Es sah nach einem fröhlichen Sonntagsspaziergang aus, den Andries Jonker zur Mittagszeit im Moore Park hinlegte. Als hätte er gerade irgendwo in einem der trendigen Cafés der Oxford Street nebenan gefrühstückt und müsste sich noch mal die Beine vertreten, schlenderte der Trainer der niederländischen Frauen-Nationalelf über den Rasen des Sydney Football Stadium. Immer mal wieder hielt der Mann mit weißem Hemd und dunklem Sakko inne, um irgendjemand in den Arm zu nehmen. Der Favorit Niederlande hatte sich mit einem 2:0 gegen Außenseiter Südafrika im WM-Achtelfinale durchgesetzt, was bei diesem Turnier ja nicht selbstverständlich ist.
Der ehemalige Bundesliga-Coach des FC Bayern und VfL Wolfsburg gab später im Tiefgeschoss dieser Multifunktionsarena zu, dass ihn das Ausscheiden von Deutschland und Brasilien noch ein bisschen wachsamer gemacht habe. „Ich hätte es nie geglaubt, und ich habe es auch nicht erwartet“, sagte der 60-Jährige. Wobei Jonker zu Deutschland mal anmerken wollte, dass seine beiden Ex-Vereine bei den Frauen europäische Topvereine wären und auch der deutsche Frauenfußball für ihn „gesund“ aussehe, nur: „Man kann nicht immer gewinnen.“ Die „Oranje Leuwinnen“ haben unter seiner Regie bei diesem Turnier noch nicht verloren, was Jonker vor dem Viertelfinale gegen Spanien (Freitag, 3 Uhr MESZ) im neuseeländischen Wellington zur Ansage veranlasste: „Wir haben die Qualität, Südafrika, aber auch Spanien zu schlagen.“
40.233 Zuschauer fühlten sich gut unterhalten
Sein erstes K.-o.-Duell hatte nach australischer Zeit um zwölf Uhr begonnen, weil der Spielplan an den Wünschen des nordamerikanischen TV-Marktes ausgerichtet worden war. Da hatte man noch mit den USA als Gruppenerster kalkuliert. Dass in der Weltmetropole Sydney nun bloß der Vizeweltmeister spielte, machte den immerhin 40.233 Zuschauern wenig aus. Die meisten fühlten sich gut unterhalten, nur Jonker drosselte seine Emotionen. „Es ist mein Job, alles in Ruhe zu analysieren, aber einmal habe ich meine Hände ja aus den Taschen genommen und bin auch hochgesprungen.“
Das passierte beim 2:0 von Lineth Beerenstyn (68.), als die ehemalige Angreiferin vom FC Bayern von einem kapitalen Fangfehler der südafrikanischen Torhüterin Caylin Swart profitierte, die nach ihrem Fauxpas den Boden mit ihren Fäusten malträtierte. Ihr Gegenüber war besser drauf. Die überragende Daphne van Domselaar hat sich mit 23 Jahren bereits als eine der tüchtigsten WM-Torhüterinnen hervorgetan und heimste die Auszeichnung zur „Spielerin des Spiels“ ein. „Sie hat sich toll entwickelt“, lobte Jonker, dessen Ensemble trotz der frühen Führung der bis Sommer für den VfL Wolfsburg spielenden Jill Roord (9.) bedenklich wackelte.
In Südafrika arbeiten die Spielerinnen in Vollzeit
Vor allem die südafrikanische Klassestürmerin Thembi Kgatlana betätigte sich als permanenter Unruheherd. Ihre Trainerin Desiree Ellis will jetzt alle Kraft beim Verband einbringen, dass die Fifa-Prämie von 60.000 Dollar für den Achtelfinaleinzug wirklich bei den Akteuren ankommt: „Die haben es zu 100 Prozent verdient.“ Die 60-Jährige nahm in der Pressekonferenz die eigene Regierung, die heimischen Sponsoren in die Pflicht, endlich dafür zu sorgen, dass am Kap eine professionelle Frauen-Liga entstehen möge. „Ich weiß nicht, wie man das noch ignorieren kann. Es kann nicht sein, dass unsere Nationalspielerinnen noch von 9 bis 17 Uhr arbeiten müssen.“
Für sie steht fest, dass ihr Team bei dem vielen Talent „in vier Jahren noch besser“ sein wird. Ihr Land würde liebend gerne die WM 2027 ausrichten und gilt in Fifa-Kreisen fast als aussichtsreicherer Kandidat als beispielsweise die Dreifachbewerbung aus Deutschland, Niederlande und Belgien. Auch unter diesem Gesichtspunkt war der tapfere Achtelfinalauftritt der Südafrikanerinnen nicht unwichtig.