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EM 2012: Van Breukelen: Holland ist wegen Deutschland traumatisiert

EM 2012

Van Breukelen: Holland ist wegen Deutschland traumatisiert

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    Der deutsche Fußball-Nationalspieler Jürgen Klinsmann (r) jubelt, nachdem er am 24.6.1990 in Mailand das Tor zur 1:0-Führung im WM-Achtelfinalspiel gegen den niederländischen Torwart Hans van Breukelen erzielt hat. Niederländisches Trauma nach dem Münchner WM-Endspiel, ausgelebte Revanche im Hamburger EM-Halbfinale und eine unvergessene Spuckattacke in Mailand: Zwischen Deutschland und den Niederlanden ging es immer heiß her - und es hatte häufig mit Fußball nicht viel zu tun. Keine andere Auseinandersetzung schürt die Emotionen auf beiden Seiten derart wie der am Mittwoch in Charkow zum 39. Mal anstehende Klassiker.
    Der deutsche Fußball-Nationalspieler Jürgen Klinsmann (r) jubelt, nachdem er am 24.6.1990 in Mailand das Tor zur 1:0-Führung im WM-Achtelfinalspiel gegen den niederländischen Torwart Hans van Breukelen erzielt hat. Niederländisches Trauma nach dem Münchner WM-Endspiel, ausgelebte Revanche im Hamburger EM-Halbfinale und eine unvergessene Spuckattacke in Mailand: Zwischen Deutschland und den Niederlanden ging es immer heiß her - und es hatte häufig mit Fußball nicht viel zu tun. Keine andere Auseinandersetzung schürt die Emotionen auf beiden Seiten derart wie der am Mittwoch in Charkow zum 39. Mal anstehende Klassiker. Foto: Frank Leonhardt

    Hans van Breukelen stand zwischen 1980 und 1992 im Tor der niederländischen Nationalmannschaft und absolvierte 73 Länderspiele. Sein größter Erfolg: Der Gewinn des EM-Titels 1988. Der aktuellen Mannschaft um Arjen Robben traut er trotz deren 0:1-Auftaktniederlage gegen Dänemark noch einiges zu. Nächster Gegner ist am Mittwoch Deutschland. Für die Auswahl von Bundestrainer Joachim Löw findet Van Breukelen lobende Worte. Im Interview  spricht er auch über die große Rivalität zwischen den Nachbarn und erklärt, warum er in

    EM 2012: Holland und Deutschland im Finale?

    Herr van Breukelen, Holland steht nach der Auftaktniederlage gegen Dänemark mit dem Rücken zur Wand. Gegen Deutschland zählt nur noch ein Sieg.

    Van Breukelen: Es ist ähnlich wie bei der EM 1988, als wir im ersten Spiel gegen Russland auch viele Chancen vergaben und am Ende 0:1 verloren haben. Wir standen dann gegen England und Irland ebnenfalls voll unter Druck. Am Ende sind wir bekanntlich Europameister geworden. Die Mannschaft von Bert van Marwijk weiß, was am Mittwoch zu tun ist, sie braucht einen Sieg. Und die Deutschen können ihrerseits die Holländer mit einem Sieg schon nach Hause schicken. Das ist auch eine schöne Motivation für die Elf von Jogi Löw. Ich persönlich hoffe, dass Holland gewinnt und beide Mannschaften im Finale wieder aufeinandertreffen.

    Stimmt es eigentlich, dass Sie inzwischen ein Fan der deutschen Nationalmannschaft sind?

    Van Breukelen: Also Fan, das ist ein wenig übertrieben. Aber mich hat schon sehr beeindruckt, was für einen attraktiven Fußball das deutsche Team 2010 in Südafrika gespielt hat. Es war vielleicht insgesamt der schönste Fußball bei der WM. Und dann die Art und Weise, wie Deutschland Holland im November in Hamburg mit 3:0 besiegte. Das war große Klasse. Özil, Schweinsteiger, Gomez, Khedira und natürlich auch Neuer – das sind wirklich absolute Topspieler. Da kommt man schon ins Schwärmen.

    So viel Lob aus Ihrem Munde für die deutsche Mannschaft, das überrascht schon ein wenig.

    Van Breukelen: Warum?

