18 Jahre sind eigentlich eine Ewigkeit. Doch es gibt Menschen, die verändern sich irgendwie kaum. „Am selben Ort, aber 18 Jahre später“, hat Portugals Nationalmannschaft den auf Instagram veröffentlichten Bilderbogen genannt, der Cristiano Ronaldo in der Vorbereitung auf die EM 2024 und die WM 2006 zeigt. Einmal in grünen Trainingsklamotten und rotem Leibchen auf dem Spielfeld am Ball, einmal in weißem Trikot mit Wasserflasche und Schienbeinschonern in den Händen an der Seitenlinie. Die Klammer ist nicht nur der Superstar, sondern der Schauplatz: Damals wie heute trainieren die Portugiesen im Heidewaldstadion von Gütersloh und residieren in Marienfeld in der Klosterpforte. Die Region hat mit der Seleção das große Los gezogen, denn abgesehen von Lionel Messi löst kein Fußballer mehr globale Aufmerksamkeit aus.
Eine Ikone, die nicht abtreten will. Ein Idol, das nicht loslassen kann. Seine sechste EM spielt der inzwischen in Saudi-Arabien noch fürstlicher als früher in England, Spanien oder Italien entlohnte Torjäger. Seine Aura, sein Anspruch, ja auch seine Arroganz haben CR7 zu einer Weltmarke gemacht, die nicht jeder mag – die aber jeder kennt. Vielleicht ist das sein Ziel, weil er so die Zeit über seinem Zenit – und das ist er mit 39 Jahren nun definitiv – bestens gestalten kann. Es wirkt wie ein Anachronismus, dass Portugals zeitlose Nummer 7 auch beim Auftaktspiel gegen Tschechien (Dienstag 21 Uhr/ARD und Magenta ) in der Anfangself steht.
Portugal setzt immer noch auf Cristiano Ronaldo
„Es gibt immer dieses Kribbeln im Bauch, besonders am Tag vor dem Spiel“, sagt er. „Ich bin froh, dass ich das spüre, denn wenn es mal weg ist, sollte ich lieber aufhören.“ Was kann einer in der Gegenwart noch leisten, der wie ein Relikt aus der Vergangenheit wirkt? Seine Kritiker bezeichnen ihn als Stehgeiger, seine Fans nennen ihn einen Unterschiedsspieler. Der Körper – davon zeugen seine in den sozialen Medien geteilten Bilder mit Frau und Kindern ausreichend – ist immer noch so gestählt wie früher, aber die Explosivität geht dem Egomanen ab. Dennoch baut der Anfang 2023 installierte Nationaltrainer Roberto Martinez, nach der WM 2022 in Katar bei Belgien gefeuert, fast schon bedingungslos auf den Torgaranten, der in sagenhaften 207 Länderspielen unglaubliche 130 Mal getroffen hat. Zehn Treffer waren es übrigens in der EM-Qualifikation. Der Spanier Martinez weiß überdies, dass sein Vorgänger Fernando Santos letztlich den Machtkampf verlor, als der Grieche es wagte, den fünfmaligen Weltfußballer bei der WM in Katar im Laufe des Turniers auf die Bank zu verbannen.
Auf der Insel Madeira groß geworden, jetzt in Saudi Arabien tätig
Im Umfeld des Leipziger Stadions wird Ronaldos Schriftzug auf vielen roten Nationaltrikots allgegenwärtig sein, denn seine Lebensleistung ist zu gigantisch, als dass seine Landsleute sich von ihm abwenden, nur weil der einst in bescheidenen Verhältnissen in Funchal auf der Insel Madeira groß gewordene Kicker einem schlecht beleumundeten saudischen Königshauses dient. Die Diaspora in Riad hat er selbst gewählt. Al-Nassr vermag nicht annähernd mit dem Niveau seiner früheren Klubs mithalten, aber dafür bezahlt dieser Arbeitgeber besser.
Doch Saudi-Arabien ist jetzt erst einmal weit weg. Überall hat Ronaldo hinausposaunt, was er in Deutschland mit Portugal erreichen möchte: „Wir treten mit der Hoffnung an, zu gewinnen.“ Bei seiner ersten EM 2004 ging er als 19-jähriger Jüngling enttäuscht an der Trophäe vorbei, getröstet von der Legende Eusebio, als die Portugiesen zuhause nicht nur das Eröffnungsspiel, sondern auch das Endspiel gegen Griechenland verloren. Zwölf Jahre später – 2008 war Portugal im Viertelfinale gegen Deutschland, 2012 im Halbfinale gegen Spanien im Elfmeterschießen ausgeschieden – sollte der Beau endlich den Cup in den Händen halten.
Stellt Ronaldo bei der EM einen weiteren Rekord auf?
Nach ganz viel Drama: Unter Tränen im Finale gegen den Gastgeber Frankreich früh ausgewechselt, nahm der Kapitän bald von außen mächtig Einfluss, feuerte so lange seine Mitstreiter an, bis ein gewisser Ederzito Antonio Macedo Lopes, kurz Eder – wer erinnert sich noch? – in der Verlängerung auch seine Sehnsucht stillte. Ein Titel im Nationalteam. Die Rekordejagd hat ihm überall und immerzu Beine gemacht. Er ist der beste EM-Torschütze aller Zeiten (14 Tore), der mit den meisten Spielen (25) und er könnte in Deutschland nun der Spieler werden, der als Erster nicht nur bei sechs Endrunden antritt, sondern auch trifft. Was dafür zu tun ist, hat er gerade in der ostwestfälischen Wohlfühloase kundgetan: „Rennen und hart arbeiten, Talent allein wird nicht ausreichen.“ Ein Superheld aus der Zeitmaschine vermutlich auch nicht.