In der Vorrunde der Europameisterschaft wird es ein Wiedersehen mit Ihrem Nebenmann in Leverkusen geben, Granit Xhaka und die Schweiz warten im dritten Gruppenspiel. Wie haben Sie das Jahr an seiner Seite erlebt?
Robert Andrich: Granit ist für die Mannschaft sehr, sehr wichtig. Er ist als Typ ehrgeizig und weiß, was erforderlich ist, um erfolgreich zu sein. Er hat eine Sieger-Mentalität, die er bei uns in die Kabine gebracht hat. Wir verstehen uns äußerst gut - und deswegen ich bin mir ziemlich sicher, dass er alles dafür tun wird, um mit der Schweiz gegen uns zu gewinnen. Ich hoffe, dass wir in diesem Spiel nicht mehr auf einen Sieg angewiesen sein werden.
In der Nationalmannschaft wird dann Toni Kroos sehr wahrscheinlich Ihr Partner im Mittelfeld sein. Ist das eine Umstellung? Schließlich ist Kroos mehr der Taktgeber, während es bei Xhaka schon mal körperlicher werden kann.
Andrich: Das würde ich jetzt nicht unbedingt so sehen. Beide haben unfassbares Spielverständnis und können das Spiel ihrer Mannschaften lenken. In Leverkusen ist es natürlich auch dem System geschuldet, dass wir sehr viele Spieler im Zentrum haben. In der Nationalmannschaft ist es so, dass Toni sich am meisten in diesem Bereich bewegt und wir beide uns dort suchen und finden. Ich glaube, auch hier kann es ein sehr gutes Zusammenspiel zwischen uns beiden sein.
Sie haben gerade mal fünf Länderspiele absolviert – auch wenn es mitunter schon so wirkt, als ob Sie ein Vielfaches davon auf dem Buckel haben. Dabei waren Sie erst mit 25 Jahren in der Bundesliga, mit 29 in der DFB-Auswahl. Müssen Sie sich manchmal zwicken?
Andrich: Wenn ich die Zeit mal habe, um das alles zu reflektieren, wundere ich mich manchmal schon, wie schnell das gehen kann. Aber so ist das Fußballgeschäft eben. Natürlich kam mir auch zugute, dass es zuerst nicht so gut lief in der Nationalmannschaft. Aber auch dann musst du eben Leistung bringen und zeigen, dass du ins Team willst. Ich denke, das habe ich gemacht.
Lange Zeit deutete bei Ihnen gar nicht so viel auf eine Karriere in der Bundesliga hin. Würden Sie mit dem Wissen von heute etwas anders machen?
Andrich: Grundsätzlich würde ich nichts ändern. Aber ich würde meinem jüngeren Ich mal sagen: Lass die ein oder andere Party weg. Aber auch das macht dich ja zu der Person, die du heute bist. Ich bin froh, dass ich nicht erst mit 34 Jahren nach der Karriere mal mein Leben genießen muss. Ich bin froh, dass alles ist, wie es ist.
Stimmt es, dass Sie sich vorstellen konnten, als Kindergärtner zu arbeiten, wenn es mit dem Profi-Fußball nicht geklappt hätte?
Andrich: Ich habe es immer ganz cool gefunden, mit Kindern Zeit zu verbringen. Von daher war das tatsächlich die zweite Sache, die mir im Kopf gekommen ist.
Das überrascht nur etwas, weil Sie optisch etwas anderes ausstrahlen.
Andrich: Das mag sein. Aber ich habe selbst auch zwei Kinder und komme einfach allgemein gut mit Kindern klar. Ich denke, andersrum ist das auch so.
Gegen die Ukraine haben Sie sogar einen Freistoß in Tornähe ausgeführt. Waren Sie dafür eingeteilt?
Andrich: Gute Frage - ich glaube nicht. Aber ich habe relativ schnell gemerkt, dass sich keiner so richtig den Ball genommen hat. Dann habe ich einfach geschossen. Aber ich glaube, so schnell komme ich jetzt nicht nochmal dran (lacht).
Wo liegen die Stärken und Schwächen der deutschen Mannschaft?
Andrich: Ich denke, dass wir uns in dem Spiel mit dem Ball deutlich verbessert haben. Wir müssen Flo (Wirtz, Anm. d. Red.) und Jamal (Musiala) in die gefährlichen Räume kriegen, auch Ilkay soll immer wieder seine gefährlichen Momente bekommen. Das ist besser geworden und in vielen Situationen haben wir ein gutes Gespür dafür, auch mal ein bisschen tiefer zu stehen. Aber da ist auf jeden Fall noch Potenzial nach oben. Deutlich verbessert haben wir uns im Spiel gegen den Ball.
Wie nehmen Sie die Stimmung rund um die deutsche Mannschaft wahr?
Andrich: Ich finde schon, dass man aktuell eine Euphorie bemerkt. Die Leute merken, dass wir alles reinwerfen, und dieses Engagement wird wertgeschätzt. Jetzt müssen noch die Ergebnisse dazukommen. Aber ich bin da guter Dinge.
In den vier Spielen, die Sie für die Nationalmannschaft von Beginn an bestritten haben, sind nur zwei Gegentore gefallen. Welchen Anteil daran würde Sie sich da zuschreiben?
Andrich: Ich hoffe, dass es irgendwo auch ein bisschen an mir liegt. Meine Position ist wichtig für die Defensivarbeit, wir haben insgesamt auch wenig zugelassen. Wir sind nicht nur eine Schönwettermannschaft, sondern auch bereit, zu arbeiten.
Ihr Vereinstrainer Xabi Alonso hat Sie im Laufe der Saison immer wieder für Ihre Spielintelligenz gelobt. Seiner Meinung nach erkennen Sie früh, wenn etwa das Pressing nicht optimal funktioniert. Dennoch werden Sie ab und an auf Ihre Körperlichkeit reduziert, auf Ihre Zerstörer-Qualitäten. Ärgert Sie das?
Andrich: Nein, damit habe ich abgeschlossen. Manche Medien machen sich einen Spaß daraus, dieses Thema bei mir aufzumachen. Aber ich kann schon sehr gut einschätzen, was meine Qualitäten sind und wie gut ich auch in der Mannschaft helfen kann.