    Man hat noch Ihre Auftritte als Torhüter im holländischen Dress gegen die Deutschen in Erinnerung. Sie wirkten – um es vorsichtig auszudrücken – jedes Mal ziemlich motiviert, wenn es gegen den großen Nachbarn ging.

    Van Breukelen: Ich wollte immer sehr, sehr gerne gewinnen. Wahrscheinlich haben auch die Fans von Ajax und Feyenoord gedacht, der van Breukelen ist verrückt, wenn ich im Trikot des PSV Eindhoven gegen diese Klubs gespielt habe. Nehmen Sie den Lothar Matthäus auf deutscher Seite, der war auch nicht viel anders, der wollte auch immer unbedingt als Sieger vom Platz gehen und hat dafür alle möglichen Mittel eingesetzt. Dazu gehörten nun mal auch Provokationen und ähnliches.

    Die deutsch-holländischen Duelle

    7. Juli 1974, München, WM-Finale: Die Elf von Rinus Michels stürmt erstmals bei einer WM ins Endspiel. Doch dort endet für Johan Cruyff und Co. der Siegeszug, obwohl Johan Neeskens in der ersten Minute per Strafstoß das 1:0 gelingt. Paul Breitner und Gerd Müller drehen die Partie zum 2:1. Von diesem Trauma erholt sich die niederländische Fußball-Seele lange nicht.

    18. Juni 1978, Cordoba, WM-Zwischenrunde: Diesmal erweisen sich die Oranjes für die deutsche Elf als Spielverderber. Rene van de Kerkhof trifft in der 84. Minute zum 2:2-Endstand, nachdem Helmut Schöns Team durch Rüdiger Abramczik und Dieter Müller zweimal geführt hat.

    14. Juni 1980, Neapel, EM-Vorrunde: Und wieder triumphieren die Deutschen. Drei Tore des überragenden Klaus Allofs zum 3:2 ebnen der Mannschaft von Jupp Derwall den Weg ins Finale von Rom, wo mit dem 2:1 gegen Belgien der zweite EM-Triumph gelingt.

    21. Juni 1988, Hamburg, EM-Halbfinale: Auf diesen Moment haben die Nachbarn seit 14 Jahren gewartet: Dank Marco van Bastens Siegtor in der 89. Minute zum 2:1 gelingt die Revanche für die «Schmach» von München. Nach dem Schlusspfiff putzt sich Ronald Koeman mit dem Trikot von Olaf Thon symbolisch den Hintern ab.

    19. Oktober 1988, München, WM-Qualifikation: Schon vier Monate später treffen die Erzrivalen im Endspielstadion von 1974 erneut aufeinander. Diesmal überragen die Defensivreihen, es fallen keine Tore.

    26. April 1989, Rotterdam, WM-Qualifikation: In aufgeheizter Atmosphäre findet das Rückspiel im Stadion De Kuip statt. Van Basten gleicht drei Minuten vor Schluss die deutsche Führung von Karl-Heinz Riedle zum 1:1-Endstand aus - beide fahren zur WM.

    24. Juni 1990, Mailand, WM-Achtelfinale: Die Spuckattacke von Frank Rijkaard gegen Rudi Völler bringt die Gemüter in San Siro zum Kochen. Beide Spieler werden vom Platz gestellt. Der herausragende Jürgen Klinsmann und Andreas Brehme schießen beim 2:1 den wohl wichtigsten Sieg für die DFB-Elf auf dem Weg zum dritten WM-Triumph heraus.

    18. Juni 1992, Göteborg, EM-Vorrunde: Im letzten EM-Gruppenspiel ist die deutsche Elf im Ullevi-Stadion gegen die Oranjes chancenlos. Rijkaard, Rob Witschge und Dennis Bergkamp machen bei einem Gegentor von Klinsmann das 3:1 perfekt. Trotzdem kommt die Elf von Berti Vogts ins Finale, die Niederländer scheitern in der Vorschlussrunde am späteren Überraschungssieger Dänemark.

    15. Juni 2004, Porto, EM-Vorrunde: Ganze neun Minuten fehlen der deutschen Mannschaft zum Auftaktsieg beim Turnier in Portugal. Dann macht Ruud van Nistelrooy mit dem 1:1 die Hoffnung zunichte. Torsten Frings hat die als Außenseiter gestartete DFB-Elf in Führung gebracht.

    Sie haben heute noch ein schlechtes Image in Deutschland.

