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Fußball: Box, Schienenspieler und Co: Das ist doch alles sprachlicher Unfug

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Box, Schienenspieler und Co: Das ist doch alles sprachlicher Unfug

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    Otto Rehhagel führte den 1. FC Kaiserslautern zur Meisterschaft und die griechische Nationalmannschaft zum EM-Titel. Ganz ohne Schienenspieler und Pressinglinien.
    Otto Rehhagel führte den 1. FC Kaiserslautern zur Meisterschaft und die griechische Nationalmannschaft zum EM-Titel. Ganz ohne Schienenspieler und Pressinglinien. Foto: Jan Nienheysen, dpa

    Fußball ist ein kommunikativer Sport. Muss ja nicht immer ein wohlfeiler Dialog sein. Manchmal reichen nonverbale Signale, um seine Meinung zu verdeutlichen. Otto Rehhagel beispielsweise steckte sich lediglich den kleinen Finger in den Mund, pustete – und aufgrund des entstehenden Pfiffs wussten sämtliche Spieler, wie sie sich nun zu verhalten hatten. Eine wahrlich königliche Gabe.

    Erich Rutemöller hingegen musste tatsächlich reden, um sich verständlich zu machen. Ihm reichten allerdings drei Worte, um sich einen Platz im Kanon des deutschen Fußballs zu sichern. "Mach et, Otze." Otze machte und sorgte für einen Präzedingsbumsfall der deutschen Rechtsprechung.

    Domenico Tedesco gleitet häufiger in unnötige Fachterminologie ab.
    Domenico Tedesco gleitet häufiger in unnötige Fachterminologie ab. Foto: Jan Woitas, dpa

    Die Kommunikation auf dem Feld ist unmittelbar. Lange Zeit galt der Grundsatz: Deutlich oder gar nicht. Vorbei. Die Tedescoisierung des Fußballs hat schon vor langer Zeit eingesetzt. Mit der Rückkehr des Leipziger Trainers in die Bundesliga werden Spieler und Fans aber zusätzlich gefordert. Journalisten und Journalistinnen sind ausgenommen. Die glauben sowieso, alles zu verstehen.

    Sprache verändert sich. Walter von der Vogelweide würde sich heute schwertun, die theoretische Führerscheinprüfung zu bestehen (was möglicherweise auch damit zu tun hat, dass der Mittelalter-Poet eher im Kutschefahren geübt war). Unverständlich alles. Weil sich die Sprache über die Jahrhunderte entwickelt hat. Im Fußball aber fallen sinnvolle Begriffe der Pseudoakademisierung zum Opfer.

    Ein planloser Hieb wird zum taktischen Konzept

    Wo es früher hieß, dass der Mittelstürmer den Ball geschickt abschirmt, wird heute die Kugel vom Zielspieler festgemacht. Ein simpler Befreiungsschlag wird nicht mehr als das benannt, was er ist, sondern als Mittel der Wahl, die vordere Pressinglinie zu überspielen. Mit Spielen hat der planlose Hieb in die gegnerische Hälfte nur selten etwas zu tun, klingt aber nach einer zugrunde liegenden Strategie.

    Eine mögliche Ausrichtung ist ja tatsächlich, über die Flügel zum Erfolg zu kommen. Wahlweise durch Spieler der Marke Franck Ribéry, die früher der Gattung der Flügelflitzer zuzuordnen waren oder aber durch beherzte Außenverteidiger wie weiland Manni Kaltz oder die personifizierte Halbfeldflanke Willy Sagnol. Die waren oftmals schlicht zu faul oder unbegabt (oder beides), um sich der Torauslinie zu nähern und traten den Ball in den Strafraum, auf dass dort Horst Hrubesch oder Michael Ballack ihren Schädel in die Flugbahn hielten. Gelang das, firmierten die Vorlagengeber schnell als Flankengötter. Kennt das Fußball-Wörterbuch heute nicht mehr. Dafür: Schienenspieler. Die Art Akteur also, die an der Seitenlinie klebt und aus gutem Grund vom Trainer den Auftrag bekommen hat, sich bloß nicht dem Strafraum zu nähern. Wobei Nagelsmann und Co. den Raum rund um das Tor auch nicht mehr als 16er oder Strafraum bezeichnen. Die Fläche wird nur noch Box genannt. Man muss kein antiquierter Sprachschützer sein, um das vollkommen dämlich zu finden. Box. Wie so ein Schuhkarton. Oder der Name einer Shisha-Bar. Die Mittelfeldspieler, die sich während des Spiels zwischen den gegenüberliegenden 16ern aufhalten sind dementsprechen Box-to-Box-Spieler. Leon Goretzka beispielsweise.

    Joshua Kimmich ist ziemlich vielseitig einsetzbar. Oder auch: polyvalent.
    Joshua Kimmich ist ziemlich vielseitig einsetzbar. Oder auch: polyvalent. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Dessen Mannschaftskameraden Joshua Kimmich hätte man früher noch als vielseitig bezeichnet. Schließlich hat er im Verlauf seiner Karriere beachtliche Leistungen im Mittelfeld und in der Innen- sowie Außenverteidigung gezeigt. Der Trainer von heute aber nennt die Fähigkeit, sich überall auf dem Feld wohl zu fühlen, polyvalent.

    Kann dann schon mal vorkommen, dass der polyvalente Schienenspieler die erste Pressinglinie überspielt, auf dass der Zielspieler den Ball festmache. Gelingt das nicht, gilt es, sich den Abpraller anzueignen, oder um es trainerdeutsch zu sagen, den zweiten Ball zu sichern.

    Wer den Fußball heute verstehen will, sollte sich außerdem im Klaren sein, dass Aufdrehen nichts mit der getunten Musikanlage des Zielspielers zu tun hat (sondern, sich mit dem Rücken zum Tor stehend mit dem Ball in Richtung Tor dreht).

    Mit dem Libero verschwand leider auch die Abseitsfalle

    Andere Vokabeln sind gleich vollständig aus dem Sprachgebrauch entschwunden. Der Ausputzer wird vielleicht noch in der Kabine benötigt, nicht mehr aber auf dem Feld. Mit Dreier- und Viererkette starb nicht nur der Libero aus, sondern auch der oft witzige Versuch einer Abseitsfalle. Gelang es, den Gegner dort hinein zu locken, war von einer zuschnappenden die Rede, allzu oft aber versagte sie allerdings auf humorige Art und Weise.

    Mit dem Libero verabschiedete sich auch eine weitere Gattung vom saftigen Grün der größten Arenen in die morastigen Biotope der Kreisklasse: der Spielmacher. Spieler, die zu klein für ihr Gewicht waren, aber über die Gabe verfügten, den Ball zu dressieren, gestalteten vom Mittelkreis aus das Spiel ihrer Mannschaft. Auf verpatzte Annahmen ihrer genialen Pässe reagierten sie mit resignierendem Abwinken. Zweikämpfe empfanden sie berechtigterweise als niveauloses Gerangel, ihres fürstlichen Auftritts unwürdig. Der Abschied des Spielmachers ist ein Abschied von der Kunst. Kein Alpen-, Karpaten- oder Bosporus-Maradona mehr, der sich ausschließlich der Schönheit des Spiels verpflichtet fühlt.

    DFB-Schiedsrichter Sven Jablonski wurde sicher schon als "Schieber" bezeichnet - aber wohl noch nie ans Telefon gerufen.
    DFB-Schiedsrichter Sven Jablonski wurde sicher schon als "Schieber" bezeichnet - aber wohl noch nie ans Telefon gerufen. Foto: David Inderlied, dpa

    Wohl auch, weil den Trainern nun mehr daran gelegen ist, die Seiten zu überladen. Womit nichts anderes gemeint ist, als eine Überzahl in der Nähe des Balles herzustellen. Derart profanen Überlegungen ist kein Künstler gewillt zu folgen.

    Gleichwohl spielen auch die Fans eine maßgebliche Rolle beim Verschwinden einst gängiger Begrifflichkeiten. Schallte es früher von den Rängen "Schiri, Telefon", wusste der Unparteiische sogleich, dass er kurz zuvor auf der Leitung gestanden hatte. Übersah der Schiedsrichter erhebliches Unrecht, machten ihn die Zuschauer darauf aufmerksam, dass sie sehr wohl wüssten, wo sein Auto stehe und er möglicherweise den Heimweg besser mit Bus und Bahn antreten solle. Heute nur noch humorloses: "Schieber, Schieber." Dabei haben die der überparteilichkeit verpflichtenden Frauen und Männer zwischen all den Boxen, Pressinglinien, zielvalenten Polyschienenspielern aber auch ein schweres Leben. Man sehnt sich zurück ins Kaiserreich Franz des Einzigartigen: "Geht’s raus und spielt’s Fußball."

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