Wahrscheinlich weiß es Max Verstappen nicht einmal selbst. Natürlich war das Interesse am Formel-1-Weltmeister groß in der ersten Fragestunde in Melbourne. Der Saisonauftakt (Sonntag, 5.00 Uhr) steht kurz bevor, die Spannung steigt - Verstappen aber gibt den Ahnungslosen. Nicht weil er keine Lust hatte, Auskunft zu geben. Auch nicht, weil seine Laune schlecht war. Das kann beim 27-Jährigen schon mal vorkommen und zu entsprechend kurzen Antworten führen. Am Donnerstag war es wohl tatsächlich eigene Ratlosigkeit. Oder der Versuch, die Konkurrenten im Unklaren zu lassen.
Verstappen war zur derzeitigen Form seines Red-Bull-Teams gefragt worden. Nicht ohne Grund, war sein Rennwagen doch zum Ende der vergangenen Saison bei weitem nicht mehr der schnellste im Feld. Seinen vierten WM-Titel hatte er zum einen dem starken Saisonstart und zum anderen seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten zu verdanken. Und nun, nach dem Winter? Mit dem neu entwickelten Wagen?
Die Testfahrten geben nur wenig Aufschluss
Verstappen schaute in die Gesichter der Journalisten. „Unsere Form“? fragte er noch einmal nach. Wohl auch, um seine Gedanken zu sortieren und eine unverfängliche Antwort zu finden. Er sei da ganz optimistisch, setzte er zu seiner Replik an, gab aber auch zu: „Ich weiß es nicht.“ Weil die Testfahrten in der Regel wenig aussagekräftig sind. Weil jedes Team andere Programme fährt, um die eigene Entwicklung voranzutreiben. Weil ein Auto mit deutlich mehr Benzin fährt als das andere. Ungewissheit begleitet die Fahrer von jeher zum Saisonstart. Der aktuelle Weltmeister aber sollte doch eigentlich immer an der Spitze mitfahren können.
Dennoch sind sich viele Experten einig, dass Verstappen in dieser Saison nicht der Topfavorit ist. Ralf Schumacher oder Timo Glock, beide für den Sender Sky im Einsatz, sehen McLaren im Vorteil. Und daher Lando Norris als ersten Anwärter auf den WM-Titel. Der Engländer hatte sich schon im vergangenen Jahr Hoffnungen machen dürfen, scheiterte aber letztlich. An sich selbst und den Künsten von Verstappen. Ob das dem Niederländer aber wieder gelingt?
Zweifel sind angebracht. In der anstehenden Saison gibt es kaum Regeländerungen, weshalb die aktuellen Fahrzeuge sehr auf ihren Vorgängern basieren. Und da hatte Red Bull seinem Topfahrer nicht das von ihm gewünschte Auto zur Verfügung gestellt. „Bei Red Bull ist der Wurm drin, und der wird drinbleiben“, sagte Ralf Schumacher in einer von Sky initiierten Medienrunde. Sein Tipp ist daher klar: Norris wird die WM-Wertung gewinnen vor Charles Leclerc im Ferrari. Verstappen folgt in Schumachers Prognose sogar nur auf Rang drei.
In Mailand erlebt Hamilton die Euphorie um Ferrari hautnah
Timo Glock, auch ein ehemaliger Formel-1-Fahrer, sieht Norris ebenso vorne. Bei ihm allerdings folgt Verstappen auf Rang zwei, Dritter wird Lewis Hamilton. Der Brite ist der roten Versuchung verfallen und war vor dieser Saison von Mercedes zu Ferrari gewechselt. Der 40-Jährige erfüllte sich damit einen Traum. Weiß aber, dass die Erwartungen der Tifosi groß sind. So leidenschaftlich die Ferrari-Fans sind, so ungemütlich können sie werden, bleibt der Erfolg aus. Hamilton weiß, was ihn erwartet.

Der Brite schwärmt von seinen ersten Monaten bei der Scuderia. „Du fühlst dich nicht wie auf der Arbeit, du willst gar nicht gehen“, sagte er unlängst in Mailand, als Ferrari sein Team kurz vor dem Abflug nach Melbourne präsentierte. Mehrere zehntausend Menschen waren gekommen. Gemeinsam sangen sie die italienische Hymne. Spätestens da wusste Hamilton, worauf er sich eingelassen hat. Die Sehnsucht nach dem ersten WM-Titel seit 2007 ist bei Ferrari groß. Aber ist er auch realistisch?
Bei den Tests in Bahrain sah es für Ferrari gut aus. Das Auto war schnell. Womöglich bietet die Scuderia tatsächlich Hamilton die Chance auf dessen achten WM-Titel. Damit wäre er alleiniger Rekordweltmeister. Vor dem Auftakt auf den Straßen von Melbourne aber gab sich der 40-Jährige zurückhaltend. Mit einem Platz unter den besten Fünf wäre er zunächst einmal zufrieden. Weil: Vor dem Auftakt wisse eben keiner so genau, wo er stehe. Da war sich Hamilton mit Verstappen einig.
Beide zählen zu den Routiniers im Fahrerfeld, wenngleich beide 13 Jahre trennen. Verstappen hatte sein Debüt vor zehn Jahren als 17-Jähriger in Melbourne gefeiert. Damals war er noch ungestüm und fuhr manchmal unüberlegt. Mittlerweile aber weiß er, dass die WM-Wertung nicht in einem Rennen entschieden wird. Sondern, dass es auch mal Gelassenheit und Kalkül braucht.
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