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Bundesliga: Protz-Profis: Wie verhätschelt sind unsere Fußballstars?

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Protz-Profis: Wie verhätschelt sind unsere Fußballstars?

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    Da war es noch kein mit Blattgold verziertes Steak, sondern der neue Audi, neben dem Franck Ribéry posiert.
    Da war es noch kein mit Blattgold verziertes Steak, sondern der neue Audi, neben dem Franck Ribéry posiert. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Sie sind die Elite, die Besten der Besten. Verdienen Millionen für 90 Minuten Laufarbeit pro Woche. Gleichzeitig sollen sie gut erzogene und mit beiden Beinen im Leben stehende Männer sein. Mit jenen Beinen rennen sie normalerweise Gegenspielern hinterher oder spielen Bälle in Räume, die Normalsterblichen auf ewig verborgen bleiben. Fußballprofis. Verehrte Helden. Die außerhalb des Feldes gefälligst dem eiche-rustikal-deutschen Durchschnitt zu entsprechen haben. Genie und Normalo zugleich.

    So wie die deutschen Handballer. Allzu gern hat man denen vor dem Fernseher zugejubelt. Das sind keine ganzkörpertätowierten Hipster. Sondern Muskelpakete, deren Schmerzempfinden dort anfängt, wo Sanitäter Fußballer auf der Trage aus dem Stadion bringen. Nur: Handball interessiert einen Monat nach der Weltmeisterschaft keinen mehr. Normale Typen fliegen wieder durch die Hallen in Gummersbach, Wetzlar und Melsungen.

    Währenddessen warten die Fußballfans gespannt darauf, wie sich der FC Bayern gegen den FC Liverpool schlägt. Ob Borussia Dortmund das Wunder gegen Tottenham gelingt? Und der FC Augsburg den Klassenerhalt in der Bundesliga schafft? Abwandlungen der Fragen, wie sie Jahr für Jahr im Frühjahr gestellt werden. Das Interesse am Fußball ebbt kaum ab, auch wenn es Skeptiker seit Jahren prophezeien.

    Da bleibt das Gefühl: Was sind das für weltfremde Burschen?

    Bei der Weltmeisterschaft in Russland schied die deutsche Nationalelf in der Vorrunde aus. Der letzte internationale Titel einer Vereinsmannschaft liegt auch schon sechs Jahre zurück. Spiele der Champions League sind nur noch gegen Extra-Bezahlung zu sehen. Dazu das Gefühl: Was sind das für weltfremde Burschen? Bayern-Star Franck Ribéry verzehrt ein mit Blattgold verziertes Steak. Dortmunder Profis lassen sich im Londoner Hotel einen Starfriseur kommen, der ihnen die Haare schneidet. Während der WM musste den Spielern der Internetzugang abgeschaltet werden, damit sie nicht die Nacht vor der Konsole verbringen.

    Bekannt für seine flexible Urlaubsauslegung: Caiuby, der nicht mehr für den FCA aufläuft.
    Bekannt für seine flexible Urlaubsauslegung: Caiuby, der nicht mehr für den FCA aufläuft. Foto: Ulrich Wagner

    Ja, und dann natürlich Augsburgs Caiuby, der seinen Urlaub eigenmächtig um drei Wochen verlängerte. Das lässt sich der FC Augsburg natürlich nicht gefallen. Geldstrafe. Der Brasilianer wird freigestellt. Und spielt jetzt eben für die Grasshoppers Zürich in der Schweiz. Entrückte Kicker, mag da mancher schimpfen. Der Ärger der Fans wird unterfüttert von der Bild am Sonntag. Die berichtet im „Verhätschel-Report der Bundesliga“ von Profis, die ihre Schuhe nicht selber säubern müssen. Und von Franck Ribéry, der sich offenbar etwas schwerer mit dem deutschen Prinzip der Mülltrennung tat und auf die Idee verfiel, dass der Unrat in Säcken gebündelt auf der Straße ganz gut aufgehoben sei. Sahen die Nachbarn anders. Monsieur aber stand der Sinn nicht nach dem Erlernen deutscher Gründlichkeit. Recyceln? Bei welchem Verein spielt der denn?

    Marco Reus fuhr jahrelang mit gefälschtem Führerschein

    Die Bayern lassen seitdem einen Angestellten die Tüten der Familie Ribéry abholen und entsorgen. Von Marco Reus wiederum weiß man, dass er jahrelang mit gefälschtem Führerschein fuhr. Falsch abgebogen sei er halt und dann sei es schwer, wieder auf den richtigen Weg zu kommen, begründeten die Dortmunder Vereinsbosse das. Profis, die vor 70.000 fanatischen Fans die Ruhe bewahren sollen, können dem Druck nicht standhalten, einen Fehler zuzugeben? Oh Zeiten!

    Alexander Frankenberger kennt sich mit diesen Zeiten recht gut aus. Er ist der sportliche Leiter des Augsburger Nachwuchsleistungszentrums. Seine Aufgabe: aus der eigenen Jugend Spieler an die Profimannschaft heranführen. Jeden Tag hat es der 32-Jährige mit hoffnungsvollen Talenten zu tun. Er bestätigt, dass den Jugendlichen tatsächlich mehr abgenommen wird als in den vergangenen Jahrzehnten. „Wir versuchen, die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich die Jungs gut entwickeln können“, sagt Frankenberger. Ab der U14-Mannschaft bietet der Verein einen Fahrservice an. Wer eine Autostunde von Augsburg entfernt wohnt, wird abgeholt und heim gebracht. Das bedeutet auch, dass Kinder aus München, Ingolstadt oder Ulm für den FCA spielen. „Viele verlassen das Haus um 6.30 Uhr, um zur Schule zu fahren, anschließend geht es weiter zum Training und bis sie dann wieder zu Hause sind ist es 21.30 Uhr. Wenn sie dann noch was für die

    Andreas Daul weiß, wovon Frankenberger spricht. Sein Sohn Philip spielt für die U13 des FC Augsburg. Der letzte Jahrgang, ehe der Fahrservice vom Verein gestellt wird. Die Dauls wohnen in Stockdorf bei München. Philip besucht die siebte Klasse des Gymnasiums. Drei Mal in der Woche ist Training, drei Mal in der Woche organisieren die Eltern selbst die Fahrten nach Augsburg. „An vielen Wochenenden im Winter steigen die Jungs am Freitag in den Zug und kommen erst am Sonntag wieder“, sagt Daul. Für Hallenturniere fahren die Augsburger auch mal in den Norden Deutschlands. So kommt es, dass die Kinder ein größeres Pensum absolvieren als viele Erwachsene. „Sie müssen schon auf einiges verzichten. Vor allem auf Freizeitaktivitäten“, sagt auch Frankenberger. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der ganze Aufwand irgendwann finanziell rentiert: gering. Wer es in die Bundesliga schafft, hat Talent und Durchsetzungsvermögen. Aber Manieren? Oder Selbstständigkeit?

    Wem von klein an so viel abgenommen wird, dem fällt der Alltag schwer

    Oder ist es vielleicht gerade anders herum: Dass, wem von klein an so vieles abgenommen wird, später womöglich an banalen, alltäglichen Herausforderungen scheitert? An Mülltrennung? Daran, sich selbst etwas zu essen zu kaufen? Oder hängt es letztlich vom Verein ab, wie viel sich welcher Spieler leisten kann? Und wie viel Protz sein muss?

    Andreas Rettig ist Geschäftsleiter des Zweitligisten FC St. Pauli. „Vielleicht schaffen vier Prozent den Sprung zu den Profis und 96 Prozent nicht. Was wir aber garantieren können: Aus denen machen wir alle ordentliche Menschen.“ Dazu gehöre es, dass auch mal eine Trainingseinheit ausfällt und stattdessen ein externer Experte einen Vortrag über rechte Entwicklungen hält. „Die Jungs werden doch balla balla, wenn wir ihnen nur etwas über Pässe mit der Innenseite oder über aerobe und anaerobe Belastungen erzählen.“

    War früher alles besser? Und die Fußballer weniger dekadent? Günter Netzer 1971 vor seinem Ferrari Dino 246 GT.
    War früher alles besser? Und die Fußballer weniger dekadent? Günter Netzer 1971 vor seinem Ferrari Dino 246 GT. Foto: imago

    Sich über Nachwuchsprofis aufzuregen, die mit Dumbo-Kopfhörern durch die Welt schweben, hält er für falsch. „Es bringt doch nichts, Generationen gegeneinander aufzurechnen. Da kommen wir in den Wald. Jede Generation hat ihre Widrigkeiten und wir müssen lernen, damit umzugehen.“ Ein iPhone habe es vor 30 Jahren noch nicht gegeben. Da hockte die Mannschaft noch gemütlich am Tisch und spielte Karten. Und zechte.

    In der Vorbereitung zur WM 1982 versammelte Bundestrainer Jupp Derwall seine Mannschaft am Schluchsee. Er fand Eingang in die Annalen unter dem Namen „Schlucksee“. Sepp Maier, der am Donnerstag 75 Jahre alt wird, erzählte zuletzt, wie er sich in den 70er Jahren mit seinem Mannschaftskameraden Franz „Bulle“ Roth am Vorabend eines Spiels betankte. Roths Abend fand in einer fünf Meter tiefen Baugrube zwischenzeitlich sein Ende.

    Auch damals zeigte man schon, was man hat: Franz Beckenbauer 1974 im Nerzmantel.
    Auch damals zeigte man schon, was man hat: Franz Beckenbauer 1974 im Nerzmantel. Foto: Witters

    Oder Günter Netzer, der nicht nur für seine Liebe zu schnellen Autos bekannt ist, sondern noch zu Profizeiten eine Disko eröffnete. Luden-Mäntel an jedem Bundesliga-Profi, der damals ein wenig auf sich hielt. Die Alkoholkrankheit von Nationalspieler Uli Borowka wurde in den 80er und 90er Jahren von all seinen Kollegen und Trainern gedeckt. Saufgeschichten als Folklore.

    Vor der WM 1982 wurde aus dem Schluchsee der „Schlucksee“

    Heute hängen Spieler nicht am Glas, sondern eher am Bildschirm. „Da sammeln die Trainer bei Turnieren auch mal die Handys ein und geben sie den Jungs am Abend nur für eine Stunde zurück“, erzählt Daul von den Reisen seines Sohnes. Es seien nun eben andere Ablenkungen als früher, sagt der Cheftrainer des Augsburgers Nachwuchses Frankenberger. Wahrscheinlich seien es sogar mehr.

    Nicht jede Abwechslung aber sei gleich schlecht für die Junioren, meint Rettig. Natürlich müssten sie Leistung bringen, aber „sie sollen auch normal am Leben teilhaben können“. Dazu gehöre es auch mal, Pizza zu essen oder vielleicht mit seinen Freunden in den Klub zu gehen. Stattdessen aber schicken viele Vereine ihren Nachwuchs quer durch Europa. Youth League, quasi eine Champions League für Junioren. Neben Training, Liga und Verbandsauswahl. Vielleicht auch noch Jugend-Nationalmannschaft. Die Belastung summiert sich auf Werte, die denen deutscher Spitzenkräfte wie Manuel Neuer gleichen. Dazu noch Schule. Die Internationalisierung beginnt nicht erst in den Profi-Abteilungen.

    Mancher Charakter tut sich zwischen Klassenzimmer, Umkleidekabine und Abflughalle schwer, mitzuwachsen. Berater versprechen Pubertierenden große Karrieren. Geld spielt schnell eine Rolle und später dann keine mehr. Man hat es einfach. 19-Jährige fahren mit Luxus-Autos auf den Vereinsparkplatz. Ergänzungsspieler tragen Uhren im Wert einer Vorstadt-Immobilie.

    Andererseits: Ist das nur der Neid des Durchschnittsbürgers? Ist Luxus in Zeiten von Instagram einfach sichtbarer? Müssen Bundesliga-Profis ihren Reichtum verstecken? Sind die meisten nicht eigentlich doch ganz normale Männer? Die Kimmichs, Hummels und Müllers. Sollen Typen sein. Werden dann aber medial für einen missverständlichen Nebensatz hart kritisiert. Und Ribéry? Verpasste Mülltrennung zählte eher zu seinen kleineren Lässlichkeiten. Da war auch die Geschichte mit der minderjährigen Prostituierten... Der 35-Jährige ist aber auch fünffacher Vater. Nach allem was bekannt ist: ein guter.

    Geld, ist klar, stinkt nicht. Geld linkt dich. Eiche rustikal? Durchschnitt wird zur Herausforderung.

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