Ein bedrohlicher dunkler Himmel über einem Stadion muss nicht zwingend ein schlechtes Omen sein. Im Gegenteil: Die deutschen Fußballerinnen schweben auch nach ihrem zweiten Abstecher nach Milton Keynes weiter auf einer rosaroten Wolke durch die EM in England, weil das DFB-Team mit einem schwer erkämpften 2:1 (1:1) die hohe Hürde im Halbfinale gegen Frankreich genommen hat.
Vor 27.445 Augenzeugen im Stadium MK ging der achtfache Europameister dabei wieder einmal an seine Leistungsgrenze, um in der unbeliebten Planstadt das nächste Erfolgserlebnis zu verbuchen. Zur umjubelten Matchwinnern kürte sich einmal mehr Alexandra Popp, die mit ihrem fünften und sechsten EM-Treffer (40. und 76.) den Endspieleinzug perfekt machte. Die Kapitänin erzählt im Mutterland des Fußballs eine fast märchenhafte Erfolgsgeschichte. Das unglückliche Eigentor von Merle Frohms (45.) blieb folgenlos.
Im Finale der Europameisterschaft wartet England
Zur Belohnung gibt es nun das Finale gegen den Gastgeber England am Sonntag (18 Uhr/ARD). Ein ohnehin schon gelungenes Turnier bekommt die dramaturgisch beste Konstellation. Was dem Team von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg Mut machen kann: 2019 gab es ein 2:1 im Freundschaftsspiel auf dem heiligen Rasen gegen England vor fast 79.000 Menschen. Und aus der Historie steht ein 6:2 im EM-Endspiel 2009 gegen England in den Annalen, als die heute als Sportpsychologin fürs Team arbeitende Birgit Prinz selbst stürmte. Es gibt also gar keinen Grund vor den unbesiegten „Lionesses“ in Ehrfurcht zu erstarren.
Vor den Augen des DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf gingen die beiden Kontrahenten mit einigem Respekt in dieses K.o.-Duell. Nach anfänglichen Schwierigkeiten kontrollierten die Deutschen aber bald die Begegnung und hatten durch einen Freistoß von Popp, den Torhüterin Pauline Peyraud-Magin gut parierte, die erste Chance (22.). Diese Situation hatte Youngster Jule Brand herausgeholt, die erwartungsgemäß für die am Vortag positiv getestete Klara Bühl stürmte, in einigen Situationen zwar unbedarft wirkte, aber sich viel zutraute.
Alexandra Popp erzielt ihre Treffer fünf und sechs
Ansonsten aber agierte das deutsche Team vor allem dank der erneut resoluten Lena Oberdorf und einer anfangs verbesserten Sara Däbritz recht abgeklärt und kam nach einer feinen Kombination prompt zum Führungstreffer. Über Brand eingeleitet, landete der Ball bei Svenja Huth und deren Flanke verwertete mal wieder Popp im Stile einer typischen Torjägerin, die voller Entschlossenheit das Spielgerät mit links unters Tordach bugsierte. Damit hatte die 31-Jährige tatsächlich ihr fünftes EM-Tor erzielt. Klar, dass die zur Spielerin des Spiels gewählte Anführerin wieder einen E.T.-Jubel in die Heimat schickte. Vieles schien jetzt für ein selbstbewusstes Ensemble angerichtet, das sich wieder größter Defensivlust hingab und die schnellen Französinnen oft doppelte, um Ballgewinne zu erzielen.
Doch die Freude im deutschen Fanblock mit den schwarz-rot-goldenen Fähnchen sollte nicht lange halten: Fast mit dem Pausenpfiff fasste sich Kadidiatou Diani aus der Distanz ein Herz: Die Kugel klatschte an den Pfosten, sprang der deutschen Torhüterin Frohms an den Rücken und prallte über die Linie – einen solchen Gegentreffer hätte es als ersten Einschlag für die 27-Jährige nicht gebraucht. Damit war das 1:1 nach einer ersten Halbzeit perfekt, in der die Knalleffekte erst spät passierten.
Frankreich wird stärker, Deutschland trifft
Nach dem Wechsel setzte zunächst Huth den Ball ans Außennetz (47.), ehe sich das Spiel wieder beruhigte. Erkennbar, dass das Ensemble der umstrittenen Nationaltrainerin Corinne Diacre mit fortschreitender Spieldauer mehr wagte. Bald hatten die Deutschen zwei Schrecksekunden zu überstehen: Erst klärte Kathrin Hendrich eine Großchance der eingewechselten Selma Bacha mit dem Kopf kurz vor der Linie (63.), dann rettete Frohms gegen den Kopfball der in der Luft schier übermächtigen Kapitänin Wendie Renard (64.). Als dann auch noch Marina Hegering einen schlampigen Rückpass spielte, musste Frohms auch noch gegen Diani aus spitzem Winkel klären (67.). Weil der deutschen Elf die Kontrolle entglitt, kamen nun die Mittelfeldspielerinnen Linda Dallmann und Sydney Lohmann. Ein Schachzug, der aufgehen sollte. Kaum wieder besser in der Begegnung, war es wieder die unermüdliche Huth, die nach einer turbulenten Strafraumaktion erneut flankte und Popp war es, die in ihrer unnachahmlichen Art sich per Kopf durchsetzte. Ihr 58. Erfolgserlebnis im 119. Länderspiel dürfte für immer unvergessen bleiben – und könnte nur gekrönt werden, wenn die Stehauffrau auch noch am Sonntag in Wembley trifft. Nichts scheint mehr unmöglich.