Startseite
Icon Pfeil nach unten
Sport
Icon Pfeil nach unten

Fußball-WM 2022: Katar-Boykott: "Es ist möglich, die Verhältnisse zum Kippen zu bringen"

Fußball-WM 2022

Katar-Boykott: "Es ist möglich, die Verhältnisse zum Kippen zu bringen"

    • |
    "Macht es wie die Verbände - schaut nicht hin": Am letzten Spieltag der Bundesliga vor der WM-Pause protestierten viele Fanszenen, hier beim FC Augsburg, gegen die WM in Katar.
    "Macht es wie die Verbände - schaut nicht hin": Am letzten Spieltag der Bundesliga vor der WM-Pause protestierten viele Fanszenen, hier beim FC Augsburg, gegen die WM in Katar. Foto: Ulrich Wagner

    Herr Schulze-Marmeling, Sie sind Buchautor und Mitorganisator der Aktion "Boycott Qatar", in der dazu aufgerufen wird, den Unmut gegen die Fußball-WM auszudrücken. Am letzten Spieltag der Bundesliga vor der WM-Pause gab es in vielen deutschen Stadien großflächige Protestaktionen der Fankurven. Ist Ihre Saat aufgegangen?

    Dietrich Schulze-Marmeling: "Ja, das kann man wohl sagen. Wir hatten ja dazu aufgerufen, dass die Fans das letzte Heimspiel vor der WM-Pause nutzen, um ein Statement abzugeben. Viele dieser Aktionen hätten wohl ohnehin in einem größeren Rahmen stattgefunden, weil die Fans das schon vorgehabt hatten. Aber es war so, dass es in allen Stadien der 1. und 2. Bundesliga zu Protestaktionen gekommen ist. Selbst aus Griechenland, Frankreich, Spanien und Italien haben uns Bilder erreicht. Lediglich England scheint da etwas hinterherzuhinken."

    Dietrich Schulze-Marmeling ist Mitglied der Deutschen Akademie für Fußballkultur. 2011 wurde sein Werk „Der FC Bayern und seine Juden“ zum Fußballbuch des Jahres gewählt.
    Dietrich Schulze-Marmeling ist Mitglied der Deutschen Akademie für Fußballkultur. 2011 wurde sein Werk „Der FC Bayern und seine Juden“ zum Fußballbuch des Jahres gewählt. Foto: Thomas Strack

    Wie soll der Protest während der WM weitergehen?

    Schulze-Marmeling: "Ich persönlich habe während der WM viele Einladungen zu Veranstaltungen bekommen, um etwa aus dem Buch "Boykottiert Katar!" vorzulesen. Viele Fußball-Kneipen wollen während des Turniers die Spiele nicht zeigen und stellen stattdessen ein Alternativprogramm auf die Beine – mit Lesungen, dem Zeigen von historischen Spielen wie etwa dem WM-Finale 1990 oder dem Halbfinale 1970 zwischen Deutschland und Italien. An einigen Standorten gibt es auch ein alternatives Turnier, sozusagen also eine Ersatz-WM."

    Das entspricht ja in etwa dem, was Sie in dem Buch "Boykottiert Katar!", das die Keimzelle des Protestes darstellt, vorgeschlagen haben. Sind Sie überrascht, dass diese Aktion diesen Zulauf bekommen hat?

    Schulze-Marmeling: "Ja, schon. Ich war zwar immer recht optimistisch, dass die Aktion erst nach dem Sommer richtig losgehen wird. Aber damit habe ich nicht gerechnet. Unter anderem deshalb, weil es in Sachen WM schon vorher eine gewisse Zurückhaltung gab. Viele Fans, mit denen wir gesprochen haben, haben uns im Vorfeld gesagt, dass sie mit der Fifa schon lange abgeschlossen haben. Die Ultras können mit der Nationalelf ohnehin nichts anfangen, womit die kritische Struktur bei WM-Spielen eigentlich fehlt. Trotzdem kam dieser Schwung rein. Wie das alles bei der WM aussieht, wird man sehen. Auch wenn viele jetzt sagen, dass sie sich die Spiele nicht ansehen werden, würde mich ein Ansteigen der TV-Quoten nicht wundern. Schließlich gibt es kaum Public Viewings, womit alle Spiele vor dem heimischen Fernseher verfolgt werden müssen."

    Glauben Sie, dass Ihr Protest die Fifa erreicht?

    Schulze-Marmeling: "Ich hoffe. Aber wir haben mehrere Adressaten für unseren Protest. Einer davon ist das Gastgeberland Katar. Zudem wollen wir mit dem Druck, der in Deutschland entsteht, erst mal auch den DFB als wichtigen Verband innerhalb der Fifa erreichen. Der Weg zur Fifa kann nur über den DFB führen. Allerdings ist auch eines klar: Fifa-Präsident Gianni Infantino steht dafür, dass der Weltverband am Tropf der Golfstaaten hängt. Er hat seinen Wohnsitz ja nach Katar verlegt und bespielt abseits Europas die Klaviatur mit dem Slogan, dass der Westen arrogant sei. Auch wenn der DFB sich lange darauf zurückgezogen hat, dass ein Mitgliedsland alleine nichts bewirken kann, sehe ich das anders. Wenn sich der DFB mit anderen Verbänden verbindet, ist es möglich, die Verhältnisse zum Kippen zu bringen. Die grundsätzliche Frage lautet doch: Wie kann man den Fußball anders organisieren? Derzeit rennen wir diesen Verbänden hinterher und es fehlen die eigenen Ansätze. Aber mittlerweile geht es nicht mehr nur um Katar, sondern auch um die Fifa und die Zukunft des Fußballs. Das macht die Massivität des Protestes aus."

    Macht man sich aus Ihrer Sicht schuldig, wenn man diese WM verfolgt?

    Schulze-Marmeling: "Das Wort Schuld finde ich jetzt als Begrifflichkeit schwierig. Es geht ja nicht um eine Gesinnung, die wir verbreiten und kontrollieren wollen. Ich finde es wichtig, dass Medien kritisch berichten und dass Zuschauer ebenso kritisch bleiben gegenüber vielem, was in diesem Gastgeberland und der Fifa passiert. Neben denjenigen, die einen harten Boykott fahren und jenen, die diese WM kritiklos konsumieren, machen die Leute die wohl größte Gruppe aus, die sagen: Mir ist bei der WM nicht wohl, aber ich werde mir das ein oder andere Spiel anschauen." Auch 2018 war die große Vorfreude ja nicht da. Doch dieses Mal höre ich immer öfter von Leuten, dass sie nicht mal wissen, mit wem Deutschland überhaupt in der Gruppe spielt."

    Viele Firmen verzichten darauf, Werbung mit dem Turnier zu machen.

    Schulze-Marmeling: "Ja, das ist augenscheinlich. Viele überlegen sich schon: Was habe ich davon, mit dieser WM Werbung zu machen? Ein Wirt hat mir neulich gesagt, dass er überlegt hat, die Spiele in seiner Kneipe zu zeigen. Weil er aber nicht wusste, ob genügend Leute gekommen wären, fährt er jetzt stattdessen ein Alternativprogramm. Schließlich muss er für die TV-Rechte auch etwas bezahlen. Auch sonst gibt es in Supermärkten nicht das übliche WM-Programm. In dem Dorf, in dem ich wohne, hat der Inhaber des Kiosks neulich zu mir gesagt: Das hast du ja gut gemacht, nicht mal die Sammel-Sticker gibt es diesmal." (lacht)

    Sehen Sie sich eigentlich einige Spiele der WM selbst an?

    Schulze-Marmeling: "Nein, das kann ich aber gar nicht, selbst wenn ich es wollte. Ich bin an vielen Tagen während der WM bei Veranstaltungen gebucht. Zudem ist wegen der Arbeit an der Kampagne viel Arbeit liegen geblieben, da muss ich jetzt ran. Ohnehin läuft der Fußball für mich weiter. Ich habe mir während des Turniers sieben Spiele ausgesucht, die ich mir in den Amateurklassen ansehen will: drei von der ersten Mannschaft von Preußen Münster in der Regionalliga, drei von Preußens U23 in der Oberliga und das Finale des Kreispokals in der A-Jugend mit dem TuS Altenberge. Das wären dann sieben Spiele und genauso viele, wie die deutsche Mannschaft maximal in Katar bestreiten wird. Ohnehin ist es toll, dass der Ball trotz der WM weiterrollt, nur eben in den unteren Klassen. Viele Vereine nutzen das und laufen in speziellen Trikots auf."

    Welche Ausmaße hat denn der Protest angenommen?

    Schulze-Marmeling: "Über unsere Homepage sind bis jetzt rund 2500 Aufkleber mit dem Schriftzug "Boycott Qatar!" geordert worden, außerdem haben wir 300 Banner vertrieben. Mit diesem Ausmaß haben wir im Vorfeld niemals gerechnet. Das ist für mich, der ich bei den Protesten gegen die von der Militär-Junta missbrauchte WM 1978 in Argentinien dabei war, auch schön zu sehen: dass sich nun so viele Fußball-Fans dem Protest anschließen. 1978 standen Menschenrechtsorganisationen oder Kirchen an der Spitze des Protests, Fußball-Fans hat das damals kaum interessiert. Das ist heute mit den organisierten Fanszenen völlig anders."

    Zur Person: Dietrich Schulze-Marmeling, 65, ist Autor mehrerer Fußball-Sachbücher. 2011 wurde sein Werk "Der FC Bayern und die Juden" zum Fußballbuch des Jahres gewählt. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur. Das Buch "Boykottiert Katar!", das er zusammen mit Bernd M. Beyer verfasst hat, ist im Werkstatt Verlag erschienen und für 12,90 Euro zu haben. Mehr dazu auf www.boycott-qatar.de

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden