Samstagabend, 22.20 Uhr. Für Millionen von Briten ist es Zeit für "Match of the Day" auf BBC One. Dies ist nicht nur die wichtigste Fußballsendung Großbritanniens, sondern laut dem Guinness Buch der Rekorde auch die älteste der Welt. Durch die berühmte Show führt aktuell eigentlich der Ex-Fußballprofi Gary Lineker, der bestbezahlte Moderator des Senders und wegen seiner Karriere als Nationalspieler ein Sportsheld.
In der Sendung, welche üblicherweise über eine Stunde dauert, kommentiert dieser Zusammenfassungen aller Premier League-Spiele des Tages. Normalerweise. Denn diesen Samstagabend kam alles anders. Der beliebte Vorspann fehlte und das "Spiel des Tages" dauerte nur 20 Minuten, statt Kommentaren zu den jeweiligen Spielen hörten Zuschauer nur den Jubel des Publikums im Stadion. Lineker fehlte im Programm – weil die BBC ihn suspendiert hatte. Begonnen hatte alles mit einem Tweet, den dieser am vergangenen Dienstag gepostet hatte. Darin verglich er die Rhetorik der konservativen Innenministerin Suella Braverman mit jener der Nazis aus den 1930er Jahren.
Die Politikerin sprach von einer "Invasion" von Bootsflüchtlingen. Und das, obwohl Großbritannien im Vergleich zu Deutschland nur eine geringe Zahl aufnimmt. Die Tory-Partei hatte vor einer Woche einen Gesetzesentwurf vorgestellt, der Kritikern zufolge gegen internationales Recht verstößt. Geflüchteten droht die sofortige Abschiebung - ohne das Recht auf Asyl. Die den Tories zugeneigte Tageszeitung The Telegraph sowie konservative Abgeordnete kritisierten Lineker in den Tagen danach für seinen Tweet.
Braverman warf ihm vor, den Holocaust zu verharmlosen. Der TV-Sender suspendierte den Moderator daraufhin am vergangenen Freitagnachmittag mit dem Hinweis, dass er gegen redaktionelle Richtlinien verstoßen habe, nach denen BBC-Moderatoren ihre Meinung zu politischen Themen nicht öffentlich äußern sollten. Womit die Rundfunkanstalt jedoch nicht gerechnet hatte, war der Sturm der Entrüstung, der daraufhin losbrach.
Kollegen springen Fußball-Experte Lineker zur Seite
Seine Kollegen bei "Match of the Day", die Ex-Fußballstars Ian Wright und Alan Shearer, kündigten an, ebenfalls nicht in die Sendung zu kommen, aus Solidarität mit ihm. Immer mehr BBC-Moderatoren schlossen sich der Rebellion an. Weitere Sportformate im Radio und TV mussten abgesagt oder eingeschränkt werden, auch am Sonntag. Fußballer gaben der BBC keine Interviews mehr. Dem Sender droht ein Generalstreik.
Umfragen vom Wochenende zeigten, dass die Rundfunkanstalt die öffentliche Stimmung falsch eingeschätzt hatte. Laut dem Meinungsforschungsinstitut YouGov gaben 53 Prozent der Briten an, dass die BBC den ehemaligen Fußballstar, der über acht Millionen Follower auf Twitter hat und sich einst auch öffentlich gegen den Brexit aussprach, nicht hätte suspendieren sollen. Rücktrittsforderungen an den ohnehin umstrittenen BBC-Chef Tim Davie wurden laut. Dieser entschuldigte sich am Wochenende beim Publikum für die eingeschränkte Fußballberichterstattung. Er hoffe, dass Lineker bald wieder "auf Sendung" sein wird. Es gehe jetzt darum, die richtige Balance zwischen Pressefreiheit und Neutralität zu finden. Einen Rücktritt schloss er aus.
Zu der Diskussion gehört auch, dass Davie einst eine Karriere in der konservativen Partei anstrebte und der aktuelle BBC-Vorsitzende Richard Sharp den Tories viel Geld spendete. Er verschaffte Ex-Premier Boris Johnson überdies einen Privatkredit, ohne dies als Interessenkonflikt anzugeben. Fragen, die das Wochenende im Königreich bestimmten, waren also: Wie passt das zusammen? Und vor allem: Wie viel Einfluss hat die konservative Regierung auf die BBC?
Die BBC befindet sich in schwierigen Zeiten
Die Krise trifft die Rundfunkanstalt in ohnehin schwierigen Zeiten. Tory-Abgeordnete warfen der BBC seit dem Brexit immer wieder vor, Stimmung gegen die Partei zu machen, zum Beispiel im Rahmen der "Partygate-Affäre". Deren Darstellung nach arbeiten bei der BBC überwiegend linkslastige Journalisten, die eine urbane Elite repräsentieren. Aus Angst vor der Regierung, die mit der Abschaffung der Gebühren droht, würde sich der Sender seitdem selbst zensieren, kritisierte die frühere BBC-Moderatorin Emily Maitlis.
Der BBC-Veteran Andrew Marr wechselte Ende 2021 zum Radiosender LBC, weil er in dem, was er sagte, freier sein wollte. Zahlreiche weitere Star-Moderatoren verließen die Rundfunkanstalt. Der frühere BBC-Generaldirektor Greg Dyke stellte dem Sender auch im aktuellen Streit um die Lineker-Suspendierung ein schlechtes Zeugnis aus. "Das wirkliche Problem ist, dass die BBC ihre Glaubwürdigkeit untergraben hat, weil es von außen so aussieht, als habe sie sich dem Druck der Regierung gebeugt", sagte dieser am Wochenende gegenüber Journalisten. Premierminister Sunak versuchte am Samstagabend die Tory-Partei aus der Schusslinie zu bringen. Es handle sich um eine Angelegenheit zwischen Lineker und der BBC, die "hoffentlich zeitnah beigelegt werden kann".