    Van Breukelen: Ja, ich weiß und ich habe das auch schon zu spüren bekommen. Ich halte jedes Jahr so an die 120 Vorträge zum Thema Motivation. Einmal wollte mich der Direktor einer holländischen Firma, die in deutschem Besitz ist, engagieren. Er musste in der Zentrale in Deutschland nachfragen, ob das okay ist. Es dauerte, zwei, drei Tage, dann meldete sich der große Boss aus Deutschland und meinte, er will nicht, dass ich vor der Belegschaft spreche, weil er schlechte Erinnerungen an mich hat. Ich musste ein wenig lachen. Aber es ist ja meine eigene Schuld.

    "Bin auch mal über die Grenzen gegangen"

    Schämen Sie sich heute für manche Aktion von damals?

    Van Breukelen: Ich bin nicht wirklich stolz darauf. Wenn man die Spiele in aller Ruhe mit einer Tasse Kaffee auf dem Sofa anschaut, dann denkt man sich schon in der einen oder anderen Situation, das war vielleicht ein bisschen zu viel. Aber wie gesagt, ich wollte unbedingt gewinnen und bin dafür auch mal über Grenzen gegangen. Das ist meine Art gewesen und ich bin damit 1988 in Deutschland mit Holland Europameister geworden, was der Höhepunkt in meiner Karriere war.

    Was hätten Sie sich nicht verziehen?

    Van Breukelen: Einen Spieler zu verletzen. Und das ist auch nie passiert. Außenstehende hatten vielleicht den Eindruck, der van Breukelen steht total unter Strom, das ist ein Wahnsinniger. Aber ich wusste immer, was ich tat.

    Eine der hässlichsten Szenen in der deutsch-holländischen Fußball-Geschichte war die Spuckattacke bei der WM 1990 von Frank Rijkaard gegen Rudi Völler, mit dem sie unmittelbar zuvor aneinandergeraten waren.

    Van Breukelen: Dass Frank Rudi Völler angespuckt hat, lag nicht an Völler oder den Deutschen. Frank war frustriert. Die Stimmung im Team passte nicht, aber das war nicht das einzige Problem. Wir spielten schlampig, überheblich und lagen zurück. Da ist Frank ausgerastet. Hätte bei uns mehr Disziplin geherrscht, wären wir wohl Weltmeister geworden. Aber wir haben uns damals selbst zerstört.

    Haben Sie sich später einmal mit Völler in einer ruhigen Minute über das Geschehen von damals unterhalten?

    Van Breukelen: Nein, die Möglichkeit dazu hat sich leider nie ergeben. Aber Lothar Matthäus habe ich mal in München getroffen, zu einer Zeit, als wir beide noch spielten. Er war sehr freundlich. Leute wie Lothar Matthäus verstehen, dass man alles versucht, um ein Spiel für sich zu entscheiden.

    Deutsch-holländische Rivalität nicht mehr so groß

    Die deutsch-holländische Rivalität auf dem Fußballplatz ist heute nicht mehr ganz so groß wie zu Ihrer aktiven Zeit.

    Van Breukelen: Das hat sicher auch damit zu tun, dass viele holländische Spieler, aber auch Trainer in deutschen Klubs aktiv waren und sind. Jan Wouters, Mark van Bommel, Huub Stevens und andere haben mit viel Respekt über ihre Klubs und Deutschland gesprochen und von der großen Freundlichkeit dort berichtet. Die haben Werbung für die Bundesliga und auch für den deutschen Fußball gemacht. Zudem lässt ganz allgemein feststellen, dass es heute im Profibereich auf dem Fußballplatz weniger aggressiv zugeht als früher. Da sind die vielen Fernsehkameras, die alles einfangen, und dazu stehen ja auch noch sechs Unparteiische auf oder neben dem Platz, die genau hingucken.

    Sie haben vom attraktiven Fußball der deutschen Mannschaft geschwärmt. Das 1:0 gegen Portugal war aber ein Arbeitssieg.

    Van Breukelen: Na und. Im Spitzensport geht es in allererster Linie darum zu gewinnen.

    Vieler Ihrer Landsleute haben aber gerade der holländischen Mannschaft im Vorfeld der EM – trotz einer souveränen Qualifikation – vorgeworfen, sie spiele nicht mehr schön, sondern vor allem ergebnisorientiert. Es schien, als würden die Deutschen auf einmal holländisch und die Holländer deutsche spielen.

    Van Breukelen: Das stimmt. Deutschland hat dreimal die WM und dreimal die EM gewonnen. Und wir Holländer haben heute noch das Gefühl, trotzdem den schönsten Fußball gespielt zu haben. Aber im Endeffekt ist es doch für einen Fan, egal ob von einem Klub oder von der Nationalmannschaft, das Wichtigste, zu gewinnen. Unser Trainer, Bert van Marwijk, geht realistisch an die Sache ran. Er kennt die Möglichkeiten seiner Spieler. Wir haben mit Sneijder, van der Vaart, Robben, van Persie und Huntelaar hervorragende Offensivkräfte, aber in der Abwehr sind wir nicht so gut besetzt. Deshalb hat van Marwijk insgesamt ein wenig defensiver spielen lassen. Und er war mit dieser Strategie in Südafrika ja auch ziemlich erfolgreich. Es hätte fast für den Weltmeistertitel gereicht. Man muss den Stil an den Leuten ausrichten, die man zur Verfügung hat. Ich sehe das anders als Johan Cruyff, der immer nur fordert, schön zu spielen.

    Jogi Löw hat unlängst gesagt, man könne heute auf „hässliche Weise keinen Titel mehr gewinnen“.

    Van Breukelen: Dann möchte ich nach dem Erfolg von Chelsea in der Champions League seine Meinung hören. Wie Chelsea den Pokal mit den großen Ohren geholt hat, hat mir auch keinen Spaß gemacht. Aber es ist eben ein Teil des Spiels, es gewinnen zu wollen und dafür alle seine Möglichkeiten auszuschöpfen.

    Spanien gilt als großer Favorit bei der EM 2012. Im WM-Finale vor zwei Jahren ist das holländische Team am Versuch gescheitert, mit Kampf und Härte die Übermannschaft der vergangenen Jahre zu besiegen.

    Van Breukelen: Die Balance muss stimmen. Ich denke, dass unsere Mannschaft im WM-Finale dann doch ein bisschen zu viel Energie darin investiert hat, die Spanier nicht ins Spiel kommen zu lassen, was ja eigentlich auch nicht unserem Spielstil entspricht. Und sie hat sehr hart gespielt. Es war ein Beispiel dafür, dass es nicht gut ist, wenn man mit zu viel Ehrgeiz und übermotiviert eine Sache angeht.

    "Gegen den großen Bruder will man immer gewinnen"

    Viele Experten sehen Deutschland als größten Herausforderer Spaniens bei der EM. Zählt Holland in Ihren Augen trotz der Auftaktniederlage noch zu den Titelanwärtern?

    Van Breukelen: Wenn in der Mannschaft wieder so eine gute Stimmung wie bei der WM 2010 herrscht, dann ja. Der Teamspirit ist bei so einem Turnier enorm wichtig. Zudem muss man den Fokus immer voll auf das nächste Spiel richten, darf keine Energien verlieren und sich in Diskussionen verstricken, wer spielt und wer nicht spielt. Und es braucht Leidenschaft und Stolz.

    Der Stolz der Holländer war bei der 0:3-Pleite im Herbst gegen Deutschland schwer gekränkt worden. Allein schon deshalb hat die Elftal auf eine Revanche gebrannt.

    Van Breukelen: Das hat ja damals schon Mark van Bommel angedeutet. Er meinte, die Partie in Hamburg sei eine gute Motivation für ihn und sein Team, sollte man bei der EM aufeinander treffen. Und dann kam die Auslosung und Holland und Deutschland waren in einer Gruppe.

    Haben Sie eine Erklärung dafür, warum gerade die Duelle Deutschland gegen Holland emotional so aufgeladen sind?

    Van Breukelen: Das ist halt wie mit einem großen Bruder, gegen den will man immer gewinnen.

    Aber im Vergleich zu den Schweizern oder Österreichern scheinen die Holländer noch motivierter zu sein, wenn es gegen Deutschland geht.

    Van Breukelen: Das hat viel mit dem verlorenen WM-Finale von 1974 zu tun. Dieses Trauerspiel hat uns Holländer tief geprägt, es ist ein gesellschaftliches Trauma. Und dazu kommt noch, dass im Vergleich zu anderen Nachbarländern Holland immer ungefähr auf Augenhöhe mit Deutschland war. Das macht die Sache noch brisanter.

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