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Fußball-EM 2024: Özil, Erdogan und viele Wolfsgrüße: Die Störgeräusche beim Aus der Türkei

Fußball-EM 2024

Özil, Erdogan und viele Wolfsgrüße: Die Störgeräusche beim Aus der Türkei

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    Mesut Özil war beim Viertelfinale der Türkei in der Loge von Recep Tayyip Erdogan und seiner Frau Emine Erdogan. Zuvor hatte er über soziale Medien ein Bild des Wolfsgrußes geteilt.
    Mesut Özil war beim Viertelfinale der Türkei in der Loge von Recep Tayyip Erdogan und seiner Frau Emine Erdogan. Zuvor hatte er über soziale Medien ein Bild des Wolfsgrußes geteilt. Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

    Ein Durchkommen war weit nach Mitternacht rund um den Breitscheidplatz nahezu unmöglich. Im Herzen der deutschen Hauptstadt bildete das Potpourri aus türkischen Gesängen, hupenden Autos, quietschenden Reifen und verzweifelten Polizeidurchsagen („Fahren Sie nicht auf die Kreuzung, wenn andere Fahrzeuge dort stehen“) eine Melange, der nur furchtlose Zeitgenossen ertragen konnten. Neben der Gedächtniskirche strahlten zwar riesengroße Figuren im deutschen und spanischen Nationaltrikot, aber in der Mitte von Berlin leuchtete und lärmte alles in türkischen Farben. Was sich irgendwie niemand vorstellen konnte: Wie hätte das bitte ausgesehen, wenn die Türkei das dramatisches EM-Viertelfinale gegen die Niederlande (1:2) gewonnen und genau wie 2008 in der Schweiz und Österreich auch 2024 in Deutschland das Halbfinale erreicht hätte? Vermutlich wären ihre Anhänger auf die denkmalgeschütze Kuppel des christlichen Bauwerks geklettert. Und hätten oben den „Wolfsgruß“ gezeigt.

    So aber blieb es bei der Vorort-Aufmunterung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, dessen Anwesenheit viele aus der türkischen Community sichtlich erfreute. Immer wieder drängten Landsleute vorbei am Ordnungspersonal an die Empore, und wer bei seinem Handyfoto Glück hatte, bekam hinter Ehefrau Emine auch Mesut Özil ins Bild. Einst hatte sich Angela Merkel hier zum deutschen Nationalspieler in die Kabine gesetzt, aber die Aufnahme muss aus einem anderen Leben kommen.

    Mesut Özil teilte ein Bild des Wolfsgrußes auf Instagram

    Özil, der seine Karriere in der DFB-Auswahl nach der verpatzten WM in Russland beendet und dies mit Rassismus-Vorwürfen begleitet hatte, befindet sich seit über einem Jahr im fußballerischen Ruhestand. Gehör finden seine Worte aber immer noch, vor allem über soziale Medien. Über Instagram hatte der 35-Jährige wenige Stunden vor Anpfiff des Viertelfinals ein Foto des Doppeltorschützen Merih Demiral geteilt, der seinen zweiten Treffer gegen Österreich mit dem umstrittenen „Wolfsgruß“ gefeiert hatte. Zu dem Foto stellte der Ex-Profi ein Bild einer wehenden türkischen Flagge und die Anfeuerung „Hayde Türkiye“ („Auf geht‘s, Türkei). Schon in der Vergangenheit hatte Özil seine Unterstützung für die für die rechtsextreme Bewegung sowie für die daraus hervorgegangene Partei MHP kundgetan. Özil, der mittlerweile Gefallen am Bodybuilding gefunden hat und in der Türkei lebt, scheint nur noch wenig mit dem Özil gemein zu haben, der einst im deutschen Nationaltrikot die Fans entzückt hatte.

    Nun ist es Erdogan, der sich mit Özil schmückt – und der aus einem Kabinenbesuch seine Stellung festigen wollte. „Ich gratuliere euch allen. Auch wenn wir heute hier dieses Ergebnis erzielt haben, seid ihr unsere Champions“, sagte der 70-Jährige zu den türkischen Kickern. „Das hat Zukunft, wir werden diese Arbeit fortsetzen.“

    Der Besuch Erdogans sei vorher geplant gewesen

    Angeblich hatte sein Erscheinen nichts mit der Uefa-Sperre gegen Demiral zu tun, dessen „Wolfsgrüße“ zuvor die Wellen so hoch hochschlagen ließen. „Das war schon vorher abgesprochen, dass unser Staatschef zu diesem Spiel kommen wollte“, sagte Teammanager Hamit Altintop. Wirklich? Der autokratisch regierende Herrscher am Bosporus bedient gerne die Klaviatur, von Europa, insbesondere Deutschland, ungerecht behandelt zu werden. Dass der höchst umstrittene „Wolfsgruß“ die Zugehörigkeit oder das Sympathisieren mit der rechtsextremen Ülkücü-Bewegung und ihrer Ideologie ausdrückt, ist leider auch unter vielen türkischen Fußballfans verankert. Es wäre ein frommer Wunsch gewesen, dass die Botschaft bei dieser EM-Begegnung nicht auftauchen würde. So war es dann auch: Die Polizei löste zwar wegen zu vieler politischer Zeichen einen Fanmarsch zum Stadion auf, aber ohne Verbot in Deutschland bestand in der riesigen Betonschüssel keine Handhabe gegen dieses massenhafte Fingerzeichen.

    Immerhin: Als der für Provokateur Demiral in die Verteidigung zurückgekehrte Samet Akaydin am langen Pfosten zum frenetisch bejubelten 1:0 einköpfte (35.), hob der Torschütze bloß den Zeigefinger und sackte auf die Knie. In dieser Phase war sich Edeltechniker Arda Güler für keinen Meter zu schade, ging Kapitän Hakan Calhanoglu keinen Zweikampf aus dem Wege. Selbst nach dem unglücklichen Eigentor von Mert Müldür (76.) drängte das türkische Team in einer hochklassigen Schlussphase vehement auf den Ausgleich. Es dauerte, bis sich diese tapfere Truppe auf die verdiente Ehrenrunde begab. „Wir sind stolz auf das, was wir geleistet haben“, sagte der gebürtige Mannheimer Calhanoglu: „Keiner hat erwartet, dass wir es so weit schaffen.“ Jeden Kommentar zu den Störgeräuschen verbat sich der bei Inter Mailand spielende 30-Jährige.

    Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind nicht einfacher geworden

    Insofern ist es für ein bislang im Zeichen der Völkerverständigung stehendes Turnier nicht verkehrt, dass die Türkei erhobenen Hauptes ausgeschieden ist. Fürs Halbfinale in Dortmund fällt der sportpolitische Ballast weg. Die ohnehin schwierigen deutsch-türkischen Beziehungen sind durch die Causa „Wolfsgruß“ jedenfalls nicht einfacher geworden, obwohl der sportliche Auftritt isoliert betrachtet eigentlich nur Respekt verdient hat. „Wir haben unsere Fans enthusiastisch gemacht, denn wir haben mit richtiger türkischen Leidenschaft gespielt“, insistierte Nationaltrainer Vincenzo Montella.

    Der für seine Menschenführung geschätzte Italiener hätte Lust, diese noch nicht am Limit angelangte Nationalelf auch in der Nations League in die oberste Kategorie und dann zur WM 2026 zu führen. Das dürften viele gerne gehört haben. Zum leidigen Thema der vergangenen Tage wollte er ansonsten nichts mehr sagen: „Es ist kompliziert. Ich habe nicht den Willen über Dinge zu sprechen, die nicht zum Fußball gehören.“ Ganz ähnlich hielt es auch ein kleiner Teil von „Oranje“-Fans, die sich am Breitscheidplatz bis in die Morgenstunden einfach von den türkischen Festivitäten mitreißen ließen. Ohne zu viel darüber zu sprechen, wer eigentlich im Berliner Westend gewonnen hatte.

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