Startseite
Icon Pfeil nach unten
Sport
Icon Pfeil nach unten

Fußball-WM 2022: Folgt im WM-Finale endlich Messis Krönung?

Gegen Frankreich kann sich Lionel Messi am Sonntag diesen einen Titel holen, der ihm noch fehlt: Fußball-Weltmeister.
Foto: Natacha Pisarenko, AP/dpa
Fußball-WM 2022

Folgt im WM-Finale endlich Messis Krönung?

    • |

    Der Nabel der Welt ist das nicht. Auch nicht von Katar. Oder von Doha. "Roundabout 5" steht an der Einfahrt eines Kreisverkehrs auf dem riesigen Gelände der Universität von Katar, das mehreren WM-Teilnehmern als Trainingsstätte diente. Spanien, Schweiz oder die Niederlande, alle sind längst abgereist. Nur eine Nationalmannschaft ist nun noch hier: Argentinien. Am Eingang zu Trainingsplatz 3 bilden sich neben dem Schild "Bienvenida Argentina" lange Schlangen an der Sicherheitsschleuse. Auf dem nächsten Hinweisgeber steht "Media Tribune". Wenn eine Tribüne für Medienvertreter bei einer Trainingseinheit jemals Sinn gemacht hat, dann jetzt: Rund 500 Reporterinnen und Reporter aus aller Welt sind gekommen. Die meisten arbeiten für Radio oder Fernsehen, ungefähr jeder Dritte scheint per Handy eine Live-Schalte abzuhalten. Sie schreien, krächzen, rufen oder glucksen einen Namen, der in allen Sprachen ähnlich klingt: Messi, Messi, Messi. 18 Uhr. Offizieller Trainingsbeginn. Die Aufregung steigt.

    Aus einem fliederfarben getünchten Gebäude kommt ein Dutzend Fußballer heraus, aber nicht derjenige, der am Platzrand den Pulsschlag erhöht. Die Stammbelegschaft übt an diesem Abend nicht auf dem grell erleuchteten Rasenplatz. Trotzdem wird weiter kommentiert, als würde in Kürze das WM-Finale angepfiffen. Uli Köhler hat für Sky Sport News HD einen Platz in der ersten Reihe ergattert, was wirklich mal eine deutsche Glanzleistung darstellt. Noch nie schien eine Viertelstunde öffentlichen Trainings einer Reservistenschar für die Welt und seinen Fußball so bedeutsam. Fata Morgana oder Wirklichkeit?

    Fußball-Legenden: immer wieder die Verbindung zwischen Messi und Maradona

    Gar nicht weit weg, auf der großen Verbindungsstraße zum Stadtzentrum, der Al Jamiaa Straße, die an der West Bay mit den glitzernden Prachtbauten vorbeiführt, hängen zwei riesige Argentinien-Trikots über der ganzen Fassade. Messi und Maradona. Angebracht von Anhängern, um die Verbindung zu bezeugen. Wenn einige Kilometer weiter nördlich im goldenen Schmucktempel von Lusail das WM-Finale zwischen Argentinien und Frankreich (Sonntag 16 Uhr/ARD) angepfiffen wird, dann geht es genau darum, dass sich die lebende Ikone und die verstorbene Legende vereinen. Lionel Messi hat unglücklich (2006), krachend (2010, 2018) oder dramatisch (2014) bislang immer einen WM-Titel verfehlt, aber nun – im fünften Anlauf – scheint der Fußball-Gott an ihn zu denken. Um zu der ewigen Referenz Diego Maradona aufzuschließen, damit auch der 35-Jährige endlich den ersehnten Goldpokal küsst. 

    Messi hat vor dem Turnier erklärt: "Es ist meine letzte Gelegenheit, den Traum zu verwirklichen, den wir alle haben." Maradona soll dabei von oben helfen, wie er nach dem im Elfmeterschießen gewonnenen Viertelfinale gegen die Niederlande versicherte: "Diego sieht uns vom Himmel aus zu, er pusht uns. Und ich hoffe, dass das bis zum Ende so bleibt." Es gibt eigentlich kaum einen, der ihm dieses Happy End der glorreichen Karriere nicht gönnt, weil er im Nationaltrikot noch nie so gut war; und das muss bei 171 Länderspielen und 96 Toren etwas heißen. Eigentlich könnte er danach auf einen Schlag aufhören. Mehr geht nicht.

    Messi war schon das Fußball-Vorbild für seine heutigen Mitspieler bei der WM

    Der Zauberfuß hat bei dieser umstrittenen WM mitten in der Wüste alle noch mal verzückt. Er wurde mit Superlativen überhäuft. "Der beste Messi aller Zeiten", schrieb das argentinische Sprachrohr La Nacion. Endlich legt sich der zweite Nationalheilige auch mit aller Entschlossenheit, mit allem Elan für die "Albiceleste" ins Zeug, um die von Fans und Fußballern in einem gemeinsamen Lieblingslied besungene Sehnsucht von der "tercera Copa", dem dritten WM-Pokal nach 1978 und 1986 zu erfüllen. Das geht nur mit einem Genius, der wie in seinen besten Zeiten beim FC Barcelona täuscht, trickst und trifft.

    Nie wurde er seiner Vorbildwirkung für das Land fußballerisch mehr gerecht als in diesen Wochen. Und wie sehr ihn die eigenen Mitspieler verehren, macht Sturmpartner Julian Alvarez deutlich, der vor elf Jahren, als Elfjähriger, gemeinsam mit seinen beiden Brüdern am Rande der Copa América in Argentinien ein Foto mit seinem Idol schießen konnte. Die völlig verwackelte Aufnahme mit Messi tauchte jetzt auf. Alvarez ist inspiriert davon, einer Nummer zehn zu dienen, die beim zweifachen Weltmeister im Zentrum des Spiels steht. Messis Gegenleistung: fünf Tore, drei Vorlagen.

    Er löste Gabriel Batistuta als argentinischer WM-Rekordtorschütze ab, wird Lothar Matthäus mit seinem 26. WM-Einsatz überholen. Kinder, die ihn das erste Mal richtig erleben, fragen sich, woher diese Fähigkeiten stammen, die ihn außerirdisch erscheinen lassen.

    Er ist aber immer noch ein Mensch. Geboren 24. Juni 1987 in Rosario, bürgerlicher Name Lionel Andrés "Leo" Messi Cuccittini. Sein liebstes Spielzeug war bald der Ball. Wo und wie die Grundlagen vor seinem Umzug nach Barcelona gelegt wurden, hat der spanische Sportjournalist Guillem Balagué in der autorisierten Biographie "Messi" beschrieben: "Jeden Sonntag spielte Leo mit seinen Brüdern Rodrigo und Matias auf einer Betonplatte vor dem Haus seiner Großmutter Celia Rondos oder Torros, zu Deutsch ‚Neckball‘ oder ‚Schweinchen in der Mitte‘. Oft spielten sie mit einem Tennisball Fußball, dann kamen seine Cousins Maxi und Emanuel dazu. (…) Zwei große Steine dienten als Torpfosten. Leos Großmutter und ihre Töchter waren stets in der Küche beschäftigt und kochten Nudeln mit Sauce. Die Ehemänner Jorge und Claudio unterhielten sich auf dem Sofa in dem kleinen, engen Wohnzimmer angeregt mit Leos Großvater Antonio. Oder sie saßen auf den Stufen vor dem Haus und beobachteten die Jungen beim Fußballspielen. Und es fiel ihnen auf: ‚Leo lässt sich einfach nicht den Ball abnehmen, obwohl er so klein ist …‘"

    Mit Mitte 30 ist Messi durchtrainiert wie noch nie

    Der Spitznamen "La Pulga", der Floh, klebte in seinen Anfangszeiten beim FC Barcelona an ihm wie der Ball. Dass sich Messi heute eine andere körperliche Konstitution zugelegt hat als früher, belegt das Jubelfoto, das nach dem gewonnenen Halbfinale gegen Kroatien entstand. Messi steht mit entblößtem Oberkörper neben "Dibu", Torwart Emiliano Martinez, ein baumlanger Kerl. Wer Brust und Bauch der beiden betrachtet, stellt fest: Der fast einen Kopf kleinere Messi ist muskulöser als Martinez. Sein Körper war vielleicht noch nie so durchtrainiert wie jetzt mit Mitte 30. Sonst wären Galaleistungen eines Kickers nicht möglich, der zur Marke mit unerreichter Strahlkraft wurde. 

    Auch Frankreichs Superstar Kylian Mbappé, der mit 19 Jahren schon Weltmeister wurde und bei Paris St. Germain inzwischen mehr verdienen soll als Messi, kommt da nicht heran. Dem französischen Wunderstürmer folgen bei Instagram zwar mehr als 78 Millionen Menschen, aber beim argentinischen Idol sind es 390 Millionen. Mehr als die USA und Kanada Einwohner haben. Er erreicht auf direktem Wege mehr als jeder Politiker. Die Frage ist, ob er diese Reichweite zum Wohle der Menschheit oder zur Mehrung seines Reichtums genutzt hat? Der Name Messi steht auch für die hemmungslose Kommerzialisierung des Profifußballs.

    Sein Jahresgehalt von mehr als 100 Millionen Euro trieb seinen geliebten Heimatklub FC Barcelona fast in den Ruin. Messi wollte, gerade wegen der Familie, eigentlich im August 2021 nicht zu Paris St. Germain wechseln. Diese Passage seiner Biographie ist hochspannend: Nachdem die Katalanen offiziell die Trennung aufgrund "struktureller und wirtschaftlicher Hindernisse" vermeldeten, konnte der sechsmalige Weltfußballer tagelang nicht gut schlafen. Sein Vater Jorge, zugleich sein Berater, bekam von PSG-Sportdirektor Leandro die Zusicherung, dass Katar freie Hand gegeben hatte, den Deal zu besiegeln. "Doch es war nicht die Nachricht, die Messi erwartet hatte. Die Emotionen kochten über im Hause Messi, Tränen flossen. Es war mühsam, ihn zu beruhigen", heißt es in dem Buch. In Paris wohnt Messi mit seiner Entourage im Hotel, sein Zuhause bleibt Barcelona. Oft geht der Privatflieger.

    Messi ist eines der Gesichter bei dieser Fußball-WM in Katar

    Messi hat sich gegen die Vereinnahmung durch Katar nicht gewehrt. Im Gegenteil: Sein Konterfei taucht bei der WM gefühlt in zwei von drei Werbespots auf, die der katarische Sportsender BeIN vor und nach Spielen oder in der Halbzeitpause schaltet. Es scheint egal, für wen oder was er wann sein Gesicht hergibt. Sein neuester Eintrag auf Instagram ist eine Werbung für Winterjacken. Und bekannt ist der Deal, mit dem sich Messi für die "Vision 2030" von Saudi-Arabien ins Zeug legt. Nur vordergründig geht es um Tourismusförderung, im Hintergrund vor allem um den Zuschlag für die WM 2030, die Saudi-Arabien mit Ägypten und Griechenland ausrichten will. Messi ist ihr wichtigster Botschafter, der im Mai bereitwillig nach Dschidda, einen Ferienort am Roten Meer, reiste.

    "Dies ist nicht sein erster Besuch im Königreich und es wird auch nicht der letzte sein", sagte der saudische Tourismusminister Ahmed al-Khateeb. Bald darauf schrieb Messi auf seinen Plattformen: "Entdecke das Rote Meer. #VisitSaudi." Kann jemand mit solch engen Verbindungen in ein Land, das die Menschenrechte noch mehr mit Füßen tritt als Katar, uneingeschränkt vergöttert werden?

    Fußball ist für Messi auch eine lukrative Geldquelle

    Der Name Messi tauchte 2016 bei den Enthüllungen der "Panama Papers" auf; Briefkastenfirmen sollen gegründet worden sein, Vermögen zu tarnen. Sein Steuerprozess in Spanien kostete ihn etliche Millionen und einiges an Ansehen. Auch wenn gerne der Eindruck erweckt wird, dass Lionel Messi nur Fußball spielen will, hat Vater Jorge ein Netzwerk geschaffen, dass sich die Konten bis zum Bersten füllen.

    Aber selbst er hält sich bei dieser WM auffällig im Hintergrund. Wenn er aufs Bild kommt, sorgt der Sohn jetzt selbst dafür. Am Mittwoch teilte Messi aus Doha ein Familienfoto, die ansonsten nur zu Weihnachten zustande kommen, weil so viele Verwandte versammelt sind. Auf dem Eintrag mit der Unterschrift "Familia" und einem Herz sind 20 Personen; einer Schar von zehn Millionen Followern gefiel das. Die, die ihm am meisten bedeuten, seine Frau Antonela Roccuzzo, die Söhne Thiago, Mateo und Ciro, sind alle in Katar. Bei seinen Toren jubelten sie auf der Tribüne mit.

    Nach seiner Wahl zum "Man of the Match" nach dem Achtelfinale gegen Australien sprach er offen über diesen Antrieb. "Es ist toll zu sehen, wie sie es erleben." Er habe vom Anpfiff bis zum Ende an sie gedacht, betonte Messi: "Meine Söhne verstehen jetzt, was eine Weltmeisterschaft bedeutet und das bringt mir noch mehr Freude." Seine Familie sah aber auch die andere Seite: Ein Messi, der stänkert und lästert. Gute Kinderstube war es nicht, was ein Weltstar im Disput vor laufender Kamera dem Niederländer Wout Weghorst nachrief, dessen Name er nicht kannte. Dass sich Messi, der so lange immer nur mit dem Ball sprach, sich mit allen Mitteln für den Erfolg der Mannschaft ins Zeug legt, ist neu. Pöbeln und provozieren hatte er eigentlich nie nötig. Aber jetzt drängt die Zeit.

    Für die nächste WM wird Messi wohl schon zu alt sein

    Für die WM 2026 in USA, Kanada und Mexiko wird er zu alt sein, wie er selbst sagte. Und den für Südamerika so bedeutsamen Titel bei der Copa América, dem er so lange hinterherlief, dass er zwischenzeitlich mal frustriert zurücktrat, hat er erst im vergangenen Jahr gewonnen. Vor dem Finale gegen Brasilien hielt Argentiniens Anführer eine lange Rede vor der Mannschaft. Dankte fürs Durchhaltevermögen, 45 Tage, in denen man sich in der Corona-Pandemie über nichts beklagt habe. Erinnerte daran, dass "Dibu" Martinez nicht mal zu der Geburt seines zweiten Kindes nach Hause fliegen konnte. Dann rief er den Kameraden im Kreis zu: "Es ist nur ein kleiner Schritt. Und wisst ihr, was das Beste an allem ist? Es liegt nur an uns!"

    Eindringliche Worte, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Das Ergebnis: ein 1:0 gegen den Erzrivalen in einem menschenleeren Maracanã. Nun werden ihn die meisten der 90.000 Zuschauer im proppevollen Lusail-Stadium unterstützen. Einen besseren Schlusspunkt im himmelblauen Nationaltrikot, als diesen ikonischen Showdown in der goldenen Riesenschüssel, gibt es definitiv nicht. Das ist am Sonntag der Nabel von Doha, Katar und der Welt.

    Schiedsrichter des WM-Endspiels ist der Pole Szymon Marciniak. Der Referee bezeichnete sich in einem Interview mit der UEFA selbst als früherer "Störenfried".

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden