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Europa League: Eintracht Frankfurts Coup sorgt für Jubelstürme in der Heimat

Europa League

Eintracht Frankfurts Coup sorgt für Jubelstürme in der Heimat

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    Die Spieler von Eintracht Frankfurt feiern mit dem Pokal nach der Partie.
    Die Spieler von Eintracht Frankfurt feiern mit dem Pokal nach der Partie. Foto: Arne Dedert, dpa

    Dragan Kandic ist mehr als nur der gute Geist vom Lichtluftbad im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen. Als Platzwart und Wirt, Multitalent und Seelsorger -  und in Coronazeiten natürlich auch als Hygienebeauftragter - hält das Unikum seit vielen Jahren Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammen, aber dass der gebürtige Serbe gegen Mitternacht plötzlich Freudensprünge gefühlt bis zum Himmel vollführt, hat der schnuckelige Tennisverein hoch über den Dächern der Mainmetropole auch noch nicht erlebt.

    Vor den Fernsehern auf der Terrasse spielte sich in dieser magischen Nacht nur ab, was überall geschah: Die Leute lagen sich in den Armen, die meisten schrien einfach ihre Freude hinaus, nicht wenige weinten aber auch vor Glück. Der Europa-League-Triumph von Eintracht Frankfurt mit 5:4 (1:1, 0:0) im Elfmeterschießen gegen die Glasgow Rangers versetzte naturgemäß auch seine Protagonisten in Sevilla in den Ausnahmezustand.

    Frankfurts Cheftrainer Oliver Glasner applaudiert nach dem gewonnenen Finale den mitgereisten Fans zu.
    Frankfurts Cheftrainer Oliver Glasner applaudiert nach dem gewonnenen Finale den mitgereisten Fans zu. Foto: Arne Dedert, dpa

    "Ich feiere jetzt bis Samstag durch – und am Sonntag gehe ich in den Urlaub", kündigte Trainer Oliver Glasner an. Der Österreicher hatte sich vor der Siegerehrung auf einen Diver durch das Spalier seiner freudetrunkenen Spieler begeben, die das für dieses große Ereignis eigentlich viel zu kleine Estadio Ramón Sánchez Pizjuán gar nicht verlassen wollten.

    Frankfurt-Coach Glasner will bis Samstag feiern

    Wie das Ensemble nach dem  Rückstand durch Rangers-Angreifer Joe Aribo (57.) in Person von Rafael Borré zurückkam (69.) und sich letztlich dank einer Elfmeterparade von Kevin Trapp gegen den Waliser Aaron Ramsey belohnte, sorgte für eine Explosion der Gefühle. Es dauerte nicht lange, da starteten in Frankfurt die ersten Autokorsos mit wilden Hupkonzerten und enthemmt feiernden Fans. Überall die schwarz-weißen Eintracht-Fahnen.

    Die Begeisterung für die launische Diva vom Main ist sprunghaft gewachsen, weil die Vereinsführung in jüngerer Vergangenheit ganz viel richtig und wenig falsch gemacht hat, um die Herzen der Menschen zu erreichen. Es kann kaum eine größere Anerkennung geben, wenn Schulkinder die gängigen Eintracht-Hymnen, von "Schwarz-weiß wie Schnee" bis hin zum "Im Herzen von Europa", längst in- und auswendig kennen. Niemand käme als Heranwachsender in Frankfurt gerade auf die Idee, Anhänger des FC Bayern oder von Borussia Dortmund zu werden – die Eintracht bietet alles, was ein Fußballfan, egal welchen Alters, welcher Nationalität, welchen Geschlechts, welcher Religion sich wünscht.

    Finanzchef Axel Hellmann gilt als Architekt des Erfolgs

    Der Verein, der kürzlich stolz sein 100.000 Mitglied begrüßte, strahlt seit geraumer Zeit wie ein Fixstern. Karl-Heinz Körbel, der mit 67 Jahren noch quietschfidele Markenbotschafter, Rekordspieler und Leiter der Eintracht-Fußballschule verweist zu Recht darauf, dass der besondere Spirit "nicht von heute auf morgen geboren, sondern in den letzten Jahren gewachsen ist". Die Eintracht hätte nie eine Finanzspritze eines solch sprunghaften Investors wie Lars Windhorst bei Hertha BSC angenommen – solche Erfahrungen hat Frankfurt längst hinter sich. Mit der gekrönten Traumreise durch Europa ist ein Lehrstück aufgeführt, dass Klubs aus dem gehobenen Mittelstand mit Bordmitteln noch "Grenzen verschieben können", wie Vorstandssprecher Axel Hellmann zuvor gemutmaßt hatte.

    Lobte die jünsten Entscheidungen zur Reform der Champions League: Axel Hellmann.
    Lobte die jünsten Entscheidungen zur Reform der Champions League: Axel Hellmann. Foto: Arne Dedert, dpa (Archivbild)

    Er ist hinter den Kulissen einer der Baumeister dieser sagenhaften Erfolgsgeschichte – der Jurist war treibende Kraft, den Klub nach dem soliden Mittelmaß der Heribert-Bruchhagen-Ära mit mehr Fantasie und ein bisschen mehr Risiko auszustatten. Hellmann verweist zu Recht darauf, dass es sich mit dem Cup-Gewinn 42 Jahre nach dem Triumph im alten UEFA-Pokal eben nicht um ein Zufallsprodukt handelt. "Wir waren in den vergangenen sechs Jahren fünf Mal in einem Halbfinale des DFB-Pokals oder der Europa League."

    Sebastian Rode spielte mit einer Platzwunde am Kopf

    Doch letztlich geht dann doch nichts über einen Titel. "Es wird ein paar Jahre dauern, bis einem die Tragweite bewusst wird", mutmaßte Mittelfeldkämpfer Sebastian Rode. Der wegen einer klaffende Platzwunde am Kopf früh mit einem Turban versehene Kapitän fährt an Sonntagen mit der Familie gern an den Goetheturm, um den Ausblick auf die Skyline zu genießen – nun sind nach dem mit Blut, Schweiß und Tränen getränkten Europapokalsieg die Perspektiven seines Arbeitgebers ähnlich prächtig. Die Adlerträger kommen ins Geschichtsbuch des deutschen Fußballs. Ein Vierteljahrhundert nach dem UEFA-Pokal-Coup des FC Schalke 04 hat die Bundesliga tatsächlich noch einmal neue Helden in einem lange geringgeschätzten Wettbewerb hervorgebracht.

    Umgehend verneigten sich fast alle Würdenträger  des deutschen Fußballs vor der Eintracht. Bundestrainer Hansi Flick lobte eine "herausragende Leistung". Kollege Glasner und sein Trainerteam hätten "großartige Arbeit" vollbracht "und mit ihrem offensiven, leidenschaftlichen Fußball nicht nur die vielen Fans von Eintracht Frankfurt mitgerissen." Man könne Verein, Fans, Mannschaft, Trainer und Manager nur beglückwünschen, "das tut dem deutschen Fußball gut".

    Spielte nach einem Zusammenprall fast das komplette Spiel mit Turban und das souverän: Sebastian Rode.
    Spielte nach einem Zusammenprall fast das komplette Spiel mit Turban und das souverän: Sebastian Rode. Foto: Arne Dedert, dpa

    Dass "nicht einer der üblichen Verdächtigen"  (Hellmann) erstmals die Europa League gewinnt, beschert der Bundesliga noch einen fünften Champions-League-Teilnehmer. Zwar ordnet sich Frankfurt wirtschaftlich weiter klar hinter Bayern, Dortmund, Leipzig oder Leverkusen ein, aber Wolfsburg, Gladbach oder Hoffenheim muss man nicht mehr fürchten. In der Königsklasse ist die Eintracht sogar als  Gruppenkopf gesetzt. Die Fortsetzung der internationalen Festspiele erleichtert dem fleißigen Sportvorstand Markus Krösche ("das hilft uns extrem für die Zukunft") so manches Gespräch mit Akteuren und Agenten. Selbst wenn einige Champions-League-Kaliber eine Nummer zu groß sein sollten, ist das Überwintern als Gruppendritter in der Europa League– der natürlichen Heimat der Eintracht – in der WM-Saison allemal drin.

    Gegen Liverpool oder Real geht es um den Supercup

    Erst einmal aber steht die nächste Pilgerfahrt nach Helsinki an, weil dort am 10. August das Finale um den Supercup entweder gegen den FC Liverpool oder Real Madrid steigt. Bis dahin will der Klub die Verträge mit Europa-League-Helden wie Filip Kostic, Daichi Kamada oder Even Ndicka verlängert haben, die ansonsten unweigerlich auf der Verkaufsliste gestanden hätten. Verstärkungen in allen Mannschaftsteilen sind zwar nötig, trotz allem will sich der Verein aber treu bleiben.

    Frankfurts Präsident Peter Fischer küsst die Trophäe.
    Frankfurts Präsident Peter Fischer küsst die Trophäe. Foto: Arne Dedert/dpa

    Präsident Fischer kündigte keine Einkaufstour an

    "Wir gehen jetzt nicht groß einkaufen, weil wir uns einmal für die Champions League qualifiziert haben", versprach Präsident Peter Fischer in einem nüchternen Moment. Ansonsten war auch das heisere Sprachrohr der Eintracht nicht mehr zu halten: "Das ist der größte Moment der Vereinsgeschichte. Deshalb bin ich ein monsterstolzer Präsident. Heute geht nur freuen, feiern, diesen verdammten Pokal nach Frankfurt bringen." Das "elendige Miststück", wie das Vereinsoberhaupt die Trophäe in seinem Überschwang titulierte, gehöre eben einfach in eine Stadt wie Frankfurt. Zu Menschen wie Dragan Kandic, die der Klebstoff der Gesellschaft sind.

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