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Fußball: Auswärtstor-Regel ist abgeschafft: Neue Regeln für Fußballwunder

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Auswärtstor-Regel ist abgeschafft: Neue Regeln für Fußballwunder

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    Im November 1991 spielte sich eines von vielen Dramen ab, das auf die Auswärtstor-Regel zurückgeht: Der 1. FC Kaiserslautern führt bis zur 90. Minute 3:0 gegen Barcelona. In der Nachspielzeit gelang den Katalanen das 1:3. Nach dem 0:2 des FCK im Hinspiel sind die Pfälzer raus. Heute würde es Verlängerung geben.            
    Im November 1991 spielte sich eines von vielen Dramen ab, das auf die Auswärtstor-Regel zurückgeht: Der 1. FC Kaiserslautern führt bis zur 90. Minute 3:0 gegen Barcelona. In der Nachspielzeit gelang den Katalanen das 1:3. Nach dem 0:2 des FCK im Hinspiel sind die Pfälzer raus. Heute würde es Verlängerung geben.             Foto: Uwe Speck, Witters

    Es ist nicht erforscht, für wie viele Nervenzusammenbrüche sie in den Sportredaktionen dieser Welt gesorgt hat. Fakt ist aber, dass sie die Uefa im vergangenen Sommer relativ geräuschlos zu Grabe getragen hat: die Auswärtstor-Regel im Fußball. 56 Jahre lang entschied sie bei internationalen K.-o.-Spielen darüber, welche Mannschaft weiterkommt, falls beide Vereine nach Hin- und Rückspiel gleich viele Tore erzielt haben: nämlich das Team, das mehr Auswärtstore erzielt hat.

    Das wurde – je nachdem, welchen Farben man die Treue hält – als himmelschreiende Ungerechtigkeit oder als Regelwerk, das halt eben so ist, betrachtet. Doch jetzt ist Schluss damit: Künftig gibt es bei Torgleichstand Verlängerung.

    Erstmals zur Anwendung kommen könnte das an diesem Donnerstag in den K.-o.-Spielen der Europa League. Für die Borussia aus Dortmund etwa, die das Hinspiel gegen die Glasgow Rangers mit 2:4 verloren hat, bedeutet das: Ein 2:0 nach 90 Minuten würde für den BVB diesmal die Verlängerung bedeuten und nicht das Ausscheiden. Ein Europacup-Aus wegen der geringeren Anzahl an Auswärtstoren – es war jedes Mal ein großes Drama.

    Als Barcelona auf dem Betzenberg traf, schwor Wanja Greuel Rache

    Eines dieser Dramen trug sich vor über 30 Jahren in der Pfalz zu und gab den Ausschlag, dass die Regel nun gekippt wurde. Im November 1991 empfing der 1. FC Kaiserslautern als deutscher Meister den FC Barcelona im Europapokal der Landesmeister, dem Vorläufer der heutigen Champions League. Das Hinspiel in Spanien hatte der FCK mit 0:2 verloren (der aufmerksame Leser bemerkt schon: kein Auswärtstor!) und musste diesen Rückstand nun auf dem Betzenberg wettmachen. Bis in die Nachspielzeit führte Lautern tatsächlich mit 3:0 – bis Sekunden vor Schluss Jose Mari Bakero das 1:3 erzielte. Die roten Teufel war ausgeschieden. Und ein damals 14-jähriger FCK-Fan schwor Rache: Wanja Greuel. Der Teenager schrieb seitenweise Leserbriefe, um die Regel aus der Welt zu schaffen.

    Er war 1991 als Fan am Betzenberg und kippte nun die Auswärtstor-Regel: Wanja Greuel, Geschäftsführer des Schweizer Clubs Young Boys Bern.
    Er war 1991 als Fan am Betzenberg und kippte nun die Auswärtstor-Regel: Wanja Greuel, Geschäftsführer des Schweizer Clubs Young Boys Bern. Foto: Pius Koller, Imago

    Im Jahr 2022 ist aus dem Dauerkarteninhaber von damals der Manager des Schweizer Fußballmeisters Young Boys Bern geworden. Zudem ist der 44-Jährige Mitglied im Vorstand der Europäischen Vereinsvertretung ECA. Nach seiner Wahl in das Gremium im Jahr 2019 ging Greuel das Thema an, setzte es auf die Agenda. Ob er derjenige war, der die Regel kippte? So weit möchte er zwar nicht gehen, wie er gegenüber Spox sagte: "Aber ich wage zu behaupten, dass ich den entscheidenden Stein mit meinem Antrag ins Rollen gebracht habe. Die Regel wäre wahrscheinlich auch irgendwann ohne mich gefallen, aber nicht jetzt schon."

    Tatsächlich gab es bereits seit Jahren Kritik an dem Passus, den die Uefa 1965 ins Leben gerufen hatte. Bis dahin hatte es bei Torgleichheit ein Entscheidungsspiel gegeben, mit anschließender Verlängerung und ohne Elfmeterschießen. Als besonders bitter gilt bis heute das Aus des 1. FC Köln im Viertelfinale des Landesmeisterpokals gegen den FC Liverpool. Im Frühjahr 1965 enden Hin- und Rückspiel remis, das Entscheidungsspiel in Rotterdam endet nach Verlängerung 2:2. Was dann folgte, ging als "Münzwurf von Rotterdam" in die Geschichte ein: Der Schiedsrichter warf, umringt von Spielern und Journalisten, eine Holzscheibe. Weil sie beim ersten Wurf senkrecht im Matsch stecken blieb, musste sogar dieser Wurf wiederholt werden. Erst beim zweiten Mal entschied das Los zugunsten der Engländer.

    Als die Uefa die Regel einführte, war die Fußball-Welt eine andere

    Weil sich eine derartige Ungerechtigkeit nicht wiederholen sollte und das Elfmeterschießen noch nicht erfunden war, führte die Uefa einen Passus ein, mit dem der Nachteil des Gästeteams ausgeglichen werden sollte: die Auswärtstor-Regel. Denn in den 60er Jahren war es tatsächlich noch eine Plagerei, international in der Fremde ran zu müssen. Die Reisen waren oft strapaziös, weder Bälle noch Spielfeld waren genormt. Im Laufe der Zeit änderte sich das jedoch: Die Bedingungen sind heute in jedem Stadion Europas gleich, geflogen wird meist in gecharterten Maschinen, die Teams reisen frühzeitig an und übernachten in Sternehotels.

    Tatsächlich belegen die Zahlen der Uefa, dass der vermeintliche Heimvorteil seit Einführung der Regel immer weiter geschrumpft ist. Gingen im Jahr 1980 noch über 60 Prozent der Begegnungen im Landesmeisterpokal mit einem Heimsieg aus, waren es zuletzt in der Champions League nur noch rund 40 Prozent. Schon bevor infolge der Corona-Pandemie die Fans ausgeschlossen und damit die Anfeuerung der Heimfans eliminiert wurde, hatten sich Heim- und Auswärtstore immer mehr angeglichen.

    Entfesselter Jubel beim FC Bayern: Bayern-Keeper Oliver Kahn nach dem 3:3 gegen Getafe inmitten von van Bommel und Lahm.
    Entfesselter Jubel beim FC Bayern: Bayern-Keeper Oliver Kahn nach dem 3:3 gegen Getafe inmitten von van Bommel und Lahm. Foto: Witters

    Der FC Bayern und die Wahnsinns-Aufholjagd von Getafe

    Was blieb, war eine Regel aus den 60er Jahren, die in der Fremde erzielte Treffer wertvoller stellte als Heimtore. Das war vielleicht nicht gerecht, aber gut für die Spannung. Wer 1994 das verzweifelte Anrennen des Karlsruher SC im Uefa-Cup-Halbfinale gegen Casino Salzburg gesehen hat (der KSC spielte nach einem 0:0 in Österreich 1:1 im Wildpark und schied aus), wird es ebensowenig vergessen wie die wahnsinnige Aufholjagd des FC Bayern gegen den FC Getafe im Jahr 2008. Die Münchner lagen in der Verlängerung gegen die Spanier mit 1:3 zurück und brauchten noch zwei Tore. Die fielen dann tatsächlich noch – in der 115. und 120. Spielminute. Also das, was gemeinhin als Fußball-Wunder bezeichnet wird.

    Der damalige Keeper Oliver Kahn, der das 3:3 mit völlig entglittenen Gesichtszügen bejubelt und seinem Mitspieler Mark van Bommel beinahe die Nase gebrochen hätte, kommentierte das nach Abpfiff wie folgt: "In zehn Jahren werden wir uns nicht über Barcelona oder ManU unterhalten, sondern über Getafe." Andere Spielausgänge waren dank der Auswärtstor-Regel weniger spektakulär, dafür aber erkennbar absurd. Wie etwa das Champions-League-Halbfinale zwischen AC und Inter Mailand 2003. Hin- und Rückspiel fanden beide im Giuseppe-Meazza-Stadion statt und endeten 0:0 sowie 1:1. Weiter kam damals der AC Milan.

    Auch in der deutschen Relegation ist die Regel gekippt

    Wanja Greuel wird am Donnerstag wohl mit Genugtuung die Europa League verfolgen. Sein 1. FC Kaiserslautern ist da zwar schon lange nicht mehr dabei. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass auch die Pfälzer bald eine Partie bestreiten, in der die neue Regel zum Einsatz kommt. Denn auch in den deutschen Relegationsspielen werden Auswärtstore erstmals nicht mehr besonders gewertet. Kaiserslautern steht derzeit auf Rang zwei in der 3. Liga und hat zwei Punkte Vorsprung vor Relegationsrang drei.

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