Hier soll es eingangs mal um Wile E. Coyote gehen. Wer ihn nicht kennt: Der zottelige Comic-Kojote verbringt sein Tagwerk damit, reichlich erfolglos dem Roadrunner hinterherzujagen. Der wiederum gehört zur Spezies des Wegekuckucks und ist so schnell, dass dem armen Coyote (hierzulande auch unter Karl Kojote bekannt) nur das Nachsehen bleibt. Wenn Bayer Leverkusen eine Comicfigur wäre, dann wäre die Werkself eben jener Wile E. Coyote. Bislang zumindest.
Denn egal, wie nah die Werkself an einem Titel war – am Ende jubelten immer die anderen. 1993, als man noch mit D-Mark zahlte, Schulterpolster und Neon-Sticker angesagt waren, holte Leverkusen den zweiten und bislang letzten Titel seiner Geschichte, den DFB-Pokal. Vorn waren hingegen meistens die Bayern, die Titel um Titel absahnten. Und wenn es mal, wie etwa im Sommer 2000, eng wird? Dann traf Leverkusen in Person von Michael Ballack ins eigene Tor, während die Bayern die Experten für Tore in letzter Minute waren. In Fachkreisen gilt dieses Phänomen als "Bayern-Dusel".
Leverkusen wartet auf die erste Niederlage – und kann auch dreckig gewinnen
Im Januar des Jahres 2024 scheint sich aber irgendetwas grundlegend geändert zu haben. Die Bayern gewinnen zwar immer noch fleißig Spiel um Spiel – aber Leverkusen scheint einen Fußball vom anderen Stern zu spielen. Mittlerweile ist exakt die Hälfte der Saison vorbei – und kein Team, weder in Europa noch in Deutschland, hat es geschafft, Bayer zu besiegen. Mehr noch: Als am Samstagnachmittag alles danach aussah, als ob Leverkusen beim FC Augsburg nur zu einem 0:0 kommen würde, klingelte es kurz vor Schluss doch noch im FCA-Kasten. 1:0 für Leverkusen, ein dreckiger Last-Minute-Sieg.
Oder, um im Fachterminus zu bleiben: kein Bayern-, sondern ein Bayer-Dusel. Noch anders ausgedrückt: Die meinen das wirklich ernst mit den Meisterschafts-Ambitionen. Wird jetzt aus Vizekusen, dem ewigen Zweiten, auf einmal Meisterkusen? Wenn es nach Trainer Xabi Alonso geht, in seiner Zeit als Mittelfeldspieler bei Liverpool, Real und eben FC Bayern ein erklärter Verweigerer von zweiten Plätzen, auf jeden Fall: "Die Jungen hatten den Glauben, es bis zum Ende zu versuchen."
Kaum auszudenken, was eine Meisterschaft von Leverkusen für das Selbstverständnis unter dem Bayer-Kreuz bedeuten würde. Dort sah man sich bisher in der Tradition von Buzz Aldrin (zweiter Mensch auf dem Mond), Raymond Poulidor (Serien-Zweiter bei der Tour de France) oder eben Will E. Coyote. Mit Glück hatte das späte Tor gegen Augsburg aber nichts zu tun, sagte Alonso. Immer Glück zu haben, hat eben nichts mit Glück zu tun. Dauer-Pech wiederum ist auch keine Sache von Unglück. Mal bei Wile E. Coyote nachfragen.