Ein wenig erinnerte es an den Zweikampf zwischen Kahn und Lehmann vor der WM 2006. Bundestrainer Klinsmann degradierte Kahn zum Ersatzmann, Lehmann stand fortan zwischen den Pfosten. Die langjährige Nummer eins musste für den Herausforderer weichen. In der Sache ähnlich, aber weitaus geräuschloser vollzog sich der Wechsel zwischen den Pfosten der Frauen-Nationalmannschaft.
Teils wegen besonderer Umstände. Almuth Schult wehrte über Jahre hinweg Bälle ab. Als sie Mutter von Zwillingen wurde, rückte Merle Frohms an ihren Platz. Letztere hatte stets im Schatten Schults gestanden, sowohl im Verein als auch in der Nationalmannschaft. Seit 2019 sind die Rollen umgekehrt verteilt, Frohms ist Stammkraft, Schult seitdem Herausforderin.
Frohms bringt für eine Torhüterin kein Gardemaß mit
Die Ausdauer Frohms hatte sich für sie bezahlt gemacht. Jetzt, mit 28 Jahren, hat die durchtrainierte Frau mit den blonden Haaren jenen Status, nach dem sie lange strebte. In Wolfsburg sammelte Frohms Titel, gewann den DFB-Pokal, die deutsche Meisterschaft und sogar die Champions League. Jedoch immer als Ersatz von Schult. Weil sie nicht an der groß gewachsenen Torhüterin vorbeikam, wechselte Frohms den Klub, fing erst beim SC Freiburg Bälle, später bei Eintracht Frankfurt. Als Schult schwanger wurde, erhielt Frohms ihre Chance. Inzwischen genießt sie das volle Vertrauen von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. Die WM 2019 hatte noch Schult bestritten, vor der EM 2022 bekannte sich Voss-Tecklenburg zu Frohms – obwohl Schult Ansprüche angemeldet hatte.
Frohms, im niedersächsischen Celle geboren, bringt nicht unbedingt das Gardemaß einer Torhüterin mit. Weiß ihre im Verhältnis zu Konkurrentinnen geringen 1,73 Meter aber durch Sprungkraft und Reaktionsschnelligkeit auszugleichen. Vor der laufenden Saison schloss sich für die 28-Jährige der Kreis, sie kehrte zum VfL Wolfsburg zurück. Ist dort jetzt unumstrittene Nummer eins, kann Meister und Pokalsieger werden. Und auch die Trophäe in der Königsklasse ist noch möglich. Im Rückspiel gegen Arsenal London benötigen die Wolfsburgerinnen einen Sieg, um ins Endspiel einzuziehen (Montag, 18.45 Uhr/DAZN).
Frohms gibt dem Frauenfußball ein Gesicht und nimmt die Rolle an, noch stärker im Fokus zu stehen. "Man wird erkannt, es sind mehr Zuschauerinnen und Zuschauer. Es ist einfach schön, diese Entwicklung zu sehen", sagte sie jüngst vor einem Länderspiel. Mit Verzögerung erlebt sie Höhepunktpartien auf ganz großer Bühne, die sie zuvor als Ersatzspielerin verfolgte. Das EM-Finale 2022 gegen die Engländerinnen ging zwar verloren, mit der WM im Sommer unternimmt Frohms aber einen weiteren Anlauf, ihre Länderspielkarriere zu krönen.