Mag sein, dass es bei dieser Fußball-EM nominell um einen 42,5 Zentimeter hohen und zehn Kilo schweren Pokal geht, der auf den Namen Henri-Delaunay hört. Klar, wollen alle gewinnen, ist ja auch irgendwie sinnstiftend. Faktisch geht aber für alle Beteiligten rein gar nichts ohne ein wesentlich schnöderes Dokument, das in eine Plastikfolie gepackt ist und am Hals aller Beteiligten baumeln muss: die EM-Akkreditierung.
Ohne die ist der Zutritt zu jeder Pressekonferenz, jedem Training und erst recht zu jedem Spiel ähnlich aussichtsreich wie ein Besuch in der Nobeldisko in Adiletten. Selbst für die Spieler gibt es keine Ausnahme, wenn es nach dem Spiel in den Diskurs mit den Berichterstattern geht. Das Problem: Nicht für alle ist es leicht, die Schlossallee aller Dokumente zu bekommen.
Schon ein Bindestrich im Vornamen kann reichen, um den Zonk zu erhalten
Nahezu bei jeder Gelegenheit weiß ein verzweifelter Kollege mit geröteten Augen von seinem Kampf um das Dokument zu berichten. Der Modus ist immer dasselbe: Wochenlang hängt die Anfrage in der Luft, scheitert nach Auskunft der Uefa immer an den "german authorities", bis endlich mal was geschieht.
Offenbar braucht es gar keinen jahrzehntelangen Aufenthalt in einem Hochsicherheitsgefängnis, um die deutschen Behörden und/oder die Uefa zu verärgern – schon eine simple Bindestrich-Kombination im Vornamen kann den Zonk bedeuten. Ein Kollege aus Nordrhein-Westfalen berichtete, dass er ohne Akkreditierung zum Eröffnungsspiel nach München gereist und erst drei Stunden vor Spielbeginn erfolgreich war. Als ultima ratio und Erfolgstaktik gilt mittlerweile: Sitzstreik im Ausgabecenter.
Vier Sekunden lang schien die EM-Akkreditierung verloren
All das sollte man wissen, wenn jemand den schlimmsten Satz ausspricht, den es bei dieser EM gibt. Er lautet: Ich habe meine Akkreditierung verloren. Es gibt wenig, was weitreichendere Konsequenzen hat – vielleicht noch, Schande über die Hells Angels gebracht zu haben. Es gibt keinen Ersatz, keine Entschuldigung, keine zweite Chance. In eben jenes Szenario glaubte der Schreiber dieser Zeilen in der vergangenen Nacht getappt zu sein, als der Rucksack auf das Dokument aller Dokumente geprüft wurde. Etwa vier Sekunden lang schien alles verloren zu sein, bevor sich herausstellte: Steckt halt in einem anderen Fach. Puh. Durchschnaufen, weiterschlafen. Ist nur nicht so leicht, wenn der komplette Körper gerade eben mit Angst und Adrenalin geflutet wurde.
Es gehört zu den Absurditäten, dass sich der heilige Ausweis spätestens nach dem 14. Juli, dem Tag des Finals, in ein wertloses Stück Plastik verwandeln wird. Immerhin: Für die Weiterverwendung gibt es schon einen Plan. Die Tochter hat ihr Interesse angemeldet und möchte die Kordel haben, an der die Akkreditierung baumelt. Sie sei so schön bunt, hat die Siebenjährige gesagt.