Die blutigen Vorfälle beim Bundesliga-Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und dem VfB Stuttgart drohen zur Zerreißprobe im Verhältnis zwischen der Polizei und der organisierten Fanszene zu werden. Vor Anpfiff der Partie am Samstag war es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Eintracht-Fans gekommen. Mittlerweile ist die Rede von mehr als 200 verletzten Personen: mehr als 100 aufseiten der Ordnungsdienste und Einsatzkräfte, etwa 100 bei den Frankfurter Fans. Während die Polizei, die mittlerweile eine Sonderkommission zur Aufklärung der Vorfälle gegründet hat, das aggressive Verhalten der Stadionbesucher anprangert, wirft die Fanszene der Polizei ein überzogenes Verhalten vor. Ina Kobuschinki von der Frankfurter Fanhilfe "Der 13. Mann" sagte der dpa: "Ich war geschockt. Es waren sehr viele Leute geschockt. So viel Blut und so viele Problemfälle hatten wir noch nie."
Will die Polizei mit ihrem Vorgehen ein Signal vor der Heim-EM senden?
Die Vorfälle in Frankfurt sind der folgenschwerste, beileibe aber nicht der einzige Vorfall dieser Art in jüngster Zeit. Beim Spiel des FC St. Pauli gegen Hannover 96 am Freitag, 10. November, hatte die Hamburger Polizei den Gästeblock gestürmt, Pfefferspray und Schlagstöcke eingesetzt. Einen Tag später eskalierte die Lage beim Heimspiel des VfL Bochum gegen den 1. FC Köln. Auch hier kritisierten die Fanhilfen die aus ihrer Sicht überzogenen Polizeimaßnahmen.
Das Online-Portal "Faszination Fankurve" listet 16 Vorfälle dieser Art seit Saisonstart auf. Strafverteidiger René Lau ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte und glaubt nicht an einen Zufall. "Ich gehe davon aus, dass die Europameisterschaft im kommenden Jahr hier eine große Rolle spielt." Polizei und Politik wollten mit einer harten Vorgehensweise ein Signal senden, so Lau: "Bilder wie die vom Wochenende entfalten ja nicht nur in unserem Land eine Wirkung, sondern sollen auch als Abschreckung für europäische Fußball-Fans dienen." Auch das Fanbündnis "Unsere Kurve" betrachtet die Polizeieinsätze in Bundesliga-Stadien "mit großer Sorge". Ein Sprecher sagte unserer Redaktion: "Es deutet vieles darauf hin, dass sich die Polizeitaktik in Bezug auf Fußballfans geändert hat. Die Arbeit der Polizei gehört kritisch und unabhängig überprüft."
Die Polizei sieht die Vereine am Zug
Frankfurts Polizeipräsident Stefan Müller widersprach diesem Vorwurf auf einer Pressekonferenz Anfang der Woche. Keine Machtdemonstration der Polizei, sondern die Aggression der Fans sei der Auslöser für den Eklat gewesen. Flaschen und Eisengitter seien auf die Polizisten geworfen worden. Nach dem Ende von Corona gebe es zuhauf wieder Probleme mit Pyrotechnik. Zudem gebe es keine Akzeptanz für die Tätigkeit des Ordnungsdienstes. Die Eintracht sei gefordert, mit Hausverboten durchzugreifen. Der Verein positionierte sich bislang nicht eindeutig, der DFB hat Ermittlungen gegen den Klub aufgenommen.
Problematisch ist aus Sicht von "Unsere Kurve" die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei: "Man beobachtet vielerorts einen Schulterschluss zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft. Und dabei sollte die Staatsanwaltschaft die Polizei kontrollieren. Das ist ein rechtsstaatliches Defizit, unter dem insbesondere Fußballfans leiden." Auch René Lau bemängelt eine fehlende Kontrollinstanz: "Die Polizei ist keine objektive, außenstehende Partei – und sie macht auch Fehler." So habe in Frankfurt die Polizei zuerst via X, ehemals Twitter, verlauten lassen, dass rivalisierende Fans aus Stuttgart und Frankfurt getrennt werden müssen. Später wurde diese Darstellung korrigiert: Gästefans waren bei dem Vorfall nicht dabei.
Diskussion über Risikospiele der Bundesliga
Ein anderes Problem sei die Ansetzung darüber, welche Spiele überhaupt als Risikospiele gelten und folglich eine höhere Anzahl an Einsatzkräften bedeuten. Hier können Vereine zwar ihre Einschätzung abgeben, die finale Entscheidung bleibe aber bei der Polizei. Für Überraschung sorgte zu Saisonbeginn etwa, dass das Heimspiel des FC Augsburg gegen Borussia Mönchengladbach als Spiel mit erhöhtem Risiko eingestuft wurde. Die Folge: rund 150 Beamte waren im Einsatz, darunter 109 Einsatzkräfte der geschlossenen Einheiten der Bereitschaftspolizei.
Für Aufsehen sorgte das Aufkommen, weil sich bei einer Dienstwaffe ein Schuss löste, als ein Polizist mit seiner Dienstwaffe hantierte. Die Kugel schlug in einem Fanbus ein. Verletzt wurde niemand, der 27-jährige Beamte ist aber seither suspendiert, die Ermittlungen dauern noch an. Schlagzeilen machte zuletzt in Augsburg auch ein Böller, der im Gästeblock explodierte. Am kommenden Sonntag steht für den FC Augsburg wieder ein Heimspiel an, der Gegner wird dann die Frankfurter Eintracht sein.