Die Dunkelheit hatte sich am Freitag längst wieder über die Central Coast gelegt, als der Bus mit seinen deprimierten Insassen das letzte Mal um die Ecke bog. Wege über den Pacific Highway, vorbei an der Pferderennbahn, den Wohnhäusern bis in den Kooindah Boulevard im unscheinbaren Örtchen Wyong sind für die deutschen Fußballerinnen nun Geschichte. Erst einmal möchte wohl niemand mehr in das Golfer-Hotel ans Ende dieser Sackgasse fahren. Denn in einer solchen ist das Nationalteam des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gelandet.
Nun ist der Scherbenhaufen komplett, den der krisengeplagte DFB vor seinem teuren Campus in Frankfurt liegen hat. A-Nationalmannschaft Männer und Frauen, beide in der WM-Vorrunde verabschiedet. U21 Männer in der EM-Gruppenphase gescheitert. U19 Frauen immerhin EM-Finale gespielt. Aber hat das einer mitbekommen? Das Versagen der DFB-Frauen gegen Südkorea (1:1) sahen sich zur Mittagszeit hingegen wieder 8,06 Millionen Menschen im ZDF an. Eine Traumquote.
Die Bundestrainerin übernimmt die Verantwortung
Bei der Frage nach der Verantwortung zeigte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sehr rasch auf sich selbst. Mit der WM 2019 eingerechnet, hätte sie bei zwei Turnieren schließlich ihre Leistung nicht gebracht. Ein sehr selbstkritischer Ansatz. Die Fußballlehrerin hat aber große Rückendeckung - vor allem bei DFB-Präsident Bernd Neuendorf, der auf den erst kürzlich bis 2025 verlängerten Vertrag mit der 55-Jährigen verwies. „Wir haben ihr das Vertrauen ausgesprochen, das sie nach vor auch genießt.“
Mögen Doppelpässe auf dem Platz nicht mehr klappen, funktionieren sie außerhalb noch. Den vom Chef aus der Heimat gespielten Pass nahm mit Joti Chatzialexiou der Sportliche Leiter Nationalmannschaften am Brisbane River gerne an, als er vor dem mondänen Hotel mit dem schönen Panorama-Blick festhielt: „Ich bin dankbar, dass der Präsident diese Entscheidung entsprechend getroffen hat. Wir haben Martina letztes Jahr für eine tolle EM gefeiert.“ Jetzt müsse man gemeinsam wieder aus der Talsohle rauskommen.
Das nächste Ziel sind die Olympischen Spiele
Der 47-Jährige will am Samstag Rede und Antwort stehen. Vielleicht klärt sich die Kardinalfrage rasch, dass Voss-Tecklenburg die Kraft und die Überzeugung verspürt, die nächsten Aufgaben anzugehen. Für eine Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris ist erstmals nicht das WM-Abschneiden ausschlaggebend. Die zwei freien europäischen Startplätze werden stattdessen über die neue Nations League vergeben. Die DFB-Frauen müssten für eine Qualifikation ihre Gruppe gegen Dänemark, Island und Wales und anschließend noch Play-offs gewinnen. Bereits am 22. September geht’s bei den Däninnen los.
Vor diesem Zeitplan wäre es eigentlich Aktionismus, Voss-Tecklenburg zu schassen, die natürlich auch bereits auf die EM 2025 in der Schweiz schielt. Ihre Assistentin Britta Carlson ist keine für die erste Reihe und hängt im Fehlersumpf selbst viel zu tief mit drin. Das Duo muss sich allerdings neu erfinden – und unbedingt den Spielerinnen mehr abverlangen und weniger Rücksicht auf Vereinsbelange nehmen.
Die Nationalspielerinnen haben mit ihren „blockierten Füßen“ in einer der leichtesten Vorrundengruppen eine riesige Chance weggeworfen. „Früher gab es gefühlt nur Deutschland“, hat die als Mutter zur WM gereiste Melanie Leupolz kürzlich gesagt. Vergangenheit. Genau wie die Möglichkeit, als Gruppenerster ein Achtelfinale gegen Jamaika und danach womöglich Viertelfinale gegen Gastgeber Australien zu bestreiten und die Frauen-Auswahl als erfolgreichen Gegenpol zur Männer-Nationalmannschaft zu verfestigen.
Dem deutschen Fußball mangelt es an Konzepten gegen den Niedergang
In der Gegenwart legen sich deren Versäumnisse fast schon erschreckend übereinander. Es gibt keine Konzepte, sich gegen tief stehende Gegner spielerisch durchzusetzen. Es fehlen Außenverteidiger und -verteidigerinnen von Format. Und es mangelt an der Mentalität. Mit Kolumbien und Marokko sind zwei Teams aus der Gruppe H weitergekommen, die es mehr wollten. Dabei schöpfen beide Nationen aus einem eher winzigen Reservoir mit teils amateurhaften Strukturen.
Chatzialexiou beobachtet seit Längerem mit Besorgnis diese Entwicklung, doch ist dessen eigene Position nach fünf Jahren als Zuständiger der Nationalteams nun in höchster Gefahr. Vielleicht täte der Verband gut daran, eine resolute Frau dazuzuholen, die sich vor strukturellen Veränderungen nicht scheut. „Sinnvoll wäre das mit Sicherheit“, sagte Kapitänin Alexandra Popp. „Ich weiß, dass der DFB auf der Suche ist.“ Eine Person, die auch mal Tacheles redet – und mehr Leistung verlangt. Ihre ehemalige Mitspielerin Almuth Schult brächte dafür schon fast alles mit, sie müsste es statt ihrem Fernsehjob nur wollen und mit bald drei Kindern regeln. Voss-Tecklenburg kann anstelle des blassen Michael Urbansky zudem einen meinungsstarken Co-Trainer gebrauchen, der wie ihre charismatischen Unterstützer Thomas Nörenberg oder Patrik Grolimund bei der EM in England auch mal anderen Input vermittelt.