Bemerkenswert war es, was sich da in der Nachspielzeit des Achtelfinals zwischen Deutschland und Dänemark im deutschen Strafraum zutrug. 2:0 stand es da schon und es sollte auch so bleiben. Dennoch war es ein Bild mit Symbolkraft, was da zu sehen war. Bei einer Hereingabe der bis zum Schluss kämpfenden Dänen gelangte der Ball zu Yannik Vestergaard. Dessen Schuss kam aber nicht aufs Tor, sondern prallte am eingesprungenen Antonio Rüdiger ab – weit weg aus dem Strafraum, rein in den Dortmunder Nachthimmel. Rüdiger blieb am Boden liegen, ballte die Fäuste und bejubelte seinen Block wie ein Tor. Das Signal war klar: An diesem Tag sollte kein Däne einen Treffer zu jubeln haben, das verhinderte der Abwehrboss höchstselbst.
Der 31-Jährige erklärte die Aktion später, als er als "Man of the match" in die Pressekonferenz kam, so: "Jeder weiß, dass ich ein emotionaler Spieler bin. Es war ein wichtiger Block und ich habe mich gefühlt, als ob ich ein Tor geschossen habe." Diese Emotion übertrug sich auf die Zuschauer: Rüdiger wurde für seine Aktion von den Fans im Stadion gefeiert, "Toni, Toni, Toni"-Rufe schallten durch die Dortmunder Arena. Der Funke, so scheint es, ist endgültig übergesprungen bei diesem Turnier. Nach dezenten Anmerkungen von Trainer und Mannschaft, wonach es in der Gruppenphase stellenweise zu ruhig gewesen war, war die Kulisse beim Achtelfinale von Beginn an da.
Nico Schlotterbeck über die Stimmung: "Das Stadion hat gebebt"
Fand auch Nico Schlotterbeck. Der Dortmunder, der in seinem Heimstadion erstmals unter Bundestrainer Nagelsmann wieder in der Startelf stand, sagte: "Wir hatten wahnsinnige Fans hinter uns, das Stadion hat gebebt." Tatsächlich gebebt hatte es nach einer guten halben Stunde, als ein heftiges Gewitter über Dortmund aufzog. Rund 20 Minuten musste die Partie angesichts von extremen Regenmassen, Blitzen und Hagelkörnern unterbrochen werden, bevor weitergespielt wurde. Bundestrainer Nagelsmann nutzte die zeit mit Videoanalysen.
Schon vor der Unterbrechung hätte seine Mannschaft längst in Führung liegen müssen, befand der Coach: "Die ersten 20 Minuten waren die besten des Turniers." In der Tat legte die DFB-Auswahl einen furiosen Start hin. Die beste, aber beileibe nicht die einige Chance gab es nach drei Minuten. Schlotterbeck hatte den Ball nach einer Ecke ins Tor geköpft. Weil Schiedsrichter Michael Oliver kurz davor einen Block von Joshua Kimmich gegen Skov Olsen als Foul gewertet hatte, wurde der Treffer ebenso zurückgenommen wie später die vermeintliche dänische Führung durch Joakim Andersen nach einer hauchzarten Abseitsentscheidung (48.). Eben jener Andersen brachte das Spiel fünf Minuten danach in eine andere Richtung: Nach einer Raum-Flanke gelangte die Hand des Dänen an den Ball. Havertz verwandelte den Handelfmeter (53.), Deutschland jubelte – und Musiala beseitigte gut 20 Minuten vor dem Ende die letzten Zweifel.
Der Viertelfinal-Einzug bringt jedem Spieler 100.000 Euro an Prämien
Die Nationalmannschaft lässt die Fans nun wieder vom großen Wurf träumen, und das nach Jahren der Tristesse. Acht Jahre lang konnte die DFB-Auswahl kein K.o.-Spiel bei einem großen Turnier gewinnen. Nun ist der dreimalige Europameister zurück in der Runde der letzten acht Mannschaften. Das lässt bei den Spielern die Kassen klingeln, 100.000 Euro sind jedem Kadermitglied der deutschen Mannschaft als Bonuszahlungen sicher. Der DFB wiederum hat von der Uefa festgesetzte Prämien in Höhe von 15,75 Millionen Suro sicher. Idealerweise sollen sich diese Zahlen aber jeweils noch ein bisschen erhöhen. DFB-Geschäftsführer Andreas Rettig hatte das Erreichen des Halbfinals als Ziel ausgegeben. Gewinnt Deutschland sogar den Titel, wären 400.000 Euro Prämie pro Spieler fällig und der DFB würde 27,75 Millionen Euro bekommen.
Nun steht aber erstmal das Viertelfinale an. Am Freitagabend um 18 Uhr soll die nächste Hürde genommen werden, für die DFB-Elf geht es wieder nach Stuttgart. Für Schlotterbeck eine besondere Stätte: "Ich bin fünf Kilometer entfernt vom Stadion aufgewachsen, ich freue mich riesig." Dass mit den Fans im Rücken gegen jeden Gegner etwas möglich ist – davon ist der Verteidiger spätestens nach dem Donnerwetter-Auftritt in Dortmund überzeugt: "Wir haben etwas ausgelöst. Wir spielen mit Euphorie, wir spielen mit Spaß. Das ist im Fußball das Schönste, das es gibt."
Deutschland: Neuer - Kimmich, Rüdiger, Schlotterbeck, Raum (81. Henrichs) - Andrich (64. Can), Kroos - Sané (88. Anton), Gündogan (64. Füllkrug), Musiala (81. Wirtz) - Havertz
Dänemark: Schmeichel - Andersen, Vestergaard, Christensen (81. Bruun Larsen) - Bah (81. Kristiansen), Delaney (69. Nørgaard), Höjbjerg, Eriksen, Mæhle - Skov Olsen (69. Poulsen), Höjlund (81. Wind)
Tore: 1:0 Havertz (53./Handelfmeter), 2:0 Musiala (68.) Schiedsrichter: Michael Oliver (England) Zuschauer: 61.612