Es war Dominik Livaković nicht mal übel zu nehmen, dass er auf dem ausgeleuchteten Podium der Pressekonferenz deutlich überforderter wirkte als auf dem strapazierten Rasen im Stadion Al Janoub. In Windeseile war der kroatische Keeper von den Jubelfeiern mit feurigen Fans zu den wartenden Reportern gekommen, als ihn erste Fragen auf Englisch erreichten.
Nicht so einfach für einen, der – übrigens genau wie Weltstar Luka Modrić - in Zadar an der Adriaküste aufwuchs und seit seinem 17. Lebensjahr immer nur in Zagreb spielte. Als einer der wenigen Nationalspieler aus dem Balkanstaat ohne Auslandserfahrung brauchte der Tormann mit den Grasflecken am grünen Jersey also ein bisschen Übersetzungshilfe, dabei war ja klar, um was es ging.
Kroatiens Nationaltrainer lobte Livaković: "Alle unsere Probleme hat er gelöst"
Drei von vier japanischen Versuchen in einem Elfmeterschießen abzuwehren, war fürwahr meisterhaft. "Das hat mit dem richtigen Gespür und der Gegneranalyse zu tun", sagte der 27-Jährige, dessen 38. Länderspiel im Stadtteil Al-Wakrah von Doha eines fürs Geschichtsbuch war. "Alle unsere Probleme hat er gelöst", lobte Nationalcoach Zlatko Dalić, der am Tag zuvor in der Trainingseinheit eigens wieder eine Extraschicht mit Strafstößen angesetzt hatte. Schon am Vorabend, so erzählte er hinterher Verteidiger Dejan Lovren, habe der Kollege "fast alle Elfmeter" gehalten und die eigene Truppe fast zur Verzweiflung gebracht.
Natürlich half dem neuen kroatischen Nationalhelden, der angeblich in seiner Laufbahn jeden vierten Elfmeter gehalten hat, dass den japanischen Fehlschützen Takumi Minamino, Kaoru Mitoma und Kapitän Maya Yoshida das Herz in die Hose rutschte. Team Nippon hatte sich so sehr in die historische Chance verkrallt, erstmals ein WM-Viertelfinale zu erreichen, dass die Repräsentanten unter dem Druck zusammenbrachen.
Livaković, der im Spiel durchaus die eine oder andere nicht unbedingt nötige Flugshow eingebaut hatte, verzichtete bei der Entscheidung auf jedwede Mätzchen. Vor allem konzentrierte er sich darauf, wirklich artig einen Fuß auf der Kreidelinie zu lassen, worauf die Regelhüter neuerdings achten müssen. Nicht jeder Torwart taucht unter diesen unnötig erschwerten Bedingungen so schnell ab wie das grüne Männchen, das bei der WM 2018 als Ersatzmann erlebt hatte, wie sein Vorgänger Danijel Subašić ebenfalls mit einem gehaltenen Dreierpack den Einzug ins Viertelfinale ebnete. "Ich wollte die Tradition fortsetzen", sagte der Nachfolger nun schelmisch grinsend.
Drei gehaltene Elfmeter – das hatte zuvor nur ein Portugiese geschafft
Zuvor hatte es in der WM-Geschichte nur der Portugiese Ricardo 2006 in Deutschland fertiggebracht, drei Strafstöße zu parieren. Die Leidtragenden waren damals auf Schalke – wie sollte es anders sein – noch die Engländer. Einen Teufelskerl zwischen den Pfosten wird es brauchen, wenn Kroatien nun gegen Brasilien (Freitag 16 Uhr) antritt. Amtierender Vizeweltmeister gegen Rekordweltmeister – das hat was. Damit Neymars Titelträume im Education City Stadion in A-Rayyan nicht platzen, sollte tunlichst die Angelegenheit in der regulären Spielzeit geklärt werden.
Denn in keiner Spezialdisziplin ist ihr Gegner so (nerven)stark wie bei einer Draufgabe: Bei der WM 2018 hatte es in den ersten drei K.-o.-Duellen der Kroaten nach 90 Minuten plus Nachspielzeit keinen Sieger gegeben. Achtelfinale gegen Dänemark (3:2) und Viertelfinale gegen Gastgeber Russland (4:2) entschieden die Kroaten im Elfmeterschießen, das Halbfinale gegen England (2:1) in der Verlängerung. Der Respekt vor dem nächsten Gegner bei dieser WM ist riesengroß. "Realistisch gesehen ist Brasilien die stärkste Nationalmannschaft bei dieser Weltmeisterschaft", sagte Lehrmeister Dalić. "Wenn man sich die Auswahl an Spielern, die Qualität, die Breite im Kader und die Marktwerte der Spieler ansieht, ist das erschreckend. Wir müssen mit viel Vertrauen ins Spiel gehen." Und irgendwie versuchen, ins Elfmeterschießen zu kommen. Das wäre mehr als die halbe Miete für die Sensation.
Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar steht in der Kritik, auch in der Redaktion haben wir ausführlich darüber diskutiert. Eine Einordnung, warum wir das Sportevent dennoch ausführlich journalistisch begleiten, lesen Sie in diesem Text.