Wann bitte hat es mal so viele schwarz-rot-goldene Fahnen bei einem Training der deutschen Fußballerinnen gegeben? Am Dienstagabend im Paul-Janes-Stadion in Düsseldorf musste Lena Oberdorf nicht nur wegen der tief stehenden Sonne erst mal genau hinsehen. Warmer Applaus von rund 2000 Fans, die ihre Deutschland-Utensilien gerne noch einmal mitbrachten, empfing die Spielerinnen, die sich hinterher artig mit Selfies und Bällen bedankten. Dass auch Horst Hrubesch so viele Autogrammwünsche wie möglich erfüllte, war für den Bundestrainer eine Selbstverständlichkeit: Viel mehr Rückendeckung hätten sich das Frauen-Nationalteam für den Flug am Mittwoch nach Reykjavik nicht abholen können, wenn in der EM-Qualifikation gegen Island (Freitag 18.15 Uhr/ZDF) die vorletzte Pflichtaufgabe wartet. Danach sind zum Abschluss gegen Österreich in Hannover (Dienstag 19 Uhr/ARD) bereits mehr als 34.000 Tickets verkauft.
Für den Umstand, dass der achtfache Europameister die Qualifikation für die EM-Endrunde 2025 in der Schweiz längst in der Tasche hat, eine sagenhafte Zahl. Die Arena am Maschsee war noch nie Spielort für ein Frauen-Länderspiel. Nun liefert Niedersachsens Landeshauptstadt den Beleg, dass die Grenzen zwischen den Geschlechtern für einen Teil des deutschen Publikums verschwimmen, denn die Wechselwirkung der Nationalmannschaften ist gerade offenkundig. Von der Sympathiewelle rund um die Männer profitieren jetzt die Frauen.
Von der laufenden EM hat sich auch Hrubesch einige Spiele in Hamburg angesehen und die deutschen Auftritte natürlich am Fernseher verfolgt. Die Mannschaft von Kollege Julian Nagelsmann habe sich „top verkauft und super gespielt“, es habe nur das „Quäntchen Glück“ gefehlt. Vor allem das Miteinander, betonte der 73-Jährige, habe ihn tief beeindruckt. An dieser Stelle holte sein Assistent Thomas Nörenberg ein bisschen weiter aus. Es sei „extrem beeindruckend gewesen“, wie das Männer-Team die Menschen mitgenommen habe. Die Frauen-Auswahl habe „die gleiche Verpflichtung, ohne Wenn und Aber“, sagte der 60-Jährige im fordernden Tonfall.
Der neue Bundestrainer Wück hat andere Trainerinnen zur Seite
Der ewige Hrubesch-Vertraute, vom HSV-Idol liebevoll als „Chefchen“ bezeichnet, hielt eine fast schon flammende Rede ans Ehrgefühl. Das Ensemble um Kapitänin Alexandra Popp sei bereits „auf einem ganz guten Weg“, dieser Weg werde aber „nie zu Ende sein“. Auch die bald ebenfalls scheidende Co-Trainer Britta Carlson – dem neuen Bundestrainer Christian Wück stehen dann die Ex-Nationalspielerinnen Saskia Bartusiak und Maren Meinert zur Seite – hat von der Couch aus einen beispielhaften Spirit beobachtet: „Ich hoffe, dass wir dieses Wir-Gefühl, diesen Einsatz und diese Euphorie mittragen.“
Nur zur Erinnerung: Nach einer von Harmonie geprägten EM 2022 in England waren die DFB-Frauen von der WM 2023 in Australien als zerrüttete Gemeinschaft zurückgekehrt, weil vor allem die Beziehung der Cheftrainerin Martina Voss-Tecklenburg zu den Spielerinnen völlig in die Brüche ging. Nur deshalb hat Hrubesch ein zweites Mal ausgeholfen. Der gebürtige Westfale liefert verlässlich als „uralter Mann“ (O-Ton Hrubesch) immer noch Klebstoff, wenn irgendwo im Deutschen Fußball-Bund (DFB) etwas auseinandergebrochen ist. „Seine Mädels“ sollen sich bei den Olympischen Spielen als verschworene Gemeinschaft präsentieren, wenn die Männer es schon nicht geschafft haben, sich überhaupt zu qualifizieren.
Zum Auftakt geht es gegen Australien
Das gemäß der strengen IOC-Vorgaben lediglich aus 16 Feldspielerinnen und zwei Torhüterinnen bestehende Olympia-Aufgebot wird sich am 20. Juli in Frankfurt treffen, um einen Tag später in den Süden Frankreichs zu reisen. In Marseille geht es gegen den WM-Vierten Australien (25. Juli) und Rekord-Olympiasieger USA (28. Juli), ehe in Saint-Étienne der Außenseiter Sambia wartet (31. Juli). Der knappe Kader, die enge Taktung und die erwartete Hitze machen die Medaillen-Mission besonders herausfordernd.
Hrubesch will schon bei der Einkleidung zu Wochenanfang „ein Leuchten in den Augen bei den Basketballerinnen und den Hockeyspielern“ erkannt haben. Dieses völkerverbindende Sportereignis sei für Menschen gemacht, „die vier Jahre dafür trainieren, dass sie vielleicht schon im Vorlauf ausscheiden – das musst du auf die Kette kriegen.“ Noch immer schwärmt der Menschenfänger glaubhaft davon, welcher besondere Geist im Olympischen Dorf herrschte, als er 2016 in Rio de Janeiro zum Endspiel mit Deutschlands Männern dort einzog. 2024 erleben die Frauen das Feeling nur, wenn sie das Finale am 10. August im Pariser Prinzenpark erreichen.
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