Es ist fast schon obligatorisch, dass die deutschen Torhüterinnen weite Teile des Aufwärmprogramms mit den Feldspielerinnen absolvieren. Zu diesem Zeitpunkt hat aus dem Trio im Adi-Dassler-Stadion in Herzogenaurach zwar noch niemand Handschuhe an, dennoch sind Merle Frohms, Almuth Schult und Ann-Katrin Berger, in dieser Reihenfolge Deutschlands Torfrau eins bis drei für die Europameisterschaft in England (6. bis 31. Juli), auch im dritten Trainingslager unschwer zu identifizieren. Sie tragen nämlich nicht mint-, sondern grasgrüne Shirts. Beobachter könnten fast auf die Idee kommen, dahinter verberge sich eine Tarnfarbe. Dabei haben die Frauen genau wie die Männer auf dieser Position viel vorzuzeigen – und damit ein Luxusproblem.
Frohms hat entscheidend dazu beigetragen, dass Eintracht Frankfurt in der Bundesliga noch auf den dritten Champions-League-Platz gesprungen ist. Schult hat beim VfL Wolfsburg mitgeholfen, wieder das Double an den Mittellandkanal zu holen. Überdies verhinderte sie im Champions-League-Halbfinale beim FC Barcelona (1:5) mit Prachtparaden vor mehr als 90.000 Zuschauern eine höhere Pleite.
Die weitaus größere internationale Erfahrung im Vergleich zu ihrer Konkurrentin wird der mit Abstand meinungsstärksten Persönlichkeit der DFB-Frauen nicht viel nützen: Frohms bleibt die Nummer eins – das ist seit Ende Mai von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg klar kommuniziert.
Almuth Schult ist zweite Torfrau
„Das stärkt natürlich ungemein, wenn man einfach spürt, dass die Trainerin einem vertraut“, sagte die 27-Jährige kürzlich, die bei der EM-Generalprobe gegen die Schweiz am Freitag in Erfurt (17 Uhr/live im ZDF) ihr 27. Länderspiel machen soll.
Schult hat an der Rückversetzung ins zweite Glied zu knabbern, das war beim Medientag am Sitz des DFB-Ausrüster deutlich herauszuhören. „Ich habe es auch sehr kurzfristig erfahren, war in dem Moment nicht darauf vorbereitet, aber es ist in Ordnung“, so die 31-Jährige. „Die Trainerin sieht es halt als ihre bestmögliche Lösung momentan.“ Allein dieser Zusatz verdeutlich, wie sehr Schult noch auf eine Statusänderung hofft – der Druck auf Frohms wird dadurch nicht eben geringer.
Dennoch kann von einem Zickenkrieg zwischen den Pfosten keine Rede sein. Im Gegenteil: Aus gemeinsamen Wolfsburger Zeiten schätzen sich Frohms und Schult. Auch wenn sie völlig unterschiedliche Typen sind, haben sie sich privat oft unterstützt.
Frohms wurde für ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren belohnt
Vor vier Jahren wechselte die der Reservistenrolle überdrüssige Frohms zum SC Freiburg, nun beerbt sie in der Autostadt die nach der Europameisterschaft in den USA spielende Schult. Im Grunde vollzieht sich also eine Wachablösung in Verein und Nationalmannschaft.
Kapitänin Alexandra Popp hatte kürzlich angemerkt, dass ihr um dieses Duell zu „viel Trara“ gemacht werde. Aber es ist nun einmal so, dass die deutsche Frauen-Nationalmannschaft für Titelgewinne tüchtige Torhüterinnen brauchte. Silke Rottenberg und Nadine Angerer haben mit ihrer Athletik und Aura bei den WM-Triumphen in den Jahren 2003 und 2007 jede für sich internationale Maßstäbe gesetzt.
Diese Messlatte sollte niemand bei Frohms anlegen, aber bei nüchterner Betrachtung ist ihre Bevorzugung jetzt nachvollziehbar. Cheftrainerin Voss-Tecklenburg war sich in Absprache mit Torwarttrainer Michael Fuchs schnell einig, ihre Entwicklung in den vergangenen drei Jahren zu belohnen. Ihr bestes Länderspiel machte die aus Celle stammende Sportlerin auf dem heiligen Rasen in Wembley, als sie am 9. November 2019 frei von Nervenflattern vor fast 80.000 englischen Fans auch einen Elfmeter hielt. Einen solchen Rückhalt wird es brauchen, wenn es für den achtfachen Europameister in der Gruppe mit Dänemark (8. Juli), Spanien (12. Juli) und Finnland (16. Juli) erst einmal darum geht, die Gruppenphase zu überstehen. Danach könnte es gegen England weitergehen.
Almuth Schult ist die Vorkämpferin des deutschen Frauenfußballs
Es ist menschlich verständlich, dass Schult sich nichts sehnlicher gewünscht hätte, als als Zwillingsmama auf dieser Bühne mitzumachen. Nur ist es eben auch ein bisschen Pech, dass sie ihren zugesicherten Einsatz im April beim WM-Qualifikationsspiel gegen Serbien (2:3) wegen Schulterproblemen absagen musste. Ihr letzter Einsatz im DFB-Team bleibt bislang das WM-Viertelfinal-Aus gegen Schweden am 29. Juni 2019.
Es müssten schon außergewöhnliche Umstände greifen, damit die Vorkämpferin des deutschen Frauenfußballs in diesem Turniersommer ihr 65. Länderspiel für Deutschland macht.