Vielleicht hat ein jeder Fußballfan an diesem Abend gedacht, dass der mächtige Aspire Tower mit seiner bunten Beleuchtung die größte Attraktion am Khalifa International Stadium darstellt. Was sich aber an diesem Abend abspielte, hat eine enorme Tragweite für den deutschen Fußball, die noch über das höchste Gebäude von Katar hinausragt. In einer fast skurrilen Begegnung drehte Japan noch das letzte Gruppenspiel gegen Spanien und siegte nach einer deutlichen Leistungssteigerung im zweiten Durchgang zwar überraschend, aber nicht unverdient mit 2:1 (0:1). So wie deutsche Schönwetterpolitiker im Umgang mit Katar irrlichtern, waren spanische Schöngeister mit der Haltung zu diesem dritten Gruppenspiel überfordert.
Zwei Tore in drei Minuten: Die Japaner bringen Spanien zum Staunen
Nach dem Führungstor der Iberer durch Alvaro Morata (12.) schafften Ritsu Doan (48.) und Ao Tanaka (51.) vor erstaunten 44.851 Zuschauern die unverhoffte Wende. Bundesligaspieler vom SC Freiburg und Fortuna Düsseldorf haben damit eine Sensation geschafft. Japan trifft nun als Gruppensieger am Montag auf den Vizeweltmeister Kroatien, Spanien spielt einen Tag später gegen Marokko. Durch das Resultat im Parallelspiel schrammte der Weltmeister von 2010 am vorzeitigen Ausscheiden vorbei.
Trainer Luis Enrique hatte gegenüber dem nicht zufriedenstellen 1:1 gegen die DFB-Auswahl gleich fünf Wechselspiele vorgenommen: Jordi Alba, Aymeric Laporte, Daniel Carvajal, Marco Asensio und Ferran Torres saßen zunächst mal auf der Bank. Gleich die erste gefährliche Aktion brachte dennoch die Führung. Der als Rechtsverteidiger aufgebotene Cesar Azpilicueta flankte die Kugel ins Zentrum, wo Mittelstümer Morata aus vier Metern einköpfte. Es war bereits der zweite Turniertreffer des gebürtigen Madrilenen, der ja schon gegen die deutsche Elf als Einwechselspieler erfolgreich war. Vielleicht funktioniert „Furia Roja“ auch mit einer richtigen Nummer neun.
Nach dem zweiten Treffer schaltet Japan gegen Spanien in den Verwaltungsmodus
Doch der Vorsprung animierte den Favoriten offenbar rasch dazu, in den Verwaltungsmodus zu schalten. Die Spanier hatten bis zur Pause 83 Prozent Ballbesitz und spielten bis dahin 566 Pässen, aber schlugen daraus kein Kapital. Das Manko von Enriques Ensemble: Im letzten Drittel glückte schon nicht mehr viel. Japans Torwart Shuichi Gonda wunderte sich wohl selbst, dass er so selten eingreifen musste. Von den Japanern kam bis dahin wenig bis gar nichts. Ihr bester Techniker, Daichi Kamada, schüttelte bereits beim Gegentor verständnislos den Kopf, tat aber auf der ungewohnten Position als hängender Linksaußen auch zu wenig. Mit hängenden Köpfen ging es in die Kabine.
Was dann folgte, glich einem Wunder. Mit Wiederanpfiff nahmen die Asiaten all ihren Mut zusammen und kamen durch den beherzten Offensivallrounder Doan zum Ausgleich, der nach einem überflüssigen spanischen Ballverlust die Kugel knapp hinter der Strafraumgrenzen hoch ins kurze Eck jagte. Richtig gut sah Torhüter Unai Simon nicht aus. Doch es kam noch besser. Als Kaoru Mitoma den Ball mit der Fußspitze nach innen zog, war tatsächlich Tanaka zur Stelle, um die Partie auf den Kopf zu stellen. Doch war der Ball bei der Hereingabe nicht schon mit vollem Durchmesser hinter der Torlinie? Die Abseitsfahne war sofort hoch gegangen, und die Kontrolleure ließen sich lange Zeit, dann gab Schiedsrichter Victor Miguel Gomes aus Südafrika den Treffer doch. Der Jubel bei den „Samurai Blue“ über ihr unverhofftes Comeback war schier grenzenlos. Enrique schien nun zu spüren, dass sein taktischer Plan nicht aufgegangen war – und die vielen Umstellungen der Seleccion nicht gut taten. Nacheinander brachte er nun erst Asensio und Torres, dann Alba und Ansu Fati. Doch schien diese Mannschaft auf die Situation auch nicht vorbereitet. Was die Spanier versuchten, sah verdächtig nach Stückwerk ohne Überzeugung aus. Erst in der Schlussphase stellten sich richtige Möglichkeiten ein: So scheiterte Dani Olmo aus guter Position an Gonda (88.). Viel mehr aber war nicht.