Ein riesiger Pulk an Fotografen hatte beim Abspielen der Nationalhymnen die Linsen nicht auf die portugiesische Mannschaft gerichtet, die sich auf dem Rasen aufgestellt hatte. Sondern knipste eine Ikone des Weltfußballs, die erstmals seit 2008 bei einem wichtigen Turnierspiel die Bank besetzte: Der anfangs schmollende, später nach 73 Minuten eingesetzte Cristiano Ronaldo bildete den übergeordneten Rahmens eines WM-Achtelfinals, in dem sich der Europameister 2016 nach einer berauschenden Vorstellung mit 6:1 (2:0) gegen die enttäuschende Schweiz durchsetzte. Den Superstar brauchte es für diese Gala nur als Teilzeitarbeiter.
Der überragende Jungspund Gonçalo Ramos (17., 51. und 67.) traf in bester Ronaldo-Manier gleich dreifach, dazu Routinier Pepe (33.), Raphael Guerreiro (55.) und Rafael Leao (90.+2) beim Gegentreffer durch Manuel Akanji (58.) krönten eine beschwingte Vorstellung der Iberer, die die Emanzipation vom Egoisten nicht besser hätte hinbekommen können. Ronaldos Einwechslung entzückten zwar die Massen dem irgendwann manisch nach „Cristiano“ rufenden Schmucktempel Lusail, doch das K.o.-Duell war da längst entschieden. Es passte irgendwie, dass Ronaldo ein Treffer wegen klarer Abseitsstellung aberkannt wurde (84.). Während die Eidgenossen enttäuscht die Heimreise antreten, treffen selbstbewusste Portugiesen im Viertelfinale auf die Überraschungsmannschaft Marokko (Samstag 16 Uhr).
Superstar Ronaldo sitzt am Anfang der Partie Schweiz gegen Portugal auf der Bank
Der Blick auf den Aufstellungsbogen löste mehr als eine Stunde vor Anpfiff aufgeregte Debatten rund aus. Warum spielte Ronaldo nicht? Den Verzicht auf den 118-fachen Rekordtorschützen begründete Nationaltrainer Fernando Santos schlicht mit „strategischen Gründen“, doch „CR7“ hat es geschafft, nicht nur bei Manchester United, sondern auch in der Nationalmannschaft verzichtbar zu werden. Da pflegt einer immer noch zu sehr den Personenkult. Bei seiner Auswechslung gegen Südkorea (1:2) hatte der 37-Jährige unflätige Bemerkungen fallen lassen. Santos sagte danach: „Sein Verhalten habe ich nicht gemocht. Überhaupt nicht.“ Nun stapfte Ronaldo nach dem Aufwärmen mit verkniffenen Gesichtszügen in die Kabine – für ein Selfie mit einer Helferin grinste er immerhin kurz.
Doch seine Absenz wirkte befreiend: Flott trugen die Portugiesen ihre Angriffe vor, waren das druckvollere Team, das zudem von einer merkwürdigen Schweizer Lähmung profitiert. Beispielhaft beim 1:0 durch den erst 21 Jahre alten Ramos, der mit einem knallharten Schuss unters Tordach auch den verdutzten Schlussmann Yann Sommer überraschte. Für das 2:0 zeichnete sich Abwehrhüne Pep verantwortlich, der die Kugel nach Ecke von Bruno Fernandes über die Linie wuchtete. Obwohl der Ersatzkapitän bald 40 Jahre alt wird, hat er noch einen Luftstand wie ein 20-Jähriger, der mal locker die Schweizer Verteidiger Fabian Schär und Manuel Akanji übersprang. Für seinen Kumpel kam Ronaldo zum Gratulieren von der Ersatzbank herangetrabt. Mit Pepe hatte der drittälteste Feldspieler der WM-Historie getroffen. Nur der Kameruner Roger Milla 1994 sowie Kanadas Kapitän Atiba Hutchinson jetzt in Katar waren älter.
Publikum fordert Ronaldos Einwechslung
Die Schweiz bot genau wie im WM-Achtelfinale 2018 gegen Schweden (0:1) eine blasse, fast blutleere Vorstellung. Es fehlte an Kreativität, Tempo und Durchsetzungsvermögen. Nationaltrainer Murat Yakin konnte das alles nicht gefallen, der zur Pause seinen angeschlagenen Fehlerproduzenten Schär erlöste. Dumm nur: Kaum hatte Eray Cömret den Platz eingenommen, kam der Abwehrspieler beim zweiten Treffer von Ramos zu spät, der in die Hereingabe von Diogo Daot gesprintet war. Damit war der Torhunger der „Seleção“ aber noch nicht gestellt: Auch der aufgerückte Linksverteidiger Guerreiro durfte sich noch in die Torschützenliste eintragen. Nachdem Akanji Ergebniskosmetik betrieben und Ramos den alten Abstand wieder hergestellt hatte, machte sich die Kulisse einen Spaß daraus, ein langgezogenes „Cristiano“ zu rufen – und damit Ronaldos Einwechslung zu fordern. Santos gab dem ohrenbetäubenden Wunsch zwar nach, aber da scheint die Zeit eines Strahlemannes auch im Nationalteam abzulaufen. Den Schlusspunkt setzte mit Leao ein weiterer aus der nächsten Generation.