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Fritz Sörgel zu Freispruch für Jannik Sinner: Ungeheuerliche Vorgänge im Tennis

Gastbeitrag

Ungeheuerliche Vorgänge im Tennis

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    Doping? Welches Doping? Jannik Sinner gewann souverän die US Open und führt die Weltrangliste an.
    Doping? Welches Doping? Jannik Sinner gewann souverän die US Open und führt die Weltrangliste an. Foto: Julia Nikhinson, AP/dpa

    Jannik Sinner hat die US Open überzeugend gewonnen, ein neuer Stern zieht auf, wird ja auch Zeit. Federer, Djokovic und Nadal werden bald Tennisgeschichte sein. Neue Helden braucht das Land. Tennis ist ein Milliardengeschäft, da darf keine Lücke entstehen. Jannik Sinner und Carlos Alcaraz stehen als Nachfolger bereit. Und jetzt soll Sinner wegen eines Dopingvergehens vier Jahre ausfallen? Unvorstellbar und selbst die übliche Verkürzung von Strafen im Tennis auf ein paar Monate – undenkbar.

    Es geht hier gar nicht so sehr um die Frage, ob Sinner sich wissentlich mit dem Spray über den ganzen Körper einschmieren ließ oder der Masseur es ihm nicht sagte, was er da für ein Spray verwendete. Oder ob von dem verletzten kleinen Finger des Masseurs so viel Clostebol den Weg in den Körper Sinners fand, dass im Labor die Analysegeräte ausschlugen. Warum behandelte der Masseur seine Schnittverletzung nicht mit normalen Salben, sondern mit einem Spray, das eine hohe Menge eines Anabolikums enthält? Clostebol ist in keinem anderen Land außer Italien (die üblichen Dopingquellenländer ausgenommen) ohne Rezept erhältlich und hat niemals wissenschaftlich den Beweis angetreten, dass es dem Heilungsprozess bei Schnittwunden hilft.

    Jeder Athlet ist für sich selbst verantwortlich

    Clostebol, ein viel schwächeres Anabolikum als das berühmt-berüchtigte Stanozolol (das Ben Johnsons einst zum Verhängnis wurde), besticht durch einen besonders guten und schnellen Eintritt in den Körper über die Haut. Die Standard-Antwort der Anwälte der Sportler, bei denen geringe Mengen im Urin gefunden wird („Das kann doch gar keine Wirkung gehabt haben.“), überzeugt einen Pharmakologen nicht. Und die Frage stellt sich auch nicht, denn es gilt die „strict liability“. Jeder ist selbst dafür verantwortlich, was sich in seinem Körper befindet.

    Clostebol hat also die Fähigkeit, schnell über die Haut in die verletzten Muskelpartien zu kommen und dort eine Wirkung zu erzielen, die der Regeneration nach hartem Training und Wettkampf dient. Und das ist auch der Grund, warum es viele Sportler, die für die Ausübung ihres Sportes keine großen Muskelpakete brauchen, einnehmen: Es verbessert die Erholung und ist auch vor einem Wettkampf hilfreich.

    Sinner wurde innerhalb von 24 Stunden freigesprochen

    Unabhängig von der Frage, was in den Massageräumen von Indian Wells und anderen passiert ist, hätte der Veranstalter oder der Verband den Vorfall an die Anti-Doping Agentur in Italien melden müssen. Die hätte eine provisorische Sperre veranlassen müssen. Passiert ist etwas anderes: Freispruch innerhalb von 24 Stunden und das gleich zweimal, da nach einer Woche noch einmal ein positiver Test vorlag. Die Geschwindigkeit, mit der der positive Dopingbefund Sinners wieder aufgehoben wurde, ist bei einer Spitzensportart bisher nicht vorgekommen - und wenn doch, wurde das geschickt vertuscht.

    Nach den Freisprüchen im April, dem Verlust der Gewinngelder und der Punkte für die Weltrangliste merkte der Tennisverband offenbar, dass es eng werden könnte, wenn die Öffentlichkeit davon erfährt. Und es dauerte dann auch bis zum 19. August, also fünf Monate, bis der Skandal überhaupt bekannt wurde.

    Fall Jannik Sinner: Eine neue Anti-Doping-Kommission wurde ad-hoc installiert

    Die Akteure im Verantwortungsbereich Tennis sind: Die ITIA (International Tennis Integrity Agency) mit dem Credo: „Tennis you can trust.“ TADP (Tennis Anti-Doping Programme). Die Italienische Antidoping-Agentur (Nado Italia). Eine Anwaltsfirma für, sagen wir mal „Sportunfälle“ wie Doping, beheimatet in London, die sich folgerichtig „Sport Resolution“ nennt. Diese trat in eine Art Schaukampf, man nennt so etwas gelegentlich auch Schiedsgericht, ein. Als Gegner in diesem Schaukampf traten die ITIA und eine „Anti Doping Kommission“ auf. Ich habe nie von dieser Kommission gehört, klingt aber für den Laien gut und wurde ad-hoc installiert. Diese „Anti-Doping Kommission“ wiederum beschäftigte Experten der Wada, die bestätigten, dass im Fall Sinner kein Verstoß vorliege. Fall „resolved“, die Rechnung von Sport Solution kann rausgehen.

    Wohl gemerkt: Diese Herren, die letztlich für den Freispruch durch die „Richter“ verantwortlich waren, waren nicht im Auftrage der Wada tätig. Die Wada und die italienische Nado kamen in dem Schriftstück zum Freispruch vom 19. August kein einziges Mal vor. Wie am Ende des Dokumentes zu lesen ist, könne gegen den Beschluss dieses Scheingerichtes beim Cas Einspruch erhoben werden. Dafür gab es eine Frist von 21 Tagen ab dem 19. August. Weder die italienische Anti-Doping Agentur noch die Wada erhoben innerhalb dieser Frist Einspruch, wie es ihre Pflicht gewesen wäre, und Sinner flog - nach New York.

    Wenn diese ungeheuerlichen Vorgänge folgenlos für die Wada und ihre nationale Agentur in Italien bleiben, dann hat der Tennissport bei den Spielen in Los Angeles nichts verloren und die Wada (speziell nach dem ganzen China-Desaster) in der jetzigen Form kann so nicht weiter existieren. Die Initiative zu so einem Schritt müsste nun durch das IOC und Thomas Bach erfolgen.

    Der Doping-Experte Fritz Sörgel stellt Tennis bei Olympia infrage.
    Der Doping-Experte Fritz Sörgel stellt Tennis bei Olympia infrage. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Zur Person

    Fritz Sörgel, Professor für Pharmakologie, ist Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Heroldsberg. Der 74-Jährige ist einer der führenden Doping-Experten Deutschlands.

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