Joti Chatzialexiou fingerte sich gerade die Stöpsel für die Schalte ins ARD-Morgenmagazin aus dem Ohr, als der Fahrdienst auf das Gelände des Wyong Race Club bog. Britta Carlson und Sabine Mammitzsch stiegen aus. Wenn der Sportliche Leiter Nationalmannschaften (Chatzialexiou), die Co-Trainerin (Carlson) und die Delegationsleiterin (Mammitzsch) der deutschen Fußballerinnen gemeinsam herangekarrt werden, dann ist der Krisenmodus angebrochen. Der strahlende Sonnenschein konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass über den DFB-Frauen bei ihrem WM-Aufenthalt eine dunkle Wolke hängt. Den Gruppensieg haben Alexandra Popp und Co. vor der nächsten Traumquote mit im Schnitt 10,36 Millionen Fernsehzuschauer so gut wie verspielt. Ob sich daraus das nächste furchtbare Gewitter mit Endzeitstimmung für den deutschen Fußball entwickelt, hängt vom dritten Gruppenspiel gegen Südkorea ab (Donnerstag 12 Uhr MESZ/ZDF).
"Du hast bei einem Turnier einen Joker – den haben wir uns genommen. Jetzt haben wir halt ein K.-o.-Spiel mehr", fasste Chatzialexiou die Ausgangslage pragmatisch zusammen. Gleichzeitig gab er im Fernsehinterview zu: "Jetzt stehen wir etwas mit dem Rücken zur Wand. Aber trotzdem bleiben wir bei uns und werden weiterhin keine Zweifel aufkommen lassen, dass wir das Spiel gegen Südkorea gewinnen." Dann ist das Weiterkommen sicher. Wegen der Tordifferenz reicht auch ein Remis, wenn Kolumbien gegen Marokko nicht verliert. Aber derlei Rechenspiele hätten sich alle gerne erspart. Der 47-Jährige ist überzeugt, dass das Vorrundenfinale zur "Kopfsache" wird. Zwar würden die von Deutschlandkenner Colin Bell trainierten Asiatinnen alles für die Ehre tun, aber über Parallelen zum Vorrunden-Aus der Männer-Nationalmannschaft im letzten Gruppenspiel gegen Südkorea bei der WM 2018 lächelte er nur müde. "Wann kramen wir die Sachen von 1974 raus?"
Bei der Aufarbeitung der Niederlage der deutschen Nationalmannschaft sei "Klartext" gesprochen worden
Besser ist es tatsächlich, die aktuellen Mängel der Frauen anzusprechen, und da entschied sich Carlson auf der Pressekonferenz für kurze Botschaften. "Gegen Marokko war nicht alles gut und gegen Kolumbien nicht alles schlecht." Bereits am Montagmorgen setzte das Trainerteam die Aufarbeitung an, dafür hatten die Analysten eine Nachtschicht eingelegt. Der überflüssige Ballverlust von Chantal Hagel kam ebenso in Bildern vor, wie der zu einfache Block gegen Sjoeke Nüsken – zwei WM-Debütanten zahlten Lehrgeld. Man habe "Klartext" geredet, versicherte die Assistentin, die im Duktus der Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bemängelte, dass die Betonung der defensiven Stabilität ("wir haben bis auf die zwei Standards kaum etwas zugelassen") einiges an offensiver Wucht gekostet habe. Ohne Durchbrüche über die Außenbahn, ohne Präsenz im Strafraum und ohne Mut im letzten Drittel wird es nicht nur gegen Kolumbien schwierig.
Die für Frauen- und Mädchenfußball zuständige DFB-Vizepräsidentin Mammitzsch machte sich dennoch keine grundsätzlichen Sorgen. "Ich sehe hier die Qualität im Training, ich sehe die Leistungen in den Vereinen", beteuerte die 64-Jährige, die nicht davon ausgeht, dass bereits vor Beginn der K.-o.-Phase an der Central Coast die Koffer gepackt werden müssen. Doch die richtigen personellen Schlüsse und taktischen Anpassungen nach dem Weckruf müssen jetzt folgen. Die überfordert wirkende Jule Brand, die im Champions-League-Finale des VfL Wolfsburg keine Minute zum Einsatz kam, ist erste Wackelkandidatin aus der Startelf – ansonsten würde ja das Leistungsprinzip außer Kraft gesetzt. "Jule wollte mit dem Kopf durch die Wand. Sie ist noch eine junge Spielerin. Wir schauen uns genau an, wie frisch sie ist", sagte Carlson. Genau könnte es der überspielt wirkenden Lina Magull helfen, mal von der Bank zu kommen. Definitiv pausieren muss Sara Doorsoun mit einer Muskelverletzung. Immerhin steht Abwehrchefin Marina Hegering – genau wie Sydney Lohmann – endlich zur Verfügung.
Deutschland gegen Südkorea: Einen radikalen Systemwechsel wird es laut Co-Trainerin Carlson nicht geben
Die Co-Trainerin verriet, dass ein Doppelsturm mit Lea Schüller und Alexandra Popp wegen der körperlichen Vorteile erwogen werde. "Es könnte sich anbieten, mit zwei Spitzen zu spielen." Einen radikalen Systemwechsel zur Dreierkette schloss die 45-Jährige aus. Carlson ist längst zur wichtigsten Ratgeberin der Chefin geworden, mit der sie im Basecamp ein Apartment bewohnt. Ihre aktive Karriere als Nationalspielerin war zwar nicht ganz so erfolgreich wie die der Cheftrainerin, aber auch sie ergatterte einen EM-Titel (2005).
Voss-Tecklenburg hatte bereits am Sonntagabend mit Blickrichtung aufs Entscheidungsspiel in Brisbane gesagt, "als Vorbild vorneweg gehen" zu wollen. Es sei ihre Aufgabe, "jetzt keine Sachen schönreden" zu wollen, aber sie müsse ihren Spielerinnen "auch Mut zusprechen". Ganz nebenbei geht es auch für die 55-Jährige um einiges, denn bei aller Sympathie für ihre überwölbenden Botschaften zu den Fortschritten des Frauenfußballs und von Frauen im Fußball: Als Bundestrainerin wird auch sie in erster Linie am sportlichen Erfolg gemessen.