Sie verfolgen die WM in Neuseeland und Australien seit dem Eröffnungsspiel vor Ort. Was sind Ihre Eindrücke?
Dietmar Ness: Ich erlebe eine tolle Atmosphäre, das ist sehr beeindruckend. Als ich zum Eröffnungsspiel in Auckland gefahren bin, wusste mein Taxifahrer noch nicht so richtig, was Sache ist. Man würde sich nur für Rugby und Cricket interessieren, aber im ausverkauften Stadion war dann trotzdem eine Riesenstimmung. Inzwischen ist das Turnier selbst nach dem Ausscheiden des eigenen Teams weiterhin ein sehr wichtiges Event, auch für die Entwicklung des Frauenfußballs, geworden. Und in Australien sind die Stadien noch mal auf einem anderen Niveau und ja auch voll, wenn nicht der Gastgeber spielt. Es ist alles professionell und sympathisch vor Ort aufgestellt.
Das sportliche Niveau übertrifft auch die Erwartungen?
Ness: Es ist auffällig, dass viele Nationen extrem aufgeholt haben. Besonders die afrikanischen Länder. Nigeria hat nicht unverdient den Gastgeber Australien geschlagen und es gegen den Europameister England bis ins Elfmeterschießen geschafft. Da fehlte nur ein bisschen Cleverness in den Drucksituationen. Ich war wegen der Ausweitung auf 32 Teams erst skeptisch, aber da bin ich eines Besseren belehrt worden. Man konnte ja schon in deutschen Vorbereitungsspielen gegen Vietnam und Sambia sehen, dass bei den Neulingen Qualität vorhanden ist.
Haben Sie erwartet, dass die deutschen Fußballerinnen so unter dem Anspruch bleiben würden?
Ness: Ich war schon überrascht. Für mich persönlich ist es irritierend, dass man fast komplett ohne gelernte Außenverteidigerinnen angereist ist. Ich habe bei den WM-Spielen immer mal wieder gedacht: Es fehlte für mich eindeutig der Spielerinnentyp Dzsenifer Marozsan. Es war zu viel Körperlichkeit und zu wenig Kreativität im Offensivspiel zu beobachten.
Der DFB hat in naher Zukunft eine gründliche Aufarbeitung angekündigt, aber das Ergebnis eigentlich schon vorweggenommen, dass Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bleiben soll. Ist das richtig?
Ness: Ich gehe erst mal davon aus, dass sich der komplette Trainerstab hinterfragt. Das ist ja ein historisches Ausscheiden. Und das in einer Gruppe, die vorher als die leichteste beschrieben worden ist. Ich bin mit vielen internationalen Fachleuten in Kontakt: Sie sind geschockt, dass Deutschland ausgeschieden ist.
Welche Folgen resultieren für die Frauen-Bundesliga und den Standort Deutschland? Wird es schwierig, das Interesse hochzuhalten?
Ness: Die Einschaltquoten bei den deutschen WM-Spielen waren wirklich sehr, sehr erfreulich und das bei schwierigen Sendezeiten aufgrund der Zeitverschiebung. Zwar hat die Mannschaft nicht die sportlichen Ziele erreicht, aber sie hat unheimlich hohe Sympathiewerte. Daher glaube ich nicht, dass das Interesse groß rückläufig sein wird, doch dass eine große Chance verpasst wurde, steht natürlich außer Frage. Und es wird jetzt für deutsche Klubs immer schwieriger, die Topspielerinnen zu halten, weil gerade in England ein sehr aggressives Transferverhalten zu beobachten ist. Fast schon wie bei den Männern.
Gehen dann vielleicht noch mehr Nationalspielerinnen als nur die von Eintracht Frankfurt zum FC Chelsea gewechselte Sjoeke Nüsken auf die Insel?
Ness: Das wird zumindest versucht. Es wird intensiv daran gearbeitet, Spielerinnen aus den laufenden Verträgen rauszukaufen. Und natürlich ist es für sie verlockend, nicht nur finanziell, aber auch weil das Interesse in England immer mehr wächst. Ein Beispiel: Von Arsenal habe ich erfahren, dass sie kommende Saison zehn Spiele im Emirates-Stadion austragen werden mit der Begründung, dass in der vergangenen Saison bei den Spielen im großen Stadion im Schnitt 40.000 Besucher kamen – und damit verdient der Verein auch Geld mit den Spielen der Frauen, was sich natürlich auf deren Gehälter auswirkt.
Ist England mit dabei, wenn Sie Ihre Titelkandidaten nennen?
Ness: Ja, ich habe Japan, Frankreich und England als Favoriten auf dem Zettel.