Es ist erst knapp sieben Wochen her, dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) auf seinen neuen Campus eingeladen hatte, um mit einem simulierten Nationalmannschaftslehrgang seine Visionen vorzustellen. Es ging auf dem Gelände der ehemaligen Frankfurter Galopprennbahn um nicht weniger als die Zukunft des deutschen Fußballs, weshalb Effekte vom neurozentrischen Training oder das Tool "TrackMan" bei Freistoßübungen demonstriert wurden.
Der für alle Nationalmannschaften und die Akademie zuständige Direktor Oliver Bierhoff hatte bei seiner Ansprache in der Umkleide gesagt: "Wir arbeiten hier für den besten Fußball der Welt, damit wir Freude am Fußball haben und wieder an die Weltspitze kommen." Nur anderthalb Monate später ist nichts davon übrig. Die Weltspitze ist gefühlt weiter weg als Berlin von Doha, und Lust ist in Frust umgeschlagen. Deutschland hat bei der WM 2022 viel mehr verloren als nur ein Spiel. Wissen das eigentlich alle?
Beim DFB paart sich sportlicher Offenbarungseid mit einem Imageschaden
Zum sportlichen Offenbarungseid kommt ein gewaltiger Imageschaden. National und international könnten die Sichtweisen unterschiedlicher kaum sein. In Deutschland wird dem DFB verübelt, dem Druck der Fifa beim Tragen der One-Love-Binde nachgegeben zu haben. International steht der Verband als Besserwisser da, der mit dem moralischen Zeigefinger in ein muslimisches Land kam, um sich dann selbst wenig respektvoll zu verhalten, wenn Spieler die offizielle Fifa-Pressekonferenz schwänzen. Die Geste des Mundzuhaltens wurde in arabischen Sendern nach dem deutschen Aus rauf und runter verspottet.
Die Nationalelf verliert auf ganz vielen Ebenen ihren Rückhalt. Was eben Bierhoff ins Zentrum der Kritik rückt. Seit seinem Amtsantritt im Sommer 2004 hat der 54-Jährige mit fast jedem Präsidentenwechsel in dem krisengeschüttelten Verband an Einfluss gewonnen. Er fing einst als Teammanager an und ist heute der Mastermind. Mit seinem Sportlichen Leiter Joti Chatzialexiou und Akademieleiter Tobias Haupt hat er Männer in Führungspositionen gehievt, die mit weitsichtigen Plänen in den föderalen Strukturen an Grenzen stoßen. Ihrem Chef ist der Hauptvorwurf zu machen, überhaupt nichts aus den Fehlern der vermasselten letzten Turniere gelernt zu haben.
Die Quartierwahl zur WM 2018, das Krisenmanagement in der Causa Mesut Özil und Ikay Gündogan nach deren Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyipp Erdogan waren schon Rohrkrepierer. Während der EM 2021 wurde der DFB von der Stadt München in die Debatte gezogen, dass doch die Münchner Arena bunt leuchten sollte, wo die Mannschaft beinahe gegen Ungarn auch schon im letzten Gruppenspiel ausgeschieden wäre. In Katar krallten sich die Sportliche Leitung an der Botschaft für Vielfalt fest, als sei die Binde wichtiger als die Taktik gegen Japan. Das Ergebnis ist bekannt.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf will Oliver Bierhoffs Rolle analysieren
Präsident Bernd Neuendorf – von dem Bierhoff übrigens Anfang Oktober 2021 vor einem Länderspiel noch sagte, er kenne den Namen nicht – ist erst seit neun Monaten im Amt. Der gebürtige Dürener will Bierhoffs Bereich nun durchleuchten – ohne Aktionismus, ohne Scheuklappen. Ganz bewusst hat der 61-Jährige nicht im Mannschaftsquartier gewohnt. Die Aufarbeitung müsse "die Entwicklung der Nationalmannschaft und unseres Fußballs seit 2018" umfassen, sagte Neuendorf vor dem Rückflug. Also Bierhoffs Bereich. Nur ahnt der frühere Staatssekretär von Nordrhein-Westfallen, dass es mit einer Entlassung ja nicht getan wäre – vorher müsste einer auserkoren werden, der es besser macht. Der Ex-Nationalspieler ist vertraglich noch bis 2024 gebunden. Eine Trennung wäre teuer.
Zudem ist auch der intern für seine Besonnenheit geschätzte Boss in dem krisengeschüttelten Verband noch ein Neuling, der gerade im Umgang mit der unberechenbaren Fifa viel Lehrgeld gezahlt hat. Genau wie Generalsekretärin Heike Ullrich, die ohnehin das Rampenlicht nicht so mag – und diesen Job eigentlich nie angestrebt hat. Ins Fifa-Council musste den DFB nach seinen vielen Intrigen den blassen Peter Peters entsenden. Mit einer stärkeren Stimme hätte man vielleicht verhindert, so böse ausgetrickst zu werden. Auch die Kommunikation wurde erst in den letzten Monaten vor der WM neu geregelt: Direktor ist jetzt der ehemalige Sportschau-Chef Steffen Simon, der als neue Pressesprecherin für die Nationalmannschaft Franziska Wülle vorschlug. Neue Gesichter können frischen Wind reinbringen, fraglos, aber wenn einem Verband ein solcher Sturm ins Gesicht weht wie in der Wüste, wird es schwierig. Bei den ergebnisoffenen Krisengesprächen wird die Deutsche Fußball-Liga (DFL) ein gehöriges Wort mitreden. Der Profifußball kann und will das dritte vergeigte Turnier nicht einfach so hinnehmen.
Nach dem WM-Desaster 2018, als das fußballerische Versagen alles überstrahlte, stellte der damalige Liga-Boss Christian Seifert zwar die DFB-Oberen in der DFL-Zentrale in den Senkel, reichte aber Bierhoff zugleich bei der ersten Krisensitzung die Hand, für den Schulterschluss gemeinsam die Versäumnisse anzupacken. Seifert hatte über die Jahre an vielen Schnittstellen ein gutes Verhältnis aufgebaut. Zwei smarte Manager, die nicht verfeindet waren. Bierhoff gelobte bei den Krisensitzungen natürlich Besserung – und konnte bleiben. Kommissionen entstanden, in denen auch Bundesliga-Manager mitredeten.
Und jetzt? DFL-Chefin Donata Hopfen hat in der katarischen Glitzermetropole bei ihrem Kurzbesuch nur Hintergrundgespräche geführt. Entscheidungen fallen nie ohne Liga-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke. Der Boss von Borussia Dortmund sieht den Macher Bierhoff deutlich kritischer, weil er um das Erscheinungsbild des deutschen Fußballs fürchtet, das letztlich auch der Bundesliga viel Geld kosten kann. Nur ein Aspekt: Der arabische Raum, auch Teile vom asiatischen Markt, könnten auf die Idee kommen, für Bundesliga-Übertragungen, also Fußball made in Germany, keine nennenswerten Summen mehr zu bezahlen. Weil sich die Nationalmannschaft und der DFB in der Golfregion wie ein orientierungsloser Elefant in einem orientalischen Porzellanladen verhalten haben. Nun liegt gefühlt ein riesiger Scherbenhaufen vor dem teuren Campus.
Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar steht in der Kritik, auch in der Redaktion haben wir ausführlich darüber diskutiert. Eine Einordnung, warum wir das Sportevent dennoch ausführlich journalistisch begleiten, lesen Sie in diesem Text.