Spanien schlägt Italien: Die Rückkehr der „roten Furie“
Spanien hat das Topduell der Vorrunde dieser Fußball-EM mit 1:0 gegen Italien gewonnen. Nach der beeindruckenden Vorstellung fragen sich viele: Sieht so der neue Europameister aus? Was dafür spricht – und was nicht.
Lange Zeit dominierte Spanien den Fußball, sammelte Welt- und Europameistertitel. Doch der bislang letzte Turniersieg liegt schon etwas zurück. 2012 wurde die „Furia Roja“ (die rote Furie) zuletzt Europameister. Bei der EM in Deutschland könnten die Iberer ihre titellose Zeit beenden – und eine neue Ära gründen. Das 1:0 der spanischen Mannschaft gegen Italien war nicht einfach nur ein Sieg. Der Auftritt in Gelsenkirchen bei diesem Gipfeltreffen zweier europäischer Fußball-Großmächte war eine Demonstration der Stärke dieser Mannschaft, die seit Donnerstagabend als heißester Favorit auf den Titel gehandelt werden dürfte. Es war die beeindruckendste Leistung bisher bei diesem Turnier – auch, wenn die Partie am Ende nur 1:0 endete und Spanien das Siegtor nicht einmal selbst erzielte. Ein Eigentor des Italieners Riccardo Calafiori (55.) entschied das Spiel. Die mangelnde Chancenverwertung zählt zu den wenigen Dingen, die der Konkurrenz Hoffnung machen dürfte, diese Mannschaft schlagen zu können. Insgesamt 20 Torschüsse gab das Team von Luis de la Fuente ab. Die meisten davon waren gute Möglichkeiten, einige sogar Hochkaräter.
Torwart Donnarumma hält Italien im Spiel
Doch Italien hatte mit Gianluigi Donnarumma den besten Mann des Abends im Tor stehen. Der 25-Jährige verhinderte in der ersten Halbzeit mehrfach den Rückstand. Seine Vorderleute kamen dagegen erst in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit überhaupt einmal gefährlich in den Strafraum der Spanier. Der Titelverteidiger von 2021, der schon die WM in Katar verpasste, wirkte streckenweise hilflos und hielt nur in der Schlussviertelstunde etwas dagegen. Oder wie der Übersetzer eine Aussage des spanischen Trainers in der Pressekonferenz auslegte: „Wir haben heute gezeigt, dass wir in der Lage sind, Italien abzufiedeln.“
Lange war die Mannschaft von der iberischen Halbinsel bekannt für ihr Tiki-Taka-Spiel. Ein Kurzpassspiel, dass darauf ausgelegt ist, lange den Ball zu halten. Für Fußball-Ästheten schön anzusehen. Für viele Zuschauer aber auch ermüdend, weil häufig genug ein ewiges Hin- und Hergeschiebe daraus resultierte. Davon ist die spanische Mannschaft unter de la Fuente weit entfernt. Auch sie ist ballsicher. Doch sie ist auch bissig, griffig, zielstrebig. Immer geht es schnell nach vorne.
De la Fuente: "Spanische Fußballer sind die besten der Welt"
Auch deshalb schwärmt de la Fuente von seiner Mannschaft. „Ich möchte die Qualität dieser Generation betonen. Spanische Fußballer sind die besten der Welt“, sagt er. Der 63-Jährige sieht aus wie ein Gelehrter. Und wer ihn nicht kennt, könnte ihm den Satz glatt als Überheblichkeit auslegen. Doch der Ex-Profi, der jahrelang erfolgreich im Jugendbereich gearbeitet hat, neigt nicht zur Prahlerei. Er ist einfach nur ein Fan seines eigenen Teams, das er seit 2022 aufgebaut und dem er seinen Stempel aufgedrückt hat. Eine Mannschaft aus jungen Talenten, Routiniers und wenigen echten Stars.
Wenn einer namentlich heraussticht, dann vielleicht am ehesten Rodrigo Hernández Cascante, genannt Rodri, über den auch am Donnerstag vieles lief. Der defensive Mittelfeldspieler von Manchester City ist so etwas wie die ordnende Hand. Und dann sind da noch diese vielen unfassbar talentierten Fußballer, mit ihrem berauschenden Drang, zu spielen. Nico Williams, 21, über dessen rechte Seite so vieles lief, der Chance um Chance einleitete und als Mann des Spiels ausgezeichnete wurde, wäre unter anderen zu nennen. Spielmacher Pedri (ebenfalls 21), der sich sowohl mit als auch ohne Ball auf beeindruckende Weise auf dem Feld bewegt. Oder Lamine Yamal, der mit seinen 16 Jahren jüngster EM-Spieler ist und seine italienischen Gegenspieler reihenweise austanzte.
Marc Cucurella zählt da fast schon zum alten Eisen. Der 25-jährige Linksverteidiger erinnert nicht nur frisurentechnisch an Marcelo. Beide Defensivakteure mit dem Prädikat „Weltklasse“. Und wie der Brasilianer scheint auch der Spanier dabei zu ignorieren, dass der Trainer ihn auf dem Taktikboard in der Kabine stets eher defensiv anordnet. War sicher ein Versehen.
Angesprochen auf den Hans-Dampf-in-allen Gassen, sagte de la Fuente, dass Cucurella ein gutes Spiel gemacht hätte, ja, natürlich. Doch wichtig seien für ihn nicht einzelne Spieler, sondern das Kollektiv. Und das schob sich an diesem Tag in einem 4-3-3-System auf beeindruckende Art und Weise über das Feld. Es gestaltete die Räume derart eng, dass es so gut wie nie ein Durchkommen für die Italiener gab. Immer wieder drückte Spanien stattdessen nach vorne.
Aus dem eher langweiligen Dreiecksspiel über das ganze Feld ist ein flinkes Spiel in Dreiecken geworden, bei dem sich die gesamte Mannschaft in einer Art Rechteck anordnet. Von oben sieht es aus, als rolle hier eine Dampfwalze über das Feld. Und die Frage ist: Wen macht sie als nächstes platt? Und kann es überhaupt einer Mannschaft gelingen, diese Maschine aufzuhalten?
Spaniens Trainer warnt auch: Fußball kann grausam sein
Die Antwort ist einfach: wenn, dann nur mit einem erheblichen Kraftakt. Oder an einem sehr schlechten Tag der Spanier. Doch den will de la Fuente verhindern. Denn nachdem er die Weltklasseleistung seiner Spieler gelobt hatte, mahnte er sofort wieder zur Vorsicht. Bei aller Freude über die Leistung, „die vielleicht beste des Teams, seit ich es führe“, wie er betonte, wolle er vor allem eins: „Wir müssen demütig bleiben.“ Der Fußball, sagt der Trainer, könne grausam sein. „Wir haben noch nichts erreicht“, erklärte der 61-Jährige und schaute dabei streng durch seine Brille: „Aber wir haben ein unglaubliches Potenzial. Der spanische Fußball ist ein hochwertiges Produkt - und wir können noch weiter wachsen.“ Es klang fast, wie eine Drohung.
Sie haben nicht die Berechtigung zu kommentieren. Bitte beachten Sie, dass Sie als Einzelperson angemeldet sein müssen, um kommentieren zu können. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an moderator@augsburger-allgemeine.de.
Um kommentieren zu können, gehen Sie bitte auf "Mein Konto" und ergänzen Sie in Ihren persönlichen Daten Vor- und Nachname.
Bitte melden Sie sich an, um mit zu diskutieren.