchgreifen als Erfolg. Sie habe nie Skrupel gehabt, Anklage in den USA zu erheben, obwohl viele der Straftaten im Ausland begangen worden seien, sagt die Justizministerin der New York Times. Sie vergleicht die Fifa-Ermittlungen mit Fällen rund um Mafia-Mitglieder in Rom oder Sizilien. Das US-Bankensystem sei Teil des Systems der Fußball-Funktionäre gewesen: „Sie dachten eindeutig, dass die USA für sie ein sicherer Finanzhafen sind.“

    Dass man diese Einzelheiten heute kennt, liegt in erster Linie am Kronzeugen Chuck Blazer. Er ist die Schlüsselfigur in dem Skandal. Wie die Sache für ihn selbst ausgeht, ist offen. Die Anklage gegen Blazer läuft noch. Außerdem, so heißt es, trägt der Mann derzeit an anderer Stelle einen viel größeren Kampf aus. Blazer soll an Darmkrebs erkrankt sein. mit dpa

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