Dillingen (dpa) – Wie der gelangweilte Türsteher einer Großstadt-Disco sieht Tim Wiese mit seinen 120 Kilo aus. Die meiste Zeit schlendert der frühere Nationaltorwart betont lässig durch seinen Strafraum. Wiese will es aber noch einmal wissen.
Es läuft die 88. Minute, sein Team liegt 1:2 zurück - und der Neu-Wrestler will in der achten Liga wenigstens noch ein Unentschieden erzwingen. Schließlich ist es sein Comeback zwischen den Pfosten nach mehr als vier Jahren ohne Pflichtspiel. "Andi, Andi!", schreit Wiese quer über den Platz. Als Trainer Andreas Mayer nickt, stürmt Wiese los. Wie ein Besessener rennt er in den gegnerischen Strafraum, schubst ein paar Spieler - doch die Niederlage kann er damit nicht mehr abwenden.
Vor mehr als vier Jahren hätte eine solche Situation noch eine typische Szene aus einem Bundesliga-Spiel sein können. Doch seit seinem letzten Spiel für die TSG Hoffenheim im Januar 2013 hat Tim Wiese in der höchsten deutschen Spielklasse keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Stattdessen steht er - vermutlich einmalig - bei der SSV Dillingen auf dem Platz. Achte Liga, Abstiegskampf, Derby. Ist das Wieses Welt, nach einem DFB-Pokalsieg, nach sechs Länderspielen, einer WM-Teilnahme und nach einem Wrestling-Debüt bei der WWE?
Der Auftritt im Derby zwischen der SSV Dillingen und dem TSV Haunsheim ist ein Gefallen für einen guten Freund Wieses. Sonst kommen ein paar Hundert Gäste zu den Spielen des abstiegsbedrohten Vereins aus Schwaben - dank Wiese sind es am Samstag rund 2500. "Das ist sensationell gelaufen, finanziell scheppert das richtig", sagt Christoph Nowak, Freund von Wiese und Vorsitzender der Dillinger. Dass die Mannschaft trotz der Hilfe des ehemaligen Profis aller Voraussicht nach absteigen wird, scheint er kurz verdrängt zu haben.
Wiese dagegen wirkt in seinem pinken Trikot über weite Teile des Spiels nicht so, als fände er das auch alles sensationell. Dabei stellt sich eigentlich die Frage, wer von dieser Marketing-Aktion mehr profitiert - Wiese oder die SSV Dillingen?
Doch die sportlichen Herausforderungen lassen zu Beginn des Spiels auf sich warten - und Wiese wirkt daher wie bestellt und nicht abgeholt. Die Torhüter auf beiden Seiten werden über lange Phasen der ersten und auch zu Beginn der zweiten Halbzeit nicht geprüft. Die beiden Gegentore kann Wiese nicht verhindern. Erst in den letzten 20 Minuten kommt Spannung auf, als sich Dillingen gegen die drohende Niederlage stemmt.
Den Eindruck des gelangweilten Türstehers wollte Wiese nach dem Spiel natürlich nicht stehen lassen. Es habe ihm Spaß gemacht, wieder auf dem Platz zu stehen, das Feuer in ihm habe wieder gebrannt. "Es war, als wenn ich nie weg gewesen wäre", sagte Wiese. "Ich habe mich sicher gefühlt und schon im ersten Training gedacht: Wieso hab ich so früh aufgehört?"
Fragen nach möglichen weiteren Einsätzen auf den Fußballplätzen des Landes - und speziell im Abstiegskampf der Dillinger - sind bei solchen Antworten die logische Folge. Wiese will an dieser Stelle "niemals nie" sagen. Doch ein paar Sekunden später sagt er eben auch: "Kreisliga spiel ich bestimmt nicht - das tu ich mir nicht mehr an."
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