Als die deutschen Fußballerinnen mit dem Bus auf der nördlichen Seite des Yarra-Ufers zwischen wolkenverhangenen Hochhäusern in den Melbourne Park abbogen, bot sich trotz des trüben Wetters ein imposanter Anblick: Das Flutlicht in der riesigen Schüssel des Melbourne Cricket Ground strahlte, die Tennis-Spielstätten der Australian Open mit der Rod Laver Arena lagen erhaben da, während in der John Cain Arena eine A-League-Partie der Kicker des Melbourne City FC lief. Der Bus hat das deutsche Frauen-Nationalteams dann fürs Abschlusstraining in den Albert Park gebracht, wo auch die Formel 1 einmal im Jahr einen Grand Prix austrägt. Die DFB-Frauen bestreiten ihr erstes WM-Gruppenspiel gegen Marokko (Montag 10.30 Uhr MESZ/ZDF) im Rectangular Stadium, das sich fast bescheiden in dieses opulente Areal für den Spitzensport schmiegt.
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg gab für die offensiv formulierte Titelmission eine simple Sehnsucht aus, um eine erste Duftmarke bei diesem Turnier zu hinterlassen. Möge man bei der WM „hoffentlich wiederholen, was uns bei der EM ausgezeichnet hat“. Wer es vielleicht vergessen hat: ein Ensemble, das „aggressiv, intensiv und attraktiv“ agiert, einen „mutigen, selbstbewussten, aktiven Fußball spielt“. Die gute Kaderqualität, so ihr Argument, gebe das her. Trotz aller Lebenserfahrung war der 55-Jährigen einige Anspannung anzumerken: Dafür verlief das Länderspieljahr zu durchwachsen, dafür fehlen vermutlich zu wichtige Spielerinnen.
Deutschland-Trainerin Voss-Tecklenburg lässt sich vor dem Marokko-Spiel nicht in die Karten blicken
Die im schwarzen Blazer und beiger Bluse zur Pressekonferenz erschienene Fußballlehrerin war nicht ansatzweise bereit, die möglichen Ausfälle von Marina Hegering (Fersenprellung), Lena Oberdorf (Oberschenkel) und Sjoeke Nüsken (Bänderdehnung) zu bestätigen. „Ich kann nur sagen, es werden alle Spielerinnen im Kader sein“, lautete ihre dürftige Auskunft. Es soll keine Akteurin auflaufen, bei der ein Restrisiko besteht. „Alles andere wäre nicht schlau – wir wollen mehr als nur ein Spiel machen.“ Die als 24. Kaderkraft nominierte Janina Minge soll nach der Marokko-Partie zurückreisen, weil der DFB-Kader nun endgültig ist.
Die Trainerin kennt ihren Großauftrag bei diesem Event. „Wir wollen wie im letzten Jahr, eigentlich wie immer, die Menschen mitnehmen, emotionalisieren.“ Gerne auch: Lächeln schenken, Werte darstellen. Erwartungshaltung und Aufmerksamkeit sind ungleich größer als zur WM 2019, nachdem sie erst ein halbes Jahr zuvor das DFB-Amt angetreten hatte. Jene Frankreich-Erfahrung begann mit einem schwer erkämpften (und wegen des Zehenbruchs von Dzsenifer Marozsán teuer erkauften) 1:0 gegen China. Ein solch zähes Ringen mit körperlichen Grenzerfahrungen kann es jetzt gegen die Nordafrikanerinnen werden. „Wir erwarten einen sehr hartnäckigen Gegner, einen Gegner, der alles auf dem Platz lassen wird.“
Auch die WM-Favoriten müssen kämpfen
Am stärksten wirkte die Bundestrainerin mal wieder bei ihren überwölbenden Botschaften. Der Weltmeister USA (3:0 gegen Vietnam), Europameister England (1:0 gegen Haiti) oder Weltranglistendritter Schweden (2:1 gegen Südafrika) hätten sich am Wochenende nicht zufällig vergleichsweise schwergetan. „Wenn man den Auftakt dieser WM gesehen hat, trifft genau das ein, was wir gesagt haben: Die ganze Welt im Frauenfußball ist enger zusammengerückt.“ Sie erklärt sich das übrigens so: weil mehr Spielerinnen die Möglichkeit hätten, „den Beruf der Fußballerin zu ergreifen, ihren Sport zu leben und lieben“. Nun sei eine solche WM eine viel größere Herausforderung „als vor 20, 30 Jahren, als ich noch spielen durfte“.
Und noch 2015 in Kanada war die Generation um Nadine Angerer, Annike Krahn oder Simone Laudehr im ersten WM-Spiel auf die Elfenbeinküste getroffen, doch das von Silvia Neid trainierte Ensemble spielte in Ottawa auf Kunstrasen Katz und Maus mit heillos überforderten Afrikanerinnen. Am Ende hieß es 10:0. Heutzutage gebe es keine Selbstläufer mehr, betonte Voss-Tecklenburg. Gleichwohl: Ein Sieg gegen den Fifa-Weltranglisten-72. muss Pflicht sein, zumal das DFB-Team danach gegen Kolumbien in Sydney (30. Juli) und gegen Südkorea in Brisbane (3. August) mehr gefordert werden dürfte.
Popp: Keine Klagen über lange Wegstrecken
Erst einmal sind die Protagonisten froh, dass nach einem Monat Vorbereitung endlich, endlich der Startschuss ertönt. „Es fängt an, in den Beinen zu kribbeln“, berichtete Torhüterin Merle Frohms. Bereits am Sonntagmorgen war der Tross aus der „Einöde“ (Ersatzspielerin Lena Lattwein) in Wyong an der Central Coast mit dem Bus aufgebrochen, um anschließend über Newcastle nach Melbourne zu fliegen, wo der australische Winter unangenehm sein kann. Klagen über Wegstrecken und Wetterveränderungen verbieten sich indes für Kapitänin Alexandra Popp: „Unsere Gruppe hat Vor- und Nachteile. Wir haben aber ein gutes Los gezogen, was die Reisen angeht, da können wir uns nicht beschweren.“ Und über die Gegner und Spielorte eigentlich auch nicht.