So manch einer hat auf den Gleisen des Dortmunder Hauptbahnhofs an einen schlechten Scherz geglaubt. Bei einigen waren die Tränen über das bittere Ausscheiden ihrer Lieblinge noch nicht getrocknet, als viele Anhänger der „Oranjes“ in dieser Nacht nicht mehr weiterwussten. Kaputte Züge, ratlose Polizisten und fehlende Informationen bildeten eine verstörende Gemengelage, die diesen so freudvoll begonnenen Tag noch ernüchternder enden ließ. Pures Glück entschied darüber, wer eine Bahn erwischte, die in Richtung Köln oder Düsseldorf fuhr, wohin es viele niederländische Anhänger wegen fehlender Hotelkapazitäten in Dortmund verschlagen hatte. Insgesamt fast 100.000 Niederländer wollten irgendwie teilhaben, wie die „Elftal“ ein drittes Mal nach 1974 und 1988 ein Endspiel bei einem Turnier auf deutschem Boden erreicht.
Lob von Koeman für die niederländische Nationalmannschaft
Ronald Koeman wirkte zwar getroffen, aber nicht geschockt. „Wir haben gekämpft wie die Löwen“, sagte der Bondscoach. „Wir sollten stolz sein, weil wir in diesen Wochen viel erreicht haben, und ich werde mein Team nicht kritisieren.“ Dafür ist die Beziehung zwischen der Mannschaft und den Menschen wieder zu eng geworden – insbesondere das tiefe Tal mit den verpassten Teilnahmen der EM 2016 und WM 2018 ist endgültig überstanden.
Trotzdem stand dort, wo gemeinhin die „Gelbe Wand“ bei Heimspielen von Borussia Dortmund den Ton angibt, mit Schlusspfiff eine paralysierte Masse in Orange. Das Nachbarland hatte schwer an diesem Fußball-Abend zu knabbern, der mit dem Traumtor von Xavi Simons so schön begann, aber durch das späte Gegentor von Ollie Watkins bitter endete. „Sie haben ein zweites Tor geschossen und das war der Grund für unsere Niederlage“, sagte Koeman in Richtung der Engländer, denen der 61-Jährige artig gratulierte.
Felix Zwayer wird hart kritisiert
Der niederländische Nationaltrainer hätte vermutlich auch Schiedsrichter Felix Zwayer die Hand gegeben, der allerdings noch während Koemans Umarmung mit Kollege Gareth Southgate fast fluchtartig in die Kabine hastete. Ein Umstand, der einigen beim Verlierer mächtig auf den Geist ging. „Es sagt doch alles, dass er direkt in die Kabine rennt und keine Zeit hat, uns die Hand zu geben“, schimpfte Kapitän Virgil van Dijk. Der Abwehrchef beteiligte sich naturgemäß an der Debatte um den deutschen Referee, der im Zusammenspiel mit Videoassistent Bastian Dankert einen Elfmeter verhängte, den Harry Kane zum 1:1 nutzte (18.). Van Dijk hätte in dieser Szene, als sein Verteidigerkollege Denzel Dumfries kurz nach dem Schuss von Kane den Fuß des englischen Torjägers berührte, „keinen Elfmeter gegeben“, während der nachträglich mit Gelb verwarnte Verursacher Dumfries einräumte, „dass man Elfmeter geben kann“. Auf den Videowänden leuchtete zur Begründung für den VAR-Eingriff auf, der Einsatz sei „rücksichtslos“ gewesen.
Die Kardinalfrage lautete wieder einmal, wann der Videoassistent entscheidend einschreitet. Ohne Hinweis aus dem Leipziger Kontrollraum und ohne Studium in der Review-Arena hätte Zwayer nicht auf den Punkt gezeigt. Dass der 43-Jährige ausgerechnet wieder in Dortmund in den Fokus rückte, wirkte skurril. Im Dezember 2021 hatte ja mal der für den BVB spielende Engländer Jude Bellingham nach dem deutschen Bundesliga-Gipfel die Beteiligung des Berliners im Hoyzer-Skandal thematisiert.
Betrübte Schlussworte zum Abschied der Niederländer
Fern solcher Tiraden trug Koeman in der Pressekonferenz fachliche Kritik vor. „Er wollte den Ball blocken. Das zu bestrafen ist wie ihm zu sagen, dass wir nicht richtig Fußball spielen können.“ Das Unverständnis des früheren Weltklasse-Liberos richtete sich tendenziell gegen die Anwendungspraxis des Videobeweises: „Wir können nicht richtig Fußball spielen und das liegt am VAR. Er bricht den Fußball.“ Es war sein betrübtes Schlusswort zu einem auf vielen Ebenen gebrauchten Abend für die Niederlande.
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