Junge Menschen, deren gelbe Mützen verrutschten, weil sie so wild herumtanzten. Ältere Herren, die sich das grüne Trikot vom Leib rissen, weil sie auch teilhaben wollten. Und überall Plakate, die auf den Rängen des Rectangular Stadium von Melbourne gefühlt im Takt mitwippten. Auf den selbst gebastelten Schildern stand: „Matildas – It’s done“ oder „Go Matildas“. Der aus dem Lied „Waltzing Matilda“ abgeleitete Name der australischen Fußballerinnen hat sich am Montagabend jedenfalls noch besser ins Gedächtnis der Nation eingebrannt, die vielleicht ein solches Erweckungserlebnis für die Frauen-WM gebraucht hat: Das furiose 4:0 (2:0) gegen Kanada könnte das ersehnte Ausrufezeichen mit identitätsstiftender Sogwirkung sein. Und dafür hat es nicht mal die weiterhin verletzte Sam Kerr gebraucht, die zwar auf dem Spielberichtsbogen stand, aber erst auf den Rasen lief, als sie nach Schlusspfiff ihren jubelnden Mitspielerinnen gratulierte.
Australien beschwört den besonderen Zusammenhalt im Team
Die Ehrenrunde mit dem kompletten Betreuerteam verdeutlichte später den besonderen Zusammenhalt: Alle seien wichtig für eine erfolgreiche WM, wie Trainer Tony Gustavsson hervorhob: „Wir haben nicht das beste Team, nicht die besten Spielerinnen in den besten Ligen. Aber wir haben etwas anderes: einen Zusammenhalt und eine DNA.“ Dazu passten ja auch die „Aussie, Aussie, Aussie“-Rufe und Standing Ovations nach Spielende.
Australiens Legende und Rekordtorschütze der Männer, Tim Cahill, gab sich auf der Tribüne eher als stiller Genießer. Sein weibliches Pendant, Superstar Kerr, musste das Spiel ebenso von außen anschauen. Die 29-Jährige war auch im dritten Spiel noch nicht fit. Aber ohne Zutun „der weltbesten Stürmerin“ (Gustavsson) schickte Australien dennoch den Olympiasieger klar geschlagen auf die lange Heimreise. Dass nach dem Ausscheiden von Neuseeland einen Tag zuvor nicht auch noch die zweite Heimmannschaft verfrüht die Segel streichen muss, ist dem Turnier sicherlich zuträglich.
Die Überfalltaktik von Gustavsson geht auf
Immer wieder reckte Gustavsson im Laufe der Partie den Daumen in die Höhe. Seine Überfalltaktik war haargenau aufgegangen. Dem nach der Niederlage gegen Nigeria (2:3) scharf kritisierten Schweden glückte ein ganz persönlicher Befreiungsschlag. „Ich habe nie an meinen Spielerinnen gezweifelt. Ich wusste, dass wir für diesen großen Schritt bereit sind.“ Vom 49-Jährigen fiel eine Menge Ballast ab. Und so war dem immer etwas akademisch wirkenden Fußballlehrer zu verzeihen, dass er einigen Pathos bediente. „Es ging hier um ein bisschen mehr als Fußball. Wir haben sehr viel mehr repräsentiert als nur die Matildas.“ Auch Kerrs Anteilnahme im Teamcamp, in der Kabine oder auf der Bank wollte er nicht unerwähnt unterlassen: „Sie verhält sich wie eine ganz große Leaderin.“
Die Kommunikation in der Causa Kerr, aus deren Wadenblessur auch Australiens Verband fast ein Staatsgeheimnis macht, hatte offenbar sogar das eigene Team irritiert, aber nun ist der Beweis erbracht, dass die Offensive auch ohne die (Werbe-)Ikone ins Laufen kommen kann. 27.706 begeisterte Fans feierten vor allem die entschlossene Hayley Raso für ihren Doppelpack (9./39.), ehe die überragende Mary Fowler (58.) und die sichere Elfmeterschützin Steph Catley (90.+4) trafen.
Matildas können sich nun weiter in einen Rausch spielen
Die Matildas können sich nun im Achtelfinale gegen England, Dänemark, China oder Haiti mit der Heimunterstützung weiter in einen Rausch spielen. 2007, 2011 und 2015 standen sie jeweils im Viertelfinale. Gustavsson wollte sich jetzt aber gar kein Limit mehr setzen: „Ich habe das Gefühl, dass wir uns jetzt Schritt für Schritt entwickeln. Wir können über uns hinauszuwachsen.“ Da liebäugelt einer schon mit dem ganz großen Coup.