Didier Deschamps wird den Moment wohl nie vergessen, der sich damals direkt vor seiner Trainerbank abspielte: Frankreichs Führungsspieler Antoine Griezmann misslang nahe der Mittellinie die Ballbehauptung, kurz darauf schüttelte Portugals Einwechselspieler Éder seinen Kontrahenten Laurent Koscielny wie eine lästige Fliege ab, ehe Sekundenbruchteile später sein Fernschuss ins Tor rauschte. 1:0 für Portugal im EM-Finale 2016. Die Entscheidung in der 109. Minute. Frankreich in Schockstarre. Der Titeltraum geplatzt. Portugal im Jubelrausch.
Der Gastgeber hatte geglaubt, nach dem schwer erkämpften Halbfinalsieg gegen die Deutschen schon den dicksten Brocken aus dem Weg geräumt zu haben. Der Nackenschlag drückte schwer aufs Gemüt der Grande Nation, zumal das Heimturnier wegen des riesigen Sicherheitsaufgebots nach den Terroranschlägen von Paris ohnehin ohne Leichtigkeit ablief. Seitdem sind sich die beiden Teams zwar bei der EM 2021 in der Gruppenphase begegnet – 2:2 nach je zwei Treffern von Karim Benzema und Cristiano Ronaldo – aber erst zum EM-Viertelfinale zwischen Portugal gegen Frankreich (Freitag, 21 Uhr, ZDF und Magenta TV) flammt die Vergangenheit wieder auf. Weil es in Hamburg nur einen Gewinner geben kann.
Frankreich bei der EM 2024: Didier Deschamps setzt Effizienz über alles
„Wir haben die nötige Qualität und das Talent, andere Teams aber auch. Auf dem höchsten Niveau brauchst du Konstanz und du musst als Team hart arbeiten“, hat Deschamps verlangt, der nach dem Trauma als Trainer noch mehr Pragmatismus als früher als Spieler walten lässt. Der 55-Jährige stellt die Effizienz über alles. Wenn sein Assistenztrainer Guy Stéphan den Bogen zurück ins Stade de France schlägt, erkennt der Deschamps-Vertraute nichts Negatives mehr. „Es wird Sie vielleicht überraschen, aber ich habe keine schlechte Erinnerung dran“, versicherte der 67-Jährige. Ohne diese Ohrfeige im eigenen Wohnzimmer „hätten wir 2018 nicht die WM gewonnen.“
Die Lehre für „Les Blues“ kann aber nur noch Deschamps-Liebling Griezmann abrufen, der mit 33 Jahren als einziger aus der Stammelf übrig ist. Kylian Mbappé war damals noch nicht mal volljährig, aber dafür hatte sein angehimmeltes Idol Ronaldo („Es gibt nur wenige Fußballer wie ihn, und ich habe viel gelernt, indem ich ihm zugeschaut habe“) eine Hauptrolle. Nur eine ganz andere als gewöhnlich. Der an jenem 10. Juli 2016 nach nicht einmal einer halben Stunde unter Tränen verletzt ausgewechselte Superstar machte sich als Motivator in der Coaching Zone für die Gemeinschaft verdient; zumindest immer dann, wenn die Kameras auf ihn gerichtet waren.
Spötter sagen, der 39-Jährige würde auch jetzt der Seleção besser tun, wenn er nicht auf dem Platz stände. CR7 sieht sich natürlich in aktiver Rolle. Zuletzt sagte die Ikone in Frankfurt martialisch über das Duell gegen die Franzosen: „Sie sind einer der Favoriten auf den Titel. Aber wir ziehen in den Krieg.“ Fest steht, dass er „ohne Zweifel meine letzte EM“ bestreitet – bis 2028 in Großbritannien will er dann doch nicht weitermachen.
Erstaunlich ist, dass sein Ensemble ähnlich zäh wie vor acht Jahren rüberkommt. Nach drei biederen Unentschieden in der Vorrunde brauchten Ronaldo und Co. damals die Verlängerung im Achtelfinale gegen Kroatien und das Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen Polen, um ins Halbfinale gegen Wales zu gelangen. Ihr Trainer Fernando Santos lehnte es damals schlichtweg ab, Schönheitspreise zu gewinnen. Sein Nachfolger Roberto Martinez war eigentlich mit einem anderen Anspruch angetreten, aber der Spanier nimmt jetzt auch, was ihm das Team bietet. Das war im Achtelfinale gegen Slowenien nicht viel, aber wenigstens war am Ende auf Torhüter Diogo Costa ja Verlass.
Portigal gegen Frankreich: Der ewige Pepe stand auch schon 2016 im Kader
„Bei diesem Turnier geht es um viele Details. Du kannst nach Elfmeterschießen gewinnen und es können auch Spiele durch individuelle Qualität entschieden werden“, sagte Martinez. Frankreich sei sehr stark, „aber ich bin mir sicher, dass es für uns Räume geben wird.“ Mehr Kreativität und Präzision im letzten Drittel täte Portugal ganz gut. Neben Ronaldo wären beispielsweise Sturmpartner Rafael Leão und die Lieferanten Bruno Fernandes und Bernardo Silva gefordert. Selbst diese beiden standen 2016 gar nicht im Kader. Neben Rekordtorjäger Ronaldo und Torhüter Rui Patricio gibt ansonsten nur noch der ewige Pepe einen, der damals Didier Deschamps den Abend vermasselte.
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