Die Litfaßsäulen in Berlin sendeten an diesem Montag eine deutliche Botschaft aus: Ein Werbeplakat von Adidas zeigte die jubelnde spanische Mannschaft. Dazu war zu lesen: „It‘s only the beginning“, zu Deutsch: Es ist erst der Anfang. Der EM-Titel, den die Spanier am Sonntagabend nach einem 2:1-Sieg gegen England geholt hatten, soll also nur ein Vorgeschmack sein auf das, was noch von dieser jungen und hochtalentierten Mannschaft zu erwarten ist.
Das sieht im übrigen auch Rodri so. Der 28-Jährige von Manchester City, zum besten Spieler des Turniers gewählt, sagte nach Schlusspfiff: Die Erfolgsserie von Trainer Luis de la Fuente und der Mannschaft habe „gerade erst begonnen“. Tatsächlich spricht einiges dafür.
Spanien hatte bei der EM das härteste Programm aller Teams
Die Iberer schlugen in der schwersten Gruppe Titelverteidiger Italien, den WM-Dritten Kroatien und Albanien, bevor in der K.o.-Phase die starken Georgier, Gastgeber Deutschland, Vizeweltmeister Frankreich und im Finale das nach Marktwerten wertvollste Team des Turniers, England, besiegt wurden.
Zudem verfügt Spanien über das wohl größte Repertoire an Top-Talenten: Lamine Yamal wurde zum besten Nachwuchsspieler der EM gewählt und kann dieses Kunststück bei der nächsten Europameisterschaft sogar noch wiederholen. Wenn 2028 in Großbritannien und Irland gekickt wird, ist das Wunderkind immer noch erst 20 Jahre alt. Dazu kommen die 21-jährigen Nico Williams, der im Finale verletzte Pedri oder Fermin Lopez vom FC Barcelona. Zwei weitere Riesentalente waren gar nicht erst dabei: Gavi vom FC Barcelona, der mit gerade mal 19 Jahren schon 27 Länderspiele gesammelt hat und die EM wegen eines Kreuzbandrisses absagen musste, gilt jetzt schon als einer der besten Spieler in der Mittelfeldzentrale. In der Innenverteidigung von Barca wiederum wartet mit dem 17 Jahre alten Pau Cubarsi das nächste Wunderkind. Der Teenager rückte zwar erst im Januar in die erste Mannschaft auf, verpasste seither aber kein Spiel. Bei der EM stand er schon im vorläufigen Kader der Spanier und wird alsbald wohl mehr Spielzeit bekommen.
Unter Luis de la Fuente startete Spanien eine Siegesserie
Die vielen Talente und die etablierten Kräfte in den kommenden Jahren zu einer Einheit zu formen, wird die Aufgabe von Luis de la Fuente sein, dessen Vertragsverlängerung eine Formsache ist. Dass der 63-Jährige in der Lage ist, die individuellen Stärken seiner Spieler in ein stimmiges Gesamtkonzept einzuordnen, belegt nicht nur die EM, sondern die gesamte Amtszeit. Seit seiner Amtsübernahme im Januar 2023 bestritt Spanien 22 Spiele, von denen 19 gewonnen wurden. Die letzte Niederlage war eine 0:1-Pleite in Kolumbien. Wie er es geschafft hat, den spanischen Fußball neu zu erfinden, weg vom überholten reinen Ballbesitzfußball? Laut dem Coach ging es nicht darum, das „Rad neu zu erfinden“, sondern um grundlegende Dinge: „Es geht immer um Ballbesitz und Kontrolle, aber eben nicht nur. Wir wollten das Spiel auch in dynamischen Situationen kontrollieren. Dank unserer schnellen Spieler haben wir dem Team neue Charakteristiken gegeben.“
Auch im Endspiel waren es nicht die Ballrochaden, die man von Spanien aus der Hochphase der Tiki-Taka-Ära kannte, die das Spiel entschieden. Sondern die pfeilschnellen Außenspieler Yamal und Williams, die die englische Defensive auseinanderrissen. War die Führung eine direkte Kombination der beiden, die Williams verwandelte (47.), entsprang das 2:1 von Oyarzabal einer scharfen Hereingabe von Cucurella (86.). Dass das Spiel nach dem Ausgleich von Palmer (73.) überhaupt nochmal eng geworden war, war den zuvor vielen vergebenen Chancen der spanischen Offensive geschuldet. Muss nun der WM-Titel das Ziel sein? De la Fuentes Ankündigung klingt fast wie eine Drohung an die Konkurrenz: „Wir können immer besser werden.“
England ist im Tal der Tränen – wie geht es mit Southgate weiter?
Es ist die Gelassenheit des Siegers, die aus Williams spricht. Etwas anders sieht es bei den Engländern aus, die zum zweiten Mal in Folge ein EM-Finale verloren haben.
Jude Bellingham zeigte sich nach der Finalpleite tief getroffen: „Es bricht einem das Herz. Wir alle wollten nichts mehr, als Geschichte zu schreiben.“ Ob es in zwei Jahren in Nordamerika mit dem bisherigen Trainer Gareth Southgate einen neuen Anlauf geben wird, ist nicht sicher. Die sportliche Bilanz spricht für den 53-Jährigen, die Spielweise nicht. Ob er selbst weitermachen will, könne er nicht sagen: „Ich muss Gespräche mit den entscheidenden Personen im Hintergrund führen.“ Nun überwiege die Enttäuschung - und auch der Stolz, es erstmals außerhalb der Heimat in ein Finale geschafft zu haben.